Sich frei schwimmen

Die Spitzen der Ampel-Koalition streiten inzwischen schon auf offener Bühne. Sie haben ganz verschiedene Vorstellungen, wie der schwächelnden deutschen Wirtschaft geholfen werden soll.

Fotomontage: Adrian Kempf

Mit den Ampel-Männern ist es ein bisschen so, wie es einstmals bei Berti Vogts als Bundestrainer war.  Der Bundes-Berti formulierte damals die Sachlage mit dem grandiosen Satz: „Wenn ich übers Wasser gehe, dann sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann der.“ Natürlich ist jetzt nicht mehr erinnerlich, welche – womöglich falsche  – Taktik der „Terrier“ damals gewählt hat. Sicher ist aber, dass bissige Kommentare zwischen Christian Lindner, Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz derzeit erheblich zunehmen. Zu bewundern kürzlich zur besten Sendezeit im ZDF: Olaf Scholz flimmerte zur 1.000sten Sendung von Maybrit Illner als Solo-Gast über die Bildschirme. Und dies direkt nach dem „„Heute-Journal“, wo Christian Lindner per Satellit in Washington interviewt wurde und beklagte, dass es am „Einvernehmen in der Regierung“ mangele und die jeweiligen Vorschläge von Olaf Scholz und Robert Habeck zur Investitionsförderung in der deutschen Wirtschaft nicht mit ihm abgestimmt worden seien. Und hinterher also das Solo-Interview mit Kanzler Scholz, in dem er auf die Einlassungen von Lindner nicht eingehen konnte, weil er zum Zeitpunkt des Interviews gar nicht von ihnen wusste. Denn die Sendung mit Scholz, in der er Gelassenheit und Zuversicht verbreitete, war schon zuvor aufgezeichnet worden. Durch die Tücken der Sendezeit war also schon dahin, was Scholz so gerne zu vermitteln versucht. Der Kanzler, Christian Lindner und Robert Habeck können alle nicht übers Wasser gehen. Sie schwimmen.

Der Streit auf offener Bühne ist wahrscheinlich der Anfang vom Ende der Ampel. Finanzminister Christian Lindner geißelt die Wirtschaftspolitik der eigenen Regierung und damit den zuständigen Minister Robert Habeck. „Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt“, sagt der FDP-Politiker in Richtung seines Kabinettskollegen Habeck von den Grünen, zur besten Sendezeit im ZDF. Lindner führt aus:  Ohne Wachstum gebe es weniger Steuereinnahmen. Es brauche jetzt eine andere Wirtschaftspolitik, weniger Steuerlast, weniger Bürokratie, weniger Ideologie. Wenn Habeck nun wieder nach Subventionen rufe, sei das „konzeptionelle Hilflosigkeit“. Auch den Regierungschef kanzelt Lindner ab. Insbesondere dass der Kanzler die Industrie und Gewerkschaftsvertreter zum Gipfel eingeladen hat, ihnen Hilfe und Strompreisrabatte in Aussicht stellen könnte, findet nicht Lindners Zustimmung. „Nein, die Vorschläge von Herrn Scholz waren nicht abgestimmt und die von Herrn Habeck auch nicht.“ Solche Äußerungen auf offener Bühne belegen: Die Spitzen der Ampelkoalition bemühen sich nicht einmal mehr, ihre Differenzen zu kaschieren. 

Deutschlands Wirtschaft ist in der Krise, und deshalb prallen die unterschiedlichen Lösungskonzepte von FDP auf der einen, SPD und Grünen auf der anderen Seite aufeinander. Lindner will woanders sparen, er hat auch die Wohnkosten für Bürgergeldempfänger und geflüchtete Ukrainer im Blick – um so Spielräume für Entlastungen der Unternehmen zu schaffen. SPD und Grüne würden dagegen gerne für neue Investitionen die Schuldenbremse lockern. Der FDP-Chef meint, die Differenzen seien ein Problem: „Dadurch entsteht nämlich Unsicherheit.“ Und dann folgt noch eine Spitze gegen die beiden anderen: 50 Prozent der Probleme in der Wirtschaftspolitik, angefangen bei der Zurückhaltung der Investoren, würden „mit politisch gemachter Unsicherheit“ zusammenhängen. Nun ja, dass er und seine FDP ein Teil der Ampel-Streiter sind und so selbst für die Unsicherheit beim Regierungskurs maßgeblich beitragen, lässt Lindner bei seinen Aussagen mal außen vor. Lieber stellt er ein verkapptes Ultimatum, via ZDF-Interview. „Diesen Herbst muss Klarheit geschaffen werden, in welche Richtung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik dieses Land geht.“ Wenn man da nicht weiterkomme bei dem, was das Land jetzt wirklich brauche, „dann müssen alle sich die Karten legen“. 

Diese öffentliche Nabelschau dürfte wohl ein absichtlich herbei geführter Vorgeschmack darauf sein, dass die Ampel frühzeitig zerbricht. Ganz konkret geht es dabei ja um den Haushalt 2025. Bis zum 14. November muss er stehen, dann ist die Bereinigungssitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses. Zum Knackpunkt, neben den ohnehin fehlenden Milliarden, wird die Frage, mit welchen Maßnahmen und wie viel Geld zusätzlich der schwächelnden Wirtschaft geholfen werden kann. Findet man nicht zusammen, wird als möglicher Neuwahltermin der 9. März gehandelt.

Und ja, das wäre wohl besser für alle. Denn die Streiterei ist eine Zumutung. Wer kann nach der Wahl übers Wasser gehen – Friedrich Merz, Olaf Scholz oder gar Robert Habeck?