Dreieinhalb Wochen lang arbeiteten vier junge armenische Künstlerinnen fast Tag und Nacht in Freiburg in der Zähringer Künstlerwerkstatt L6, um ihre Werke in einer Ausstellung zu zeigen, mit der sie sich erstmals Deutschland – und zum ersten Mal überhaupt international — präsentieren. Organisiert und möglich gemacht hat diesen insgesamt zweimonatigen Arbeits- und Ausstellungsaufenthalt ihr Mentor, der Freiburger Künstler
Herbert X. Maier.
Er hatte 2018 eine Ausstellung in der armenischen Hauptstadt Jerewan, in deren Rahmen er dann auch Workshops für armenische Kunststudentinnen und -studenten anbot. Inzwischen reist er nahezu jährlich nach Armenien, um dort weitere Kunst-Workshops zu veranstalten.
Die vier armenischen Künstlerinnen zwischen 23 und 25 Jahren, Manana Makarayan, Milena Gevorgyan, Lilit Arzumanyan und Mane Khachatryan, waren Teilnehmerinnen einiger dieser Kurse. Sie arbeiten eng zusammen und haben inzwischen ihr Kunststudium mit Examen abgeschlossen. Als freischaffende Künstlerinnen verstehen sie sich als Kollektiv, auch wenn jede von ihnen ein ganz eigenen Stil in ihren Arbeiten verfolgt.
Ihr Medium ist die Drucktechnik. Dieser Schaffensprozess verlangt unbedingte Hingabe zur Präzision und Geduld. „Wir lieben diesen langen Prozess“, bekräftigen die vier. Gleichzeitig bietet es Überraschungsmomente, denn was als Druck auf dem Papier schließlich herauskommt, ist unabänderlich. Alle Werke, die in der Kunstwerkstatt L6 in der Lameystraße 6 noch bis 16. Dezember zu sehen sind, wurden in diesen drei Wochen hier angefertigt und auf den alten, eindrucksvollen Maschinen im Raum gedruckt. Es sind nachdenkliche, bisweilen düster wirkende und äußerst kreative, eigenwillige Werke, die hier zu sehen sind. Verarbeitet haben die jungen Frauen das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat, die Fluchtbewegungen und persönliche tiefe Empfindungen.
Wenn man sie fragt, wie sich ihr Wunsch, als Künstlerinnen zu leben und zu arbeiten geformt hat, lächeln sie. Keine von ihnen kommt aus einer Künstlerfamilie, aber alle hatten sie den Traum künstlerisch tätig zu werden. „Man muss nur ein Familienmitglied finden, das an dich glaubt und dich unterstützt, dann findet man die Kraft“, sagt Milena Gevorgyan. Und stolz fügen sie hinzu, auch wenn ihnen immer wieder vorgehalten wird, dass sie mit einem anderen Studium, einer anderen Berufsausbildung besser und sicherer im leben stünden, so gelte doch: „Wir überleben!“.
Sie sagen aber auch, dass es in ihrem Alltag hart sei, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, wegen des Konflikts mit Aserbaidschan, der Verlust von Bergkarabach, die Flucht der dort lebenden Armenier. „Jeden Morgen wacht man auf und liest über einen neuen Krieg und über Todesfälle in der Zeitung“. Und sie fügen hinzu: „Uns fehlt Gerechtigkeit in Armenien und eine Politik, die ein Gespür für die Menschen hat“.
Ein Zustand, der etwas Lähmendes für die künstlerische Kreativität hat. „Man möchte arbeiten, aber es ist, als ob die Hände aus Stein sind. Man fühlt sich so klein“, beschreiben sie ihre momentanen Gefühle. Andererseits ist da ihr Wille, den Menschen dieses Leid zu zeigen. „Die Geschichte Armeniens ist voller Krieg. Immer will jemand Armenien etwas wegnehmen oder schaden.“
Der Titel ihrer Ausstellung lautet „3 9 4 5“, die Entfernung von Jerewan nach Freiburg. Es war aber nicht nur die Distanz, die den Aufenthalt der Künstlerinnen schwierig gemacht hat. Die armenische Regierung ist sehr strikt in der Genehmigung von limitierten Visa, zunächst schien es nicht möglich noch welche für dieses Jahr zu bekommen. Herbert Maier, der sich bereits um Fördergelder gekümmert hatte, nahm Kontakt mit der Botschaft auf und erreichte schließlich, dass Grünes Licht gegeben wurde. Die Stadt Freiburg übernahm die Flugkosten, das Regierungspräsidium gewährte ebenso eine Unterstützung, der Freiburger Künstlerbedarf Boesner spendete Material und der Verein L6 stellte die Werkstatt sowie eine kleine Künstlerwohnung darüber zur Verfügung. Die Werke von Lilit Arzumanyan sind geprägt vom Konflikt um Karabach, vom Chaois und ihrer inneren Gefühlswelt. Eindrücklich zeigt das auch ihr Werk „Mutter und Soldat“, das auch Mutter und Kind heißen könnte. Auch die Druckgraphiken von Mane Khachatryan reflektieren Kriegstraumata und das Suchen nach Licht und Hilfe. Wie es ist, am Versuch zu scheitern, einen wichtigen, aber schwierigen Menschen zu ändern, zeigt Milena Gevorgya in einem Doppelbild. Auf dem zweiten Bild ist das Gesicht zerschnitten und die Zinkplatten-Vorlage damit unwiderbringlich zerstört.
Äußerst ungewöhnlich ist die Serie „Gefilterte Erinnerungen“ von Manana Makarayanid. Für jede Erinnerung hat sie ein Symbol festgehalten, umschlungen von einem langen Haarzopf. Dann verändern sich die Werke, die unguten Erinnerungen werden eliminiert, weiße Löcher entstehen, bis alles schließlich nur noch weiße Flecken sind, das Gedächtnis „bereinigt“ und bereit für einen Neuanfang ist.
Ausstellung „3 9 4 5“
Künstlerwerkstatt L6
Lameystraße 6
Freiburg-Zähringen
Noch bis 16. Dezember
Do – Fr: 16 -19 Uhr
Sa: 11 – 17 Uhr