Der heftige Zank unter den Politikern der drei Parteien der Ampel-Koalition hat in den letzten Wochen und Monaten für viel Spott gesorgt. Immer wieder wurde medial das Bild erzeugt, dass da nicht zusammen wachse, was halt auch nicht zusammen gehöre. Von Zwangsehe war die Rede, die ja nur noch daraus bestünde, dass eine Auflösung der Koalition von SPD, Grünen und FDP für alle der daran Beteiligten halt noch schlimmer sei als der Horror des Zusammenseins. Nun hat Kanzler Olaf Scholz vor der Verabschiedung des Parlaments in die Sommerpause eine völlig andere, durchaus interessante Erzählung vorgelegt. Es habe auch deshalb „so lange gefeilt werden“ müssen, weil es viele „nicht ausverhandelte Positionen“ in der Gesellschaft gebe, sagte der SPD-Politiker im ARD-„Sommerinterview.“ Somit hat er den Zank in seiner Koalition als Abbild verschiedener Positionen in Deutschland gewürdigt. In diesem Falle wäre die „Ampel“ natürlich die adäquate Abbildung der sich widersprechenden Interessen in Deutschland.
„Fast alle“ (haha, wir wissen, wen Scholz meint, wer nicht zu den „allen“ gehört) stimmten zwar dem Ziel zu, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein solle – die Frage, wie dies konkret umgesetzt werde, sei damit aber noch nicht geklärt. Deshalb sei es „wohl leider notwendig“ gewesen, viele Einzelheiten lange zu besprechen. „Wir werden die Klimaziele in Deutschland einhalten“, versicherte der Kanzler zugleich. Die Stimmung in der Koalition mit FDP und Grünen bewertete der Bundeskanzler insgesamt positiv. Im persönlichen Umgang herrsche sehr viel Vertrauen. Das sei immer sehr freundlich, sogar bei ganz lange dauernden Koalitionsausschüssen. „Das Menschliche funktioniert. Das ist ja schon mal eine gute Grundlage“, sagte Scholz.
Freut uns! – so möchten wir ausrufen. Und den Seitenhieb auf die Union hat auch jeder vernommen. Ob nämlich dort das Menschliche zwischen Merz, Söder, Wüst und Günther so klasse ist, weiß keiner. Allerdings mahnte Scholz für seine Koalitionäre aber auch einen gemäßigteren Umgangston an: „Ich wünschte mir schon, dass manche Diskussionen leise stattfinden“, sagte der Kanzler. Und na ja, seine Stimme erhob sich während des Interviews ja auch nicht über das unvermeidliche Maß, um überhaupt noch gehört zu werden. Scholz ist ja meistens ein Leisesprecher. Dass die nötigen Diskussionen aber „deshalb weniger lange stattfinden, wenn es so schwierige Probleme sind – das kann man nicht immer hoffen“, so Scholz.
Macht er gut, der Kanzler. Das riecht nach ehrlicher Arbeit, wenn quasi alle im Schweiße ihres Angesichts lange um die beste Lösung miteinander ringen, der Lindner mit dem Habeck, die Baerbock mit dem Klingbeil, der Wissing mit der Paus. Und er selbst, der Olaf? Er ringt nicht mal mit sich. Und seine Begründung dafür hat es in sich: Das Standard-Modell für Führung, das manche Menschen super fänden, sei John Wayne. Aber so funktioniere das nicht. „Tatsächlich ist das hier eine Familie aus drei Parteien und über 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die alle eine Meinung zu all den Themen haben, wie wir unsere Zukunft gewinnen können.“ Seine Aufgabe sei, dass alle mitmachen.
Da hat sich der Kanzler buchstäblich ein bisschen vergaloppiert. Weil erstens heute nicht mehr all zu viele Leute John Wayne überhaupt noch kennen (wahrscheinlich ist Olaf Scholz in seiner Kindheit ein Westernfan gewesen), und schon gar nicht die ganze Familie mit über 80 Millionen Leuten. Und das ist die zweite Delle in der Erzählung von Scholz: Selbst zu dem Zeitpunkt, als er zum Kanzler gewählt wurde, haben dies ja nicht über 80 Millionen Wähler/innen gemacht, sondern wohlwollend betrachtet ein Fünftel davon – von heutigen Umfragewerten gar nicht erst zu sprechen. Es ist daher sehr forsch, wenn Olaf Scholz es als seine Aufgabe sieht, „dass alle mitmachen“, wo er doch von 80 Prozent der Leute weder gewählt wurde noch gewählt werden wird.
Unterm Strich bleibt dennoch festzuhalten, dass seine Regierungskoalition lebt und mehr anpackt als die Union in den 16 Jahren zuvor.