Woher der politische Wind dann weht, Interview mit Ralph Kollinger

Ralph Kollinger als Geschäftsführer und Gesellschafter des mittelständischen Familienunternehmens über die E-Mobilität und die Corona-Krise.

Ralph Kollinger, Geschäftsführender Gesellschafter Kollinger Gruppe (Foto: Achim Keller)
Ralph Kollinger, Geschäftsführender Gesellschafter Kollinger Gruppe (Foto: Achim Keller)

Eine neuartige Akku-Technologie mit der Bezeichnung „Spatial Atom Layer Deposition“ (SALD) soll Elektroautos mehr als 1.000 Kilometer Reichweite bieten. Entwickelt wurde die Technologie in einem Gemeinschaftsprojekt der deutschen Fraunhofer-Institute und der staatlichen niederländischen Forschungseinrichtung The Netherlands Organisation (TNO). Bringt das dann den Elektroautos einen extremen Schub? Darüber und über vieles mehr in der Autobranche sprach Michael Zäh mit Ralph Kollinger, Geschäftsführer und Gesellschafter der Kollinger-Gruppe, einem mittelständischen Familienunternehmen in Südbaden, das unter anderem die Marken Jaguar, Volvo, Fiat, Alfa Romeo, Mitsubishi, Range Rover und Land Rover verkauft.  

Herr Kollinger, was sagen Sie zur Zukunft der E-Mobilität bei den Autos, Stand heute und mit Ausblick auf die kommenden Jahre? 

Ralph Kollinger: Grundsätzlich ist bezüglich der Zukunft des Automobils der Antrieb ja nur ein Teil. Es entwickelt sich ja unheimlich viel im Automobilbereich, mit enormer Bandbreite. Die Digitalisierung beispielsweise – das Auto hat ja heute unfassbar viele Systeme für Sicherheit und Komfort. Das Thema beim Automobil ist ja nicht nur die Elektrifizierung, sondern eben auch die Digitalisierung und das Thema des autonomen Fahrens, wo ja auch sehr viele Entwicklungen stattfinden. Das heißt, die Antriebsrevolution ist ein Teil der vielen spannenden Veränderungen. Es gibt im Hintergrund auch die Brennstoffzelle oder die Wasserstoffantriebe. Im Moment läuft alles in Richtung der Elektrifizierung, aber das ist hauptsächlich politisch so gewollt. Es ist keine technologische oder marktorientierte Entscheidung.  

Sie haben gerade verschiedene interessante Antriebsarten aufgezählt. Was könnte da am Ende die Nase vorne haben und warum?

Ralph Kollinger: Im Moment ist es so, dass 45 Millionen Fahrzeuge in Deutschland zugelassen sind. Bis auf wenige hunderttausend Fahrzeuge sind das alles Verbrenner, die da fahren. Über alternative Antriebe wird schon seit Ewigkeiten diskutiert. Elektroautos hatten wir ja vor 10 Jahren schon. Aber erst jetzt haben die Hersteller den Fokus auf die Elektroautos gerichtet, weil die politischen Rahmenbedingungen in diese Richtung weisen. Der Trend der nächsten Jahre wird sicherlich die Elektrifizierung sein. Das ist jetzt nicht mehr zu bremsen.   

Da klingt ein bisschen Bedauern mit?

Ralph Kollinger: Die sehr interessanten Antriebe wie Wasserstoff oder Brennstoffzelle werden nicht mit dem gleichen Einsatz verfolgt wie die Elektrifizierung. Das ist ein bisschen schade. Aber okay, die Hersteller sagen sich: Die Politik fordert klimaneutrales Fahren und im Moment ist die Elektrifizierung halt das, was wir am besten hinkriegen.

Was steckt dahinter an Herausforderungen?

Ralph Kollinger: Der ganze Betrieb ist ja ein Galopp. Das muss man sich immer vor Augen führen. Denn die Veränderungen finden im laufenden Betrieb statt. Es werden ja ständig Automobile hergestellt und verkauft. Wenn die Rahmenbedingungen sich ändern, was die Verbrenner eher benachteiligt, nicht nur durch  politische Leitplanken wie Klimaneutralität, sondern auch durch Anreize beim Käufer, wie etwa steuerliche Vorteile bei Fahrzeugflotten, dann müssen Hersteller und Händler dies alles berücksichtigen, ohne dass sie dabei inne halten könnten. Das ist schon eine große Aufgabe.

Volvo hat schon früh erklärt, dass sie keinen reinen Verbrenner mehr produzieren wollen. War das vorausschauend klug?

Ralph Kollinger: Ja, Volvo hat das früh erklärt. Und das ist ja bei Volvo faktisch jetzt auch schon so. Denn ein Auto, das nicht mindestens Hybrid und/oder Plug-in-Hybrid anbietet, gibt es im Jahr 2021 gar nicht mehr. Volvo hat als eher kleinerer Hersteller mutig gesagt: Wir machen das jetzt so! Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass das ein kluger Schritt war. Aber es hätte auch anders kommen können, weil sich die Rahmenbedingungen oft schnell ändern. Da muss man ja nur auf die internationale Politik schauen. Obama ist damals dem Pariser Klimaabkommen beigetreten, Trump ist dann wieder ausgetreten und Biden wird wohl eher wieder beitreten. Soll heißen: Wie der politische Wind bläst, kann man oft nicht voraus sagen. Aber gut, so wie es jetzt aussieht, hatte Volvo das richtige Gespür. Im Moment sind sie Vorreiter.

Welche Marken sind im Moment weit vorne mit der Elektrifizierung?

Ralph Kollinger: Man kann sagen: Tesla hat den Stachel sicherlich gesetzt. BMW hat vor ein paar Jahren hat mit i3, i8 und Carbon-Karosserie auch schon etwas angeboten, aber so richtig gelaufen ist das  nicht. Tesla hat das Thema dann interessant gemacht. Wir hatten mit Jaguar E-Pace 2018 ein vollelektrisches Fahrzeug am Start, dann kam Audi mit dem e-tron, aber viel mehr hat es dann ja auch nicht gegeben. Wir haben bei Volvo viele Fahrzeuge verkauft, weil andere gar keine hatten, die mit staatlichen Prämien gefördert werden konnten. Aber jetzt ziehen alle nach.

War das eigentlich so ein bisschen ein Zögern gewesen von den großen deutschen Herstellern, dass sie jetzt erst so richtig nachziehen?

Ralph Kollinger: Ich denke, das ist so, dass es Tesla vorher gar nicht gab. Die haben gesagt: Wir machen jetzt etwas und haben es einfach gemacht. Die hatten ja nichts zu verlieren. Die konnten sich nicht schaden. Bei den anderen Herstellern war es aber so, dass das Geschäftsmodell mit den Verbrennern immer sehr gut funktioniert hat. Die großen Hersteller haben alle sehr gut verkauft und dabei auch sehr gut verdient. Das heißt, die hatten auch etwas zu verlieren. Hinzu kommt, dass ein Elektroauto für einen Hersteller immer eher die schlechtere Alternative ist.

Warum das?

Ralph Kollinger: Das hängt mit der Tiefe in der Herstellung zusammen. Bei einem Verbrenner können die Hersteller die meisten Teile auch selbst herstellen. Beim Elektroauto ist es so, dass es erstens schon mal weniger Teile überhaupt hat. Und zweitens werden wesentliche Teile dann von außen zugekauft, wie die Batterie und der Elekromotor selbst, was beides von vielen Herstellern zugekauft werden muss, weil man es nicht selbst produzieren kann. Bis jetzt.

Das heißt, die großen Hersteller hatten lange Zeit gar kein Interesse daran, in diesem Sektor so richtig aktiv zu werden?

Ralph Kollinger: Das könnte sein. Dazu kam aber auch, dass es immer wieder Angebote gab – manche hatten schon vor acht bis zehn Jahren Modelle mit Elektroantrieb entwickelt – die aber von den Kunden nicht angenommen wurden. Erst jetzt, wie gesagt auch durch politische Richtlinien und staatliche Anreize, wird auch das Interesse beim Kunden größer. Doch eine Umstellung ist für die Hersteller auch mit einem hohen Risiko verbunden.

Worin besteht das?

Ralph Kollinger: Ein Autohersteller kann nicht wie beim T-Shirt heute rote, morgen gelbe  und übermorgen blaue machen lassen. Sondern da werden Konstruktionen aufgebaut, da werden immense Investitionen getätigt, und das alles ist auf längerfristige Perspektiven ausgerichtet.

Wenn wir uns für einen Moment vorstellen, dass plötzlich ein riesiger Schub auf Elektro-Autos da wäre. Und sagen wir mal utopisch: Keiner wollte mehr einen Verbrenner kaufen. Wie würde das dann auch die Handelsstrukturen verändern? Gäbe es dann eigentlich noch die Autohäuser in der heutigen Form? Und was würde das für die Werkstätten bedeuten?

Ralph Kollinger: Diese Frage birgt zehn Fragen. Ich versuche es mal der Reihe nach. Zunächst einmal müssen wir davon ausgehen, wenn mehr Elektro kommt und schneller Elektro kommt, muss man erstmal in zwei Hälften teilen: Der Neuverkauf und der Bestand. Wenn beispielsweise kurzfristig 30 Prozent mehr Elektroautos verkauft würden, dann hätte dies folgende Auswirkungen: Es betrifft die Zulieferer sofort, weil 30 Prozent weniger benötigt würde, also ein Getriebe oder ein Auspuff, den es nicht mehr braucht. Da schlägt es sofort ein. Den Hersteller trifft es auch sofort, aber der ist natürlich ein Stück weit im Fahrersitz und der steuert die Prozesse so gut er kann: Wie gestalte ich meine Preise, wie handhabe ich meine Kosten? Aber auch der Hersteller hat auf jeden Fall damit zu kämpfen. Den Händler betrifft es zunächst gar nicht. Ob er ein Elektroauto verkauft oder einen Diesel kann ihm egal sein. Er bedient einfach seine Kunden. Und den Werkstattbereich betrifft das sehr verzögert.  Wenn man sieht, dass im Moment 45 Millionen Autos auf der Straße sind – die sind ja alle noch da. Wenn nächstes Jahr drei Millionen dazu kommen, wovon 30 Prozent Elektroautos sind, dann haben wir halt 45 Millionen plus zwei Millionen neue Verbrenner und eine Million Elektroautos. Das ist also eine sehr verzögerte Entwicklung für Werkstätten oder auch Tankstellen.

An welche Zeiträume denken Sie da insgesamt? Welche Veränderungen kommen wie schnell?

Ralph Kollinger: Da muss man auch unterscheiden. Auf den Handel wirkt sich das gar nicht aus. Da ist es egal, wie der Kunde seine Mobilität definiert. Der Handel kann und muss sich darauf einstellen, was wir als Unternehmensgruppe auch tun.  Für den Werkstattbereich geht die Umstellung zwar sehr langsam, wegen des hohen Bestands an Fahrzeugen, die es ja weiterhin zu warten gilt, aber da gibt es natürlich schon auch eine Transformation. Wo wir früher eher Bremsbeläge, Ölwechsel und solche Sachen hatten, sind es jetzt eher  die vielen Digitalsysteme, etwa die Konnektivität mit dem Handy, das elektronische Luftfahrwerk und solche Sachen. 

Wie sieht es der Kunde? Ist da die Hauptsache der Elektroantrieb, oder sind es ganz andere Kriterien?

Ralph Kollinger: Wenn man vom Kunden ausgeht, ist der Antrieb nur eines von vielen Kriterien. Der Kunde will mobil sein. Die erste Frage, die er sich stellt, ist nicht: Elektro oder Diesel? Erstmal fragt er sich: Wie fahre ich? Bus, Zug, Auto? Wenn er sich fürs Auto entscheidet, dann geht es darum, welche Art von Auto, welche Form, welche Größe? Dann geht es darum: Kaufe ich ein Auto, lease ich es mir oder miete es nur kurzfristig? Und wenn einer ein eigenes Auto haben will, dann erst stellt er sich die Frage, welche Marke, welcher Antrieb. 

Es ist also ein Detail in der Kette der Entscheidung des Kunden, ob es ein Verbrenner oder ein Elektroauto sein soll?

Ralph Kollinger: Das ist im Moment noch so. Für den Kunden ist es ja die Frage, was zu ihm und seinen Bedürfnissen am besten passt. 

Der Begriff der Dienstleistung im mobilen Bereich – können Sie das etwas ausführen?

Ralph Kollinger: Der Slogan bei uns in der Kollinger-Gruppe heißt schon seit zwei Jahren: Mobilität für Südbaden. Das bedeutet, wir verstehen uns als Mobilitätsdienstleister. Das heißt, bei uns kann man klassisch Autos kaufen, finanzieren oder leasen, in der herkömmlichen Form. Wir haben Neuwagen und Gebrauchtwagen, alles wie gehabt. Wir können aber auch individuelle Angebote machen. Bei uns kann man auch Fahrzeuge mieten oder abonnieren. Dies alles verschmilzt immer mehr ineinander. Grundsätzlich ist alles dynamisch. Wir müssen als Dienstleister ebenfalls dynamisch sein.

Was hat sich denn beim „Heiligs Blechle“ in den Ansprüchen der Kunden vor allem geändert?

Ralph Kollinger: Die überwiegende Zahl der Leute, wenn sie nicht gerade in Metropolen leben, braucht nach wie vor ein Auto. Früher war vielleicht mehr die PS-Zahl und die Chrom-Auspuffe wichtig und heute eher der digitale Komfort. Wenn man sich heute in einen modernen Volvo setzt – kaum einer hat so ein Wohnzimmer, etwa wenn jemand Musik genießen will. Da musst du dich schon strecken, das zu Hause auch so zu haben.

Wie sehr hat die Branche und auch die Händler die Corona-Krise getroffen?

Ralph Kollinger: Die Branche gesamt, wenn man es weltweit sieht, hat das brachial getroffen. Denn wir sind eine Branche der Lieferketten, wo alles von irgendwo her kommt. Wenn das nicht mehr funktioniert, weil,Grenzen geschlossen sind, ist dieses sensible System am Abgrund. 

Und wie ist das für Sie selbst?

Ralph Kollinger: Für uns war sehr traurig, dass die Kunden aus der Schweiz und Frankreich nicht mehr kommen durften. Was uns und der Branche extrem weh getan hat, war die temporäre Schließung der Zulassungsstellen. Wir selbst als Kollinger-Gruppe haben bis heute keinen einzigen Mitarbeiter keinen Tag lang in Kurzarbeit gehabt. Da gab es einen tollen Schulterschluss.

Kollinger-Gruppe
9x in Südbaden
Web: www.auto.ag