Ununterscheidbar am gleichen Strang, nach rechts!

Friedrich Merz hat den furchtbaren Anschlag von Solingen in Windeseile für parteipolitische Ziele instrumentalisiert. Das kann man durchaus widerlich finden. Es ist Panik-Mache.

Fotomontage: Adrian Kempf

Friedrich Merz ist ein lausiger Stratege. Wenn er aus wahltaktischen Gründen nach vorne prescht, dann sieht er vor lauter Scheuklappen nicht, was das langfristig für ihn (und seine Partei) bedeutet. Ein schlimmes Beispiel dafür lieferte Merz nach dem Anschlag in Solingen, wo ein syrischer Flüchtling auf einem Volksfest wahllos auf die Besucher einstach und dabei drei Menschen tötete. Der Impuls, dem Merz bei seiner Reaktion auf diesen mörderischen Anschlag folgte, ist noch nachvollziehbar. Wem von uns ging es anders, als Wut, Fassungslosigkeit und Entsetzen zu spüren? Und natürlich wünschte man sich, dass so ein Anschlag einfach nicht passieren dürfe. Wenn Merz in seiner Reaktion („Es reicht“) aber so tut, als würde unter ihm als Kanzler so ein Attentat nicht stattfinden, dann ist das ja geradezu eine Einladung an alle Terroristen dieser Welt, ihm das Gegenteil zu beweisen, wenn er denn Kanzler werden sollte. 

 
Friedrich Merz erweckt den Eindruck, als könne  auf Knopfdruck die Gefahr solcher Anschläge gebannt werden. Man müsse nur seinen Maßnahmen folgen und dann ist alles gut. Tja, da ist sie wieder, diese unsägliche Großtuerei des Friedrich Merz, wie er früher mal versprochen hat, dass unter ihm als CDU-Chef der Zuspruch der Wähler an die AfD halbiert würde. Große Worte entfalten nicht immer große Wirkungen. Manchmal ist es halt bloß hohle Angeberei.

Worin die Gefahr von Merz Populismus besteht

Allein schon die Tatsache, dass Friedrich Merz nur Stunden nach dem Anschlag von Solingen auf seiner Homepage unter „Es reicht“ einen „Maßnahmenkatalog“ veröffentlichte, kann man durchaus widerlich finden. Denn damit instrumentalisierte Merz die grausige Tat sofort für parteipolitische Ziele. Prompt durfte er in der „ARD-Tagesschau“ ein Statement abgeben, mit  einem wütend entschlossenen Gesichtsausdruck, der bedeuten sollte, dass mit dem Superhelden Merz nicht gut Kirschen essen ist. Und immer, immer, immer schwingt die gleiche Botschaft mit: Der Bundeskanzler Scholz habe sein Land nicht im Griff. Bei Merz klingt das fast schon so, als habe Olaf Scholz das Attentat von Solingen verübt. „Es reicht“, heißt hier wohl, dass Merz die Vergehen des Kanzlers persönlich geißeln will. Die Peitsche dafür trug er zumindest auf seinen Stirnfalten zwischen den zornigen Augen. 

Nun ja, der kleine riesengroße Fehler in dieser Zornes-Arie von Merz lag halt darin, dass das entscheidende Versäumnis vor dem Anschlag nicht von der Bundesregierung begangen wurde, sondern von den Behörden das Landes Nordrhein-Westfalen, wo bekanntlich die CDU regiert. Denn diesen Behörden gelang es nicht, den späteren Mörder nach Bulgarien abzuschieben, obwohl ein Beschluss dafür vorlag.

Doch auch andere „Maßnahmen“, die Merz forsch forderte, sind nur Nebelkerzen. Weil der Täter aus Syrien kam, forderte Merz zunächst ein generelles Aufnahmeverbot für alle Syrer und Afghanen. Inzwischen scheint er immerhin verstanden zu haben, dass das so nicht möglich ist. Der Idee, für die Tat eines Einzelnen ganze Volksgruppen in Mithaftung zu nehmen, stehen sowohl das Grundgesetz als auch die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention entgegen. So hat der CDU-Chef sich wohl von kundigen Mitarbeitern erklären lassen, dass selbst der tolle Hecht namens Merz sich nicht einfach über internationale und europäische Gesetze hinwegsetzen kann, selbst dann nicht, wenn er Kanzler würde.

Ja, was nun? Es ist wie so oft: Einmal in der falschen Ecke gelandet, ist alles weitere nur noch dazu da, einen meist schlechten Ausweg zu finden. Flugs präsentierte Merz also eine neue Idee: Nun soll eine nationale Notlage ausgerufen werden, um Flüchtlinge – und dabei geht es nicht mal mehr nur um Syrer und Afghanen – ganz generell an der deutschen Grenze zurückweisen zu können, wenn sie aus einem sogenannten sicheren Drittstaat kommen. Die Idee, für viele Leute so verlockend: Den Zaun um Deutschland hochziehen – und alles wird gut. Wem dieses Gedankengut irgendwie bekannt vorkommt, der liegt nicht falsch. Merz macht sich und seine CDU zum Verwechseln ähnlich mit der AfD. Mit dieser Taktik weist er die rechtsextremistische AfD nicht etwa in ihre Schranken, sondern macht deren Gedankengut salonfähig. CDU und AfD ziehen in dieser Frage nahezu ununterscheidbar am gleichen Strang. Warum dann demnächst nicht gleich miteinander regieren?  Die sogenannte „Brandmauer“, die Merz stets verkündet, hat angesichts seiner verbalen Zündelei bereits erhebliche Löcher.

Aber zurück zu der Idee der „nationalen Notlage.“ Diese wäre ein Instrument, sich zeitweise über europäisches Recht hinweg zu setzen. Was natürlich im Umkehrschluss auch bedeutet, dass Merz kapiert hat, dass es ohne die „nationale Notlage“ eben nicht möglich wäre, dass Deutschland die EU-Gesetze missachtet. Also sieht er darin den Ausweg für seine populistische Offensive, die eigentlich eine Misere ist. Doch was begründet eigentlich eine „nationale Notlage“?  Wann ist der Staat in einer Notlage? Doch nur dann, wenn aus welchen Gründen auch immer seine Institutionen einer schweren Störung ausgesetzt wären, wenn beispielsweise eine Naturkatastrophe das ganze Land verwüsten würde, vielleicht auch, wenn eine schwere Pandemie das Land lahmlegen würde oder der Andrang von Flüchtenden so groß wäre, dass er alle Aufnahme- und Versorgungskapazitäten sprengen würde. Das war bisher – zum Glück – noch nie der Fall. Nicht während der großen Flüchtlingszuwanderung 2015, nicht während der Coronapandemie und auch nicht zu Beginn des Ukrainekriegs, als Hunderttausende Ukrainer und Ukrainerinnen hier Zuflucht suchten. 

Und jetzt soll nach dem Willen von Merz eine nationale Notlage ausgerufen werden, weil ein Attentäter drei Menschen auf einem Volksfest getötet hat? Man verharmlost diese grauenhafte Tat sicher nicht, wenn man doch darauf hinweist, dass Merz sie mit dem Ausrufen einer „nationalen Notlage“ rein parteipolitisch missbraucht. Wie sieht es im Vergleich mit dem Attentat  von Hanau aus, bei dem 2020 neun Menschen mit Migrationshintergrund aus einem rassistischen Motiv heraus von einem Deutschen getötet wurden? Hat da irgendjemand eine „nationale Notlage“ ausrufen wollen? Sicher nicht. Und würde Merz dies jetzt fordern, wenn der Täter von Solingen ein deutscher Mörder gewesen wäre. Wohl kaum. Das bedeutet, dass Merz Panik schürt, wo genau das Gegenteil angebracht wäre, zumindest für einen verantwortungsbewussten Politiker. Merz beweist erneut, dass er das nicht ist. Er diskreditiert sich selbst für das Amt des Bundeskanzlers, das er anstrebt. Denn er zieht am gleichen Strang wie Höcke und Co. – immer schön nach rechts!

Das vergiftete Angebot von Merz an Scholz

Da er sich nun einmal impulsgesteuert für den Weg der großen Randale entschieden hat, war Merz dann auch noch naiv genug, Kanzler Scholz ein vergiftetes Angebot zu unterbreiten, das dummerweise den Nachteil hatte, dass selbst politische Anfänger den Schierlingsbecher, den Merz da reichen wollte, riechen konnten. Und, na ja, ein Anfänger ist Olaf Scholz jedenfalls nicht. Merz sagte also, er habe dem Kanzler eine Zusammenarbeit angeboten: „Also wenn wir uns zusammenraufen, Union und SPD, dann brauchen wir weder die FDP noch die Grünen, um entsprechende gesetzliche Änderungen zu vollziehen.“ Wieder das Geplustere von Merz in den Medien, um Wähler damit zu begeistern.  Sein Vorschlag wäre – ganz praktisch aus seiner Sicht – geeignet gewesen, die Ampelkoalition zu sprengen. Hat Scholz natürlich nicht gemacht.

Mit seiner Rhetorik trägt Merz maßgeblich dazu bei, inzwischen gefolgt vom hilflosen FDP-Chef Lindner, dass alle Probleme in Deutschland nur auf die Migration geschoben werden. Blöd! Und dass er den „Migrationsgipfel“ seiner Union mit der Ampel krachend hat platzen lassen, soll auch nur dazu dienen, das Reizthema für den Bundestagswahlkampf 2025 zu benutzen. Am schlimmsten ist, dass diese Großkopferei ganz schnell über die Opfer hinweg geht. Das kann man und muss man Merz übel nehmen.