Es ist ja viel davon die Rede, dass im Herbst und Winter die Wut kommt. So manche politische Partei möchten die Wut der Bürger anstacheln, nur um den Leuten dann auch nicht mehr bieten zu können als eben die Möglichkeit, Wutbürger zu sein. Das erinnert dich an zwei Begebenheiten aus dem Sommer, die dir vor Augen führten, wie das ist mit der Wut.
Einmal war es so, dass deine Streckenplanung vom Wetter abhängig war. Solltest du durch den Wald gehen, der bei sommerlicher Hitze schön Schatten spendet, oder doch lieber über freie Felder den Berg hoch, der einen weiten Blick in die Ferne gestattet? Na ja, es war ja so: Du hast einen Hund mit einem Fell wie ein Pelzmantel. Der kann sommerliche Temperaturen sowieso nicht ab, und schon gar nicht eine direkte Sonneneinstrahlung. Aber immer nur im Wald ist natürlich auch öde, denn da stehen ja all die Bäume rum, die deinen Blick einschränken. Wenn sich denn eine Chance böte für ein bisschen Abwechslung, wäre das natürlich toll. Und an diesem Tag, um den es geht, war glücklicherweise mal eine dicke Wolkendecke vorhergesagt.
Hund und Herrchen gehen also frohgemut die Strecke mit Weitblick. Es waren auch echt viele schwere Wolken am Himmel. Doch dann geschah das Unbegreifliche: Zwischen all den fetten Wolken tat sich ein kleiner Spalt auf. Und durch diesen Spalt schien die Sonne heiß und heftig, als ob ein Scheinwerfer im Theater des Lebens genau auf Herr mit Hund gerichtet sei. Du schwörst, dass überall Schatten war, links und rechts von dir, nur genau da nicht, wo die pralle Sonne ihren Strahl auf den Pelzmantel deines treuen Gefährten schickte. Der sah dich an, die Zunge lang – was machen wir hier?
Da kam die Wut. Mitten auf der Strecke, wo es keine Abkürzung in den Schatten gab, waren Hund und Herrchen voll verratzt. Wenn nur jetzt gleich ein Wolkenzipfel sich ein bisschen über die Sonne geschoben hätte! Das war doch versprochen, oder nicht? Warum waren lauter Wolken am Himmel, nur da nicht, wo wir gerade gingen?
Die Wut war unbändig. Du wolltest die Sonne würgen und die blöden Wolken hättest du in der Luft zerreißen mögen. Petrus selbst wolltest du am Schlafittchen packen. Du hast dich dabei ertappt, im freien Feld laut schreiend zu fluchen, als ob das etwas nutzen könnte. Du hast echt das Wetter angeschrien, das aber dadurch kein bisschen anders wurde. Auch wenn du wusstest, dass es nix bringt, war deine Wut dennoch da. Du hast kapiert, wie das ist mit der Wut. Sie ist pure Emotion, jenseits aller Vernunft. Sie ist völlig irrational. Wenn sie da ist, frisst sie dich fast auf. Sie geht nicht weg, wenn du logisch zu denken versuchst. Eher denkst du in deinem Zorn darüber nach, wie man die Leute zur Verantwortung ziehen könnte, die falsche Angaben in der Wetter-App gemacht haben.
Die zweite Begebenheit war so, dass du im Wald unterwegs warst, als plötzlich dieser Wind aufkam. Er blies mit solcher Kraft, dass die Bäume sich bogen. Dein Hund hat sofort kapiert, was los ist und rannte los wie die Hölle. Und schon war der Himmel schwarz, Donner grollte und die Blitze waren direkt über dir. Erst gab es Starkregen, dann Hagel, der durch die Windböen fast waagerecht durch die Luft schoss. Längst bist du auch los gerannt, dem Instinkt deines Hundes folgend, während Äste brachen und mit Getöse auf den Weg fielen.
Da kam keine Wut hoch. Egal, dass die Wetter-App das Gewitter nicht vorher gesagt hatte. Man könnte so sagen: Wut muss man sich leisten können. Sie entsteht in einem Raum gewisser Geborgenheit. Wenn es wirklich eng wird, ist für die Wut kein Platz mehr.