Es war eine lange Reise, sanft und leise. Ein Schweben über den Wolken, wo bekanntlich die Freiheit grenzenlos ist. Von Alaska her, über Kanada und dann quer durch die USA hat der China-Ballon mit dem Wind gespielt. Säusel säusel. Aber weil dann US-Präsident Joe Biden doch die Sache mit der Grenzenlosigkeit anders sah, wurde der große weiße Ballon zerfetzt und fiel vom Himmel. Das soll einen Mordskrach gemacht haben, schildern Augenzeugen. Und die Frage ist genau die, ob es einfach ein lautes politisches Statement sein sollte, den leisen Gesellen abzuschießen.
Kurz nachdem der Ballon die Küste des Bundesstaats South Carolina überflogen und das offene Meer erreicht hatte, wurde er von der Rakete eines US-Kampfflugzeugs abgeschossen. Auf den Videos von Augenzeugen war direkt nach dem Abschuss im Internet zu sehen, wie der zerschossene weiße Ballon am fast wolkenlosen Himmel nach unten Richtung Wasseroberfläche sank. Klar, jetzt kommt Nena, mit ihren 99 Luftballons: „Neunundneunzig Düsenflieger – Jeder war ein großer Krieger – Hielten sich für Captain Kirk – Das gab ein großes Feuerwerk – Die Nachbarn haben nichts gerafft – Und fühlten sich gleich angemacht – Dabei schoss man am Horizont – Auf neunundneunzig Luftballons“
War der Abschuss eher politisch motiviert?
US-Präsident Joe Biden bestätigte den Abschuss und betonte, er habe den Befehl dazu schon vor mehreren Tagen erteilt: „Am Mittwoch, als ich über den Ballon informiert wurde, habe ich das Pentagon angewiesen, ihn so bald wie möglich abzuschießen“, so Biden. Man habe sich entschieden, das Objekt erst über dem Atlantik abzuschießen, um möglichen Schaden für Menschen am Boden zu vermeiden, betonte der Präsident. „Sie haben entschieden, dass der beste Zeitpunkt dafür war, als der Ballon innerhalb unserer Zwölf-Meilen-Grenze über Wasser war. Sie haben ihn erfolgreich abgeschossen, und ich möchte unseren Fliegern, die das getan haben, ein Kompliment machen“, so Biden.
China reagierte auf den Abschuss des Ballons durch die USA mit scharfer Kritik. Die USA hätten eindeutig überreagiert und durch den Einsatz von Gewalt internationale Gepflogenheiten verletzt, man behalte sich das Recht auf weitere notwendige Reaktionen vor, hieß es in einer prompten Erklärung des chinesischen Außenministeriums.
Die USA werfen umgekehrt China Spionage vor, Außenminister Antony Blinken nannte den Ballon einen „Überwachungsballon“ und das Eindringen in den US-Luftraum „inakzeptabel“. Ein hochrangiger Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärte, der Ballon sei Teil einer ganzen Flotte, die China über fünf Kontinenten zur Spionage einsetze, auch in Europa.
Trotzdem bleibt die Frage, ob der Abschuss womöglich gar nicht aus militärischen sondern vielmehr aus politischen Gründen erfolgte. Es könnte eine bewusste Entscheidung von Biden zur Eskalation gewesen sein. Die Stimmung in den USA ließ ihm kaum eine andere Wahl. Denn der mit bloßem Auge erkennbare Ballon hat eine nationale Erregung ausgelöst, da man in der amerikanischen Bevölkerung nun mal keinen mit chinesischen Schriftzügen verzierten Ballon am US-Himmel sehen wollte. Das wurde als eine unerhörte Provokation empfunden. Die Republikaner hatten den Präsidenten schon seit der ersten Sichtung vor sich hergetrieben und ihn der Schwäche geziehen.
War der Ballon faktisch eine Gefahr?
Nein, eher nicht. Der Einsatz von Ballons als Beobachtungsplattformen ist nicht unüblich. Fachleute schilderten, sie könnten allerdings aus größerer Nähe mehr Details und Bewegungen über eine längere Zeit beobachten, seien auch für Radar schwer zu entdecken. Zudem könnten sie Kommunikation abfangen. Die Steuerung sei heute deutlich verbessert. Außerdem seien sie billiger als Satelliten. Die „Washington Post“ berichtete unter Berufung auf Pentagon-Mitarbeitende, der Ballon hätte beispielsweise den US-Radar testen können, was wertvoll für einen künftigen Konflikt sein könnte.
Nach dem Abschuss des Ballons sagte ein hoher Vertreter des Pentagons, dass die Bergung des Ballons nun in vollem Gange sei. „Wie lange es dauern wird, steht noch nicht fest“, sagte er. Die Trümmer befänden sich in etwa 15 Meter tiefem Wasser, was die Bergung „ziemlich einfach“ machen würde. Von der Bergung der Geräte an Bord erhoffen sich die USA nähere Informationen über den Zweck des Ballons. Den nachrichtendienstlichen Schaden schätze man als eher gering ein, hieß es. Alles werde klarer, wenn die Informationsbox geborgen werden könne. Aus Geheimdienstsicht, so hieß es, könnte die Ballonreise am Ende von größerem Nutzen für die USA als für China sein.
Gegenseitige Spionage
Spionage gehört schon immer zum „normalen“ Geheimdienstgeschäft, natürlich auch zwischen China und den USA. Satellitenaufklärung, Spähflüge, Höhenballons – die Mittel sind stets dieselben, und beide Seiten wenden sie an. Es ist also keineswegs so, dass die USA diesbezüglich zurückhaltender wären als China. Und ja, warum auch nicht? Die Spionage kann Kriege ebenso gut verhindern wie fördern. Wenn nämlich der jeweilige Gegner um die Stärke des anderen weiß, dann wird er vor einem Angriff eher absehen.
In der Historie gab es zwischen den USA und China bereits einige, teils spektakuläre Beispiele gegenseitiger Spionage. Etwa der „trojanische Garten“: Peking wollte 2017 rund 100 Millionen Dollar investieren, um in der US-Hauptstadt Washington einen großen chinesischen Park anzulegen. Auf mehreren Hektar Land sollten prächtige Tempel, große Pavillons und Bambus-Haine entstehen. Der Park solle Tausende Touristen anlocken und die Beziehungen zwischen den USA und China verbessern, hieß es. Doch das FBI entdeckte verdächtige Pläne und verhinderte den Bau. Die geplante Pagode sollte strategisch günstig auf einem der höchsten Punkte in Washington platziert werden, nur rund drei Kilometer entfernt vom Kapitol. Das sei ein perfekter Ort, um nachrichtendienstliche Signale zu sammeln, zitierte CNN mehrere mit der Angelegenheit vertraute Quellen. Umgekehrt hat die USA ebenso spioniert: Über Jahre hinweg hatten die USA etwa in der „Operation Honigdachs“ ein großes Netzwerk von Spionen in den höchsten Ebenen Chinas installiert. Dann flog es ab 2010 auf und China reagierte hart. Das Magazin „Foreign Policy“ berichtete von mindestens 30 getöteten Spionen.
Besonders krass war natürlich die durch Edward Snowden ans Licht der Öffentlichkeit gelangte NSA-Affaire. Diese löste 2013 einen weltweiten Skandal aus. Die amerikanische Regierung hatte dabei auch eine digitale Großoffensive gegen China gestartet. Zu den Zielen, die der amerikanische Geheimdienst attackierte, zählen der ehemalige Staatspräsident Hu Jintao, das chinesische Handelsministerium, ebenso das Außenministerium, Banken sowie Telekommunikationsunternehmen. Dort besonders der Huawei-Konzern, der bis heute verdächtigt wird, über seine Technik wie Handys Spionage für China zu betreiben.
Die mutmaßliche Ballon-Spionage scheint daher nicht wirklich eine Eskalation zu sein, sondern eignet sich eher zu innenpolitischen Manövern und natürlich zum Filmstoff für den nächsten Tom Cruise-Streifen.
Der drohende Krieg
Es war ziemlich eindeutig und krass: Ein Vier-Sterne-General der US-Luftwaffe hat gegenüber Untergebenen einen baldigen Krieg mit China vorhergesagt. „Ich hoffe, ich liege falsch“, schreibt Mike Minihan in einem Mem, aus dem unter anderem der US-Sender NBC News und die „Washington Post“ zitieren. „Mein Bauchgefühl sagt mir, wir werden 2025 kämpfen.“ Minihan glaubt, dass die USA aufgrund der Präsidentschaftswahlen in Taiwan und den USA im Jahr 2024 „abgelenkt“ sein werden. Damit biete sich dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping die Gelegenheit, gegen Taiwan vorzugehen. Die von Minihan unterzeichnete Botschaft ist an alle Kommandanten des sogenannten Air Mobility Command (AMC) gerichtet. Im Laufe des Februar sollten Minihan zufolge alle AMC-Soldaten „einen Ladestreifen in eine Sieben-Meter-Zielscheibe feuern, im vollen Bewusstsein, dass reuelose Tödlichkeit am wichtigsten ist. Zielt auf den Kopf.“ Ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums bestätigte die Authentizität des Schreibens. Es sei aber „nicht repräsentativ für den Standpunkt des Ministeriums zu China.“
Das Verhältnis der beiden Länder ist wegen der Krise im Pazifik, des Streits um Taiwan und auch des Kriegs in der Ukraine ohnehin sehr angespannt. Allerdings hatten die Präsidenten Biden und Xi beim G-20-Treffen auf Bali einen Schritt aufeinander zu gemacht. Die Hoffnung wuchs, dass beide Seiten ein Interesse an einem kontrollierten Umgang miteinander haben. Das sollte sich wegen eines Ballons wohl nicht ändern. Einen Krieg zwischen den USA und China kann keiner wollen. Nena: „Neunundneunzig Jahre Krieg- Ließen keinen Platz für Sieger- Kriegsminister gibt‘s nicht mehr- Und auch keine Düsenflieger.“