Wie ist das eigentlich mit dem Schirm? Jeder weiß es, dass es eine gute Idee ist, einen solchen dabei zu haben, wenn dunkle Wolken am Himmel drohen. Es gibt diese Dinger ja in bunten Farben, quasi voll woke Lebenseinstellung wie sonst nur bei der Regenbogenbinde des deutschen Mannschaftskapitäns Manuel Neuer bei der WM in Katar. Man kann sie auch eher in grau oder sogar schwarz mit sich tragen, also sozusagen passend zum Unheil, das von oben droht. Eine ganz besondere Betrachtung verdient hier allerdings das Angebot des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich „eine offene Diskussion“ der Europäer über die Frage wünscht, dass Frankreich seinen „Atomschirm“ auch über Europa aufspannen könnte. Europa solle sich nun endlich auch einer Diskussion über seine eigene nukleare Abschreckung öffnen – und das zwangsläufig, je mehr sich die USA zurückziehen. Auch Deutschlands voraussichtlich nächster Kanzler, Friedrich Merz, scheint sich einer atomaren Zusammenarbeit in Europa nicht zu verschließen, schließlich gerät gerade alles in Bewegung. Unproblematisch wird diese Diskussion über einen neuen Nuklearschirm dennoch nicht – weder in Europa noch in Frankreich selbst. In der Europäischen Union verfügt seit dem Brexit nur noch Frankreich über Atomwaffen. Zusammen mit den britischen bringt man es auf 515 nukleare Sprengköpfe, laut einer Berechnung des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung, kurz Sipri – 290 französische und 225 britische. Na ja, immerhin. Denn es geht ja nicht darum, wer den Overkill garantieren kann. Sondern darum, auch ohne den Schutz der USA zu überleben.
Frankreichs Präsident rät schon lange zur strategischen europäischen Autonomie. Er bietet Europa nun wieder an, über eine Öffnung des französischen Atomschirms zu reden. Und ja, Emmanuel Macron versteht sich jetzt als ungehörten Propheten auf dem Kontinent, als einer, der alles kommen sah. „Seit sieben Jahren hört man mich über europäische Souveränität und strategische europäische Autonomie reden“, sagte Frankreichs Präsident nach dem historischen Eklat im Weißen Haus, der wohl die Welt verändert. Motto: Hab ich es euch nicht immer gesagt?
Und das hat er ja tatsächlich. Denn an eindringlichen Reden über eine starke, gemeinsame europäische Verteidigung, die zur Not auch ohne die USA auskäme, ließ es Macron seit seiner Wahl 2017 nie mangeln. Von ihm stammt auch das „böse“ Bonmot, die Nato sei „brain dead“, hirntot. Das sagte er 2019, also vor dem Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine. Und lange vor der Wiederwahl von Donald Trump und dessen Disruption der transatlantischen Gepflogenheiten. 2022 mahnte der Franzose an, es sei Zeit, auf „Kriegswirtschaft“ zu schalten. 2024 sprach er von der Möglichkeit, westliche Truppen in die Ukraine zu entsenden. An klaren Worten fehlte es also nie.
Wollte nur keiner hören, vor allem nicht der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der ein eher unterkühltes Verhältnis zu Macron pflegte. Hier darf man schon anfügen, dass Scholz ein geradezu naives Verhältnis zu den USA hatte und immer wieder predigte, dass er alles immer nur zusammen mit dieser Führungsmacht machen werde. War ja zu Zeiten von Biden als US-Präsident noch okay, hatte aber nicht wirklich auf der Rechnung, dass die USA als Schutzmacht völlig ausfallen könnte. So wie es jetzt unter Trump der Fall zu sein scheint.
Man warf Macron zwar oft vor, sein Reden korreliere nicht immer mit den Taten, auch das zu Recht. So war (und ist) etwa das konkrete finanzielle und militärische Engagement Frankreichs für die Ukraine geringer als das anderer, auch kleinerer Staaten – zumal wenn man es an der jeweiligen Wirtschaftsleistung misst. Aber jetzt ist sein „Habe ich es euch nicht gesagt?“-Moment. Er telefoniert herum, das Élysée kommt kaum nach mit den Kommuniqués, reist von Gipfel zu Gipfel, wenn er sie nicht selbst organisiert. Es sei „Viertel vor zwölf“, sagte Macron in einem Interview mit einer Reihe französischer Sonntagszeitungen. „Aber wir haben es noch in der Hand, dieses strategische Aufwachen in Europa zu schaffen.“
Eine führende Rolle nimmt hierbei der britische Premierminister Keir Starmer ein, der eine „Koalition der Willigen“ gründen will, die einen Frieden in der Ukraine absichern sollen. Da denken wir, na klar, sofort an „Mit Schirm, Charme und Melone.“ Atomschirm britisch-französisch, Charme eher Macron, Melone ganz klar bei Starmer. Der will auch „Truppen am Boden und in der Luft“ bereitstellen. Wenn in diese Koalition der Willigen auch Italien einsteigen sollte, könnte man glatt von „Schirm, Charme und Meloni“ sprechen. Doch die Italienerin ist derzeit noch beleidigt.