Sandra Navidi ist eine Ausnahmeerscheinung. Geboren in Mönchengladbach, studierte sie Jura, ist in Deutschland und den USA zugelassene Rechtsanwältin, landete an der Wall Street und wurde schließlich CEO einer international tätigen Unternehmensberatungsfirma in New York, wo sie auch seit über 20 Jahren lebt. Sie gilt als eine der bestvernetzten Personen in der globalen Finanzwelt und spricht auf n-tv über die US-Wirtschaft.Nach ihrem Buch „Super Hubs“ über die Finanzelite, hat sie nun ihr neues Buch „Das Future Proof Mindset“ (FBV, 19,99 Euro) vorgelegt, über Erfolg im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Die Verabredung zum Telefoninterview hält sie pünktlich auf die Minute ein, trotz der sechs Stunden Zeitverschiebung.
Wir verbringen rund zwei Drittel unseres Lebens mit Arbeit. Was bedeutet das, gerade auch im Hinblick auf die technologischen Entwicklungen, für unsere Berufswahl?
Sandra Navidi: Besonders gravierend sind die Veränderungen im Rahmen der Digitalisierung. Das betrifft nicht nur Fließbandjobs und solche, die einfach zu verrichten sind, sondern auch hochqualifizierte Jobs, bei denen kognitive Fähigkeiten gefragt sind. Man sollte sich also damit auseinandersetzen, welche Fähigkeiten und welche Berufe überhaupt noch gefragt sein werden in der Zukunft, und wie die Berufe, die voraussichtlich noch die nächsten Jahrzehnte bestehen bleiben, sich verändern werden. In die persönliche Betrachtung sollten die Präferenzen, die eigenen Stärken und das Umfeld, in dem man gerne arbeiten möchte, mit einfließen. Und vor allen Dingen die Frage, wie kann ich mir eine Nische erarbeiten, in der ich zumindest auf absehbare Zeit schwer ersetzbar bin, um für eine gewisse Jobsicherheit zu sorgen.
Bei der Suche nach dieser Nische, kann die technologische Entwicklung hilfreich oder aber gefährlich sein. Kann man denn absehen, welche Jobs auch künftig Bestand haben und welche verloren gehen werden?
Sandra Navidi: Es gibt Leute, die blühen auf, wenn sie Ungewissheit verspüren, wenn sie Risiken eingehen und sie mit Herausforderungen konfrontiert sind. Für solche Menschen sind diese Veränderungen eher günstig, eben weil sie auch viele Möglichkeiten bieten, die für andere bedrohlich wirken, denen Veränderungen weniger liegen. Auch durch Corona wurden die Menschen von einem Moment auf den nächsten in die Ungewissheit geworfen. Corona war gewissermaßen ein Zeitraffer einer Entwicklung, die sich sowieso schon in der Pipeline befand und dadurch verstärkt und beschleunigt wurde. Viele hatten da gar keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen und sind aus der Not in andere Bereiche hinein gerutscht. Und viele haben dabei ihre persönlichen Stärken und Schwächen sortiert, was im bisherigen Berufsleben nicht so notwendig war, weil die berufliche Entwicklung linear verlaufen ist. Hat man einmal in einem Beruf angefangen, war die weitere Entwicklung mehr oder weniger absehbar. In unserer heutigen Zeit der preisgünstigen Massenproduktion kann sich eigentlich jeder alles leisten was er braucht an Möbeln, Haushaltsgeräten und so weiter. Was aber wichtig und immer wertvoller wird im Rahmen dieser Entwicklung, sind unsere persönlich verbrachte Zeit sowie persönlich, mit Liebe gefertigte Waren, einmalige Produkte. In diese Bereiche sind viele Leute im Rahmen von Corona rein gerutscht, über Plattformen wie Etsy, wo man Waren persönlich anbieten und vertreiben kann, und das sogar weltweit.
Eine Entwicklung, die also sowieso gekommen wäre und sich durch die Pandemie nur beschleunigt hat?
Sandra Navidi: Ganz genau. Da ist die Digitalisierung, die Künstliche Intelligenz, die Vorherrschaft der großen Tech-Konzerne, die heute von der Macht her eigentlich die Rolle von Finanzkonzernen gewissermaßen übernommen haben und immer mehr auch finanzielle Dienstleistungen anbieten, wie Amazon, Facebook, das eine Kryptowährung herausbringen will und PayPal, das diese bereits akzeptiert. Diese Übermacht wird getrieben durch Netzwerkeffekte, und die Mächtigen nutzen die Möglichkeit, sich überproportional schnell zu vergrößern. Aber diese Entwicklungen laufen im Alltag etwas unter dem Radar, man bekommt das nur schrittchenweise mit, bis auf einmal die große Veränderung dann scheinbar über Nacht eingetreten ist. Wie zum Beispiel die Gig-Arbeit, also dass immer mehr Leute outgesourct und damit unabhängige Vertragsarbeiter werden, ohne Sozialleistungen, zumindest in den USA. Das Ausmaß bekommt man oft gar nicht mit. FedEx, UPS, Bank of America, Google und andere outsourcen unternehmerisches Risiko und Kosten an Externe, zum Teil schon bis zu 50 Prozent der Mitarbeiterschaft. Mit dem erklärten Ziel, dies immer weiter voranzutreiben, bis im Endeffekt nur noch das Management als fester Kern übrig bleibt.
Sind Sie selbst denn von einem geradlinigen Berufsweg abgewichen oder hat Sie Ihr Weg gezielt nach New York geführt?
Sandra Navidi: Ich fand früher die Frage, `Was ist Ihr Plan, wo sehen Sie sich in fünf Jahren?`, eher schwierig zu beantworten, denn ich hatte schon als Schülerin das Bedürfnis im Ausland zu studieren, mein Wissen zu erweitern, und ich war wahnsinnig stolz, in New York einen Master of Law-Studienplatz ergattert zu haben. Vor der Prüfung zum Zweiten juristischen Staatsexamen in Deutschland, fragte mich der prüfende Richter in einem einschüchternden Umfeld, was denn mein weiterer Plan wäre, und ich berichtete ihm ganz stolz von der Zulassung in den USA. Woraufhin er mich nur ganz kalt und herablassend niederbügelte mit einem `Damit können Sie überhaupt nichts anfangen, das können Sie sich sparen`. Im Endeffekt hat sich das Auslandsstipendium aber im Rahmen der Globalisierung als äußerst nützlich erwiesen. Am wichtigsten war vielleicht die prägende Erfahrung, dass man sich immer weiter fortbilden muss, nicht mal unbedingt zielgerichtet. Ich habe Prüfungen, Studien- und Lehrgänge abgelegt, zum Teil ohne dass ich zum Zeitpunkt, als ich das auf mich genommen habe, einen konkreten Verwendungszweck dafür hatte. Einfach im Bewusstsein, du musst da drin bleiben, dich weiter bilden, musst ein Gefühl dafür bekommen, wohin sich die Welt entwickelt. Außerdem kommt man dabei in Kontakt mit anderen Menschen und es entwickelt sich ein wichtiger, disziplinübergreifender Austausch, damit man nicht nur in seiner eigenen Blase bleibt, ich beispielsweise in meiner Jura-Blase. Ich arbeitete ja in einer Unternehmungsberatung, wo man sonst nur unter seinesgleichen ist sowie Kontakt zu Investmentbankern hat. Es ist wichtig, sich manchmal zu zwingen und aufzuraffen, um etwas anzugehen, was nicht im direkten Zusammenhang mit der eigenen Tätigkeit steht. Allein um geistig flexibel zu bleiben, auch im jungen Alter, und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Welt tickt und wohin es geht.
Solche Kontakte sind die Basis für die Netwerke, die Sie für entscheidend halten. Ist das in den USA aufgrund einer anderen Kultur der Begegnung vielleicht einfacher als in Deutschland?
Sandra Navidi: Auf jeden Fall ist es in den USA viel einfacher zu netzwerken, wobei es in Deutschland über die vergangenen zwei Jahrzehnte besser und lockerer geworden ist. Trotzdem besteht in Deutschland bis heute eine gewisse Skepsis dem Netzwerken gegenüber, es wird als unfair empfunden, als manipulativ, und weil es zum Teil mit Eigenwerbung verbunden ist, schaut man ein bisschen darauf herab. In Amerika dagegen wird es als ganz legitim angesehen, was jede und jeder im Business braucht, egal welcher Art Geschäftsmann oder Geschäftsfrau, ob Arzt oder Rechtsanwältin. Es muss jeder machen, von daher wäre es heuchlerisch so zu tun, als ob man es nicht bräuchte. Ich finde die Einstellung gegenüber Netzwerken hier in den USA deshalb gesünder und ehrlicher. In unserer vernetzten Gesellschaft sind nun mal Kontakte und menschliche Netzwerke das Nervenzentrum der wirtschaftlichen Tätigkeit, ohne das geht nichts. Es kommt im Grunde niemand darum herum. Zu sagen, ich tue mir das nicht an, ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Außerdem ist es in vielerlei Hinsicht bereichernd. Gut vernetzt und Teil einer Community zu sein, ist nachweislich gesund, psychisch wie physisch, und wirkt sich positiv auf die persönliche und berufliche Zufriedenheit aus.
Manchen fällt es aber schwer, mit anderen in Kontakt zu treten oder für sich zu werben.
Sandra Navidi: Die Tätigkeit des Netzwerkens, das kann ich unterschreiben, erfordert Überwindung, weil man Fremden gegenüber treten muss, und evolutionsbedingt verbinden wir das automatisch mit Gefahr. Es ist immer etwas unangenehm, daher auch der Ausdruck, man muss aus seiner Komfortzone heraus. Auch heute noch, wenn ich in New York in einen Raum komme und ich kenne dort niemanden, dann kostet mich das auch Überwindung, da hinein zu gehen, zu lächeln und auf Leute zuzugehen. Aber im Endeffekt ist es bereichernd. Wenn man eine holistische Netzwerk-Einstellung und ein positives Menschenbild hat, kann man von fast allen Menschen etwas lernen. Und viele sind doch oft viel netter, als man das auf den ersten, vorurteilsbehafteten Blick vermuten würde.
Wie wichtig ist es für den Erfolg aufzufallen?
Sandra Navidi: Die Digitalwirtschaft ist eine Aufmerksamkeitswirtschaft. Es wird auch bei großen Konzernen um Aufmerksamkeit, um Klicks gebuhlt. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne soll bei rund acht Sekunden liegen, bevor die Leute wieder wegklicken. Das trifft auf jede Branche zu. Aufmerksamkeit für sich und für die Leistungen oder Produkte zu bekommen, die man vertreibt, das ist schon mal wichtig. Wenn alle Männer graue Anzüge und eine Brille sowie eine blaue Krawatte tragen, dann sticht der einzelne weniger hervor. Wenn ich auf Events gewesen bin, dann erinnern sich die Leute häufig an mich, weil ich als eine der wenigen anwesenden Frauen aufgefallen bin. Was auffällt, das prägt sich ein. Aber es muss dabei nicht laut oder schrill sein. Man sollte sich vor allem treu zu bleiben, nicht jedem Trend folgen, und authentisch seinen eigenen Stil kultivieren. Wenn alle sich operieren lassen, um auszusehen wie Kim Kardashian, dann wird wieder der Typ mehr geschätzt, der ganz natürlich ist. Darum ist es wichtig authentisch zu sein, ohne in der Masse unterzugehen. Denn es ist nicht nur wichtig, wen ich kenne, sondern auch wer mich kennt und sich an mich erinnert.
In der Pandemie gibt es die Möglichkeit durch Zoom-Konferenzen oder Skype im Homeoffice zu arbeiten. Glauben Sie das wird so bleiben?
Sandra Navidi: Der größte Wettbewerbsvorteil, den wir haben, ist unser Menschsein. Und das lässt sich nur begrenzt digital übertragen. Das sehen Sie auch hier in New York, das mit am schlimmsten von der Pandemie betroffen war und sich relativ rasch erholt hat. Die Unternehmen hier rufen jetzt in die Büros zurück und spätestens im September sollen alle zurückkehren, corona-angepasst, mit versetzten Arbeitszeiten und social distancing. Das liegt ganz klar daran, dass persönliche Präsenz ein Wettbewerbsvorteil ist, allein auch schon innerhalb einer Firma unter den Angestellten. In persönlicher Interaktion kann man bei Vorgesetzten besser Pluspunkte sammeln. Allein wo man seinen Schreibtisch im Büro platziert hat, macht einen riesigen Unterschied im Hinblick auf den Einfluss, den man im Unternehmen hat und auf die Karrierechancen. Wer sich als erster persönlich mit Kunden trifft und den Auftrag einfährt, der wird eine Sogwirkung unter anderen auslösen. Mal abgesehen davon, dass viele zuhause nicht gut arbeiten können, aufgrund beengter Verhältnisse oder Kindern. Viele brauchen auch das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, brauchen die Abwechslung. Etliche, die ich kenne, die eine lange Pendelzeit zum Büro haben – typischerweise mit Familie, großem Haus und Pool im Vorort, was man sich in der Stadt nicht leisten könnte – lieben diese Anfahrtswege, weil, wie sie sagen, es die einzige Zeit am Tag ist, die sie für sich haben. Auch das ist ein Grund, warum die Leute zurück in die Stadt und Büros wollen. Zum Teil wird natürlich der virtuelle Austausch bleiben, das macht ja auch Sinn. Aber der Drang nach dem zwischenmenschlichen Kontakt, der wird ganz klar bestehen bleiben.
Das ausführliche komplette Interview können Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.