Ddie Bayreuther Festspiele sind das Musikereignis des Jahres in Deutschland schlechthin! In seinem neuen Kino-Dokumentarfilm „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ geht der renommierte Regisseur, Journalist und Publizist Axel Brüggemann auf Spurensuche: Wie kann es sein, dass das Festspielhaus in der fränkischen Provinz jeden Sommer zum Mekka für Wagnerianer aus der ganzen Welt wird? Wie konnte Bayreuth in der Monarchie König Ludwigs, in der faschistischen Diktatur und in der Demokratie das „Wohnzimmer der Deutschen“ bleiben – trotz der harten Sitze? Der äußerst gelungene und kurzweilige Film bietet einen intimen Blick hinter die Kulissen des Festspielhauses – vom Orchestergraben mit Christian Thielemann bis auf Katharina Wagners Terrasse.
Wie kennen uns ja schon lange aus frühen Journalistenzeiten, umso mehr habe ich mich gefreut, als ich erfahren habe, dass du einen Kinofilm über Wagner gedreht hast. Dieser lebendige Dokumentarfilm ist aber derart respektlos, dass er womöglich abtörnend wirken könnte auf Menschen, die bislang noch nicht so viel mit Wagner oder Bayreuth am Hut hatten.
Axel Brüggemann: Grundsätzlich kann man sagen, Wagner kann immer abtörnend wirken (lacht). Wagner ist ein Komponist, der sich nicht leicht erschließt, der von uns erwartet, dass wir uns ihm immer hingeben, dass wir keine eigenen Gedanken mehr haben.
Einen Wagner-Film kann man entweder so machen, dass man Wagner von Grund auf erklärt, oder so, dass man ihn als Mysterium darstellt. Ich habe mich für das Zweite entschieden, weil ich glaube, dass es biografische Filme schon genug gibt, die die Vita von Wagner erzählen, wie der Märchenkönig Ludwig II. ihm ein Opernhaus baute und was das mit Nietzsche auf sich hat. Es gibt über Wagner mehr Bücher als über Jesus. Ich wollte den Blick etwas verschieben, nur so kann ich den Mythos herunter brechen, beispielsweise mit dem Metzger-Ehepaar Rauch, das ganz unbefangen über diesen komischen Komponisten redet, die keine Ehrfurcht weder vor Wagner noch vor Bayreuth haben. Das war mir wichtig zu zeigen, am Ende sind es immer Menschen, die Kunst verehren. Und um diese Menschen ging es mir eigentlich, weniger um Wagner.
Diese Menschen also, die sagen, Wagners Musik sei für sie wie ein Schaumbad, die fette Goldketten tragen und lautlos bei jeder Oper mitsingen…
Axel Brüggemann: (Lacht) Die Wagner-Monster meinst du?
Diese Menschen wirken ein wenig wie Selbsthilfegruppen. Euer Kameramann hat das wunderbar eingefangen!
Axel Brüggemann: Ich bin ja auch mit Wagner groß geworden und lasse mich gerne von Wagners Musik berauschen. Und jeder, der nicht ganz plemplem ist, fragt sich irgendwann, wie kann das eigentlich sein? Wagner war nicht nur ein Unsympath, er war Antisemit. Er hat politische Meinungen gehabt, die wir nicht vertreten. Er will mich überwältigen mit seiner Musik. Er will mich berauschen, verführen. Warum lasse ich das eigentlich zu? Und so bin ich in den Film gegangen. Letztlich bin ich auch Teil dieser Selbsthilfegruppe. Nur habe ich einen Film, an dem ich mich abarbeiten kann. Aber ich war gar nicht so anders als die, und ich hoffe, dass das in dem Film rüber kommt. Wir lachen nicht über die Wagnerianer, sondern wir wollen mit ihnen schmunzeln, weil ich dummerweise auch einer von denen bin. Ich kann auch den Tristan auswendig mitsingen, wenn ich will. Ich würde das halt nicht machen, wenn da eine Kamera steht. Mein eigenes Unwohlsein damit, dass ich Wagners Musik toll finde, war vielleicht ein Anlass diesen Film zu machen.
Dieses Metzger-Ehepaar Rauch aus Bayreuth mit in den Film hinein zu nehmen war ein genialer Schachzug. Wie bist du auf die beiden gestoßen?
Axel Brüggemann: Ja, jetzt kommts (lacht): Als ich noch als Student in Freiburg wohnte, und nur wenig Geld beim Kultur-Joker verdiente, konnte ich mir als Übernachtungsmöglichkeit in Bayreuth halt nur dieses Zimmer mit Dusche auf dem Gang bei den Rauchs leisten. Daher kannte ich sie, aber nur aus ferner Erinnerung. Aber ich dachte mir, letztlich kennt doch keiner Wagner besser als diese beiden. Die beiden leben jeden Tag in Bayreuth, haben die Festspielgäste bei sich, die kannten den Wolfgang Wagner, also den Vater von Katharina Wagner, wie er den Schlitten von Katharina den Berg hochgezogen hat. Für die ist Wagner nichts Heiliges, die Familie Wagner nichts Besonderes, sondern auch nur einfach fränkische Bayreuther. Das fand ich ganz wichtig. Je mehr man nach Bayreuth kommt, desto weniger verehrt wird Wagner, desto profaner wird er. Das Schöne an Doku-Filmen ist, man kann das ja nicht alles planen, man kommt nicht mit einem fertigen Drehbuch, sondern man trifft Menschen. Und bei den Rauchs war es so, dass sie sich durch das, was sie gesagt haben, selbst so groß in den Film reingeschrieben haben, weil ich das so toll fand. Man kann mit Christian Thielemann oder mit Daniel Barenboim über Wagners Musik sprechen, aber so logisch wie Herr Rauch sie erklärt (er zitiert, den Dialekt imitierend), „das ist wie Wasser, das kommt da an, dann bäumt sich das auf, dann geht es wieder weg“ – genau so ist Wagners Musik. Das kann wahrscheinlich kein Dirigent besser sagen als er, der er wahrscheinlich keine einzige Note lesen kann. Dieser Gott Wagner, gleichzeitig diese verklärten Wagnerianer mit ihren glänzenden Augen und dann bringt Herr Rauch das auf den Punkt.
Wobei Herr Rauch ja Schwierigkeiten zu haben schien, sich gegenüber seiner Frau durchzusetzen?
Axel Brüggemann: (Lacht) Also die Kolleginnen von Frau Rauch haben gesagt: ‚Mensch, in dem Film kommen Sie ja mal richtig zu Wort, normalerweise können Sie sich ja gar nicht gegen Ihren Mann durchsetzen…‘ Herr Rauch, der Geschäftsmann, der Metzger rechnet, es gibt 20 Vorführungen, das sind 60.000 Karten, ergibt soundsoviel Euro. So sieht er die Bayreuther Festspiele, nicht als Wallhall, als Gral oder Tempel, sondern als Geschäftsmodell. Mir ging es darum Gegensätze zu zeigen. Wie kann es sein, dass ein Israeli, Sohn eines geflohenen Juden aus Frankfurt, Wagnerianer in Tel Aviv ist? Und ein muslimischer, leicht antisemtischer Scheich ebenfalls? Wie kann es sein, dass Kapitalisten und Kommunisten Wagner lieben? Wie kann es sein, dass die Black Community in New Jersey Wagner aufführt und in Tokio diese Musik ebenfalls gefeiert wird? Und dann ist da Alex Ross, der Chefkritiker des New Yorkers, oberster Wagner-Experte und Weihepriester des Wagnerkultes, der den Rauchs gegenüber gestellt wird. Ich will zeigen, überall wo es bei Wagner Licht gibt, da ist auch Dunkelheit, wo es ja gibt ist auch nein, wo es rechts gibt ist auch links. Jeder kann etwas in Wagner finden. Bayreuth ist eine monarchische Einrichtung, die von Hitler annektiert wurde und von Angela Merkel gefeiert wird. Alle Wandlungen Deutschlands spiegeln sich in Bayreuth wider. Problematisch, wie unsere ganze Geschichte. Diese Ambivalenz, diese Gegenpole, um die ging es mir.
In einer Zeit, in der Poltical Correctness sehr hoch geschrieben wird, auch an Theatern, ist das ja hochbrisant.
Axel Brüggemann: Über Wagner sagt man, das ist der deutsche Komponist: weiß, männlich, totaler Cis-Mann. Und ausgerechnet der fordert die People of Colour Community in Newark heraus, einen nur mit People of Colour besetzten 16-stündigen Ring der Nibelungen erstmals in der Welt aufzuführen. Ausgerechnet der rassistische, antisemitische, nationalistische Komponist Wagner! Die nehmen sich den und sagen, das ist auch unser Wagner!
Wie lange haben die Dreharbeiten zum Film gedauert?
Axel Brüggemann: Wir waren drei Jahre in Bayreuth, alle Auslandsdrehs haben wir während der Pandemie gemacht, und zwar alle Remote, mit Teams vor Ort. Ich habe per Skype oder Zoom die Orte angeschaut, Licht und Kameraposition bestimmt und alle diese Interviews per Skype geführt. Wir hatten eine Weltreise geplant, von Tel Aviv nach Abu Dhabi, dann nach Riga, weiter nach Tokio, dann nach Los Angeles und New Jersey, schließlich Venedig. Die Reise sollte am 23. März 2020 beginnen, aber am 16. März stand die Welt still. Wir saßen alle erst einmal zwei Monate lethargisch auf dem Sofa, aber dann haben wir beschlossen, dass wir das einfach trotzdem machen.
Der Zugang zur Wagner-Familie gilt als äußerst schwierig. Wie ist es dir gelungen, Katharina Wagner so nahe zu kommen?
Axel Brüggemann: Soweit ich weiß, wurde es davor niemals erlaubt, in Bayreuth bei den Proben zu drehen. Der Probenraum galt immer als Ort, an dem sich Künstler kreativ und ohne den Blick der Öffentlichkeit gestalten können sollen. Seit zwölf Jahren moderiere ich die Public Viewings bei den Bayreuther Festspielen, die Kinoprogramme dort und die Sky-Übertragungen. Deshalb kenne ich Katharina Wagner relativ gut. Ich glaube das ist eine Vertrauenssache. Sie hat mir gesagt, ich kann dort machen was ich will. Meine Grundforderung war, dass sie den Film erst im Kino sieht und darauf keinen Einfluss nimmt. Und darauf hat sie sich eingelassen. Es gab kein Mitspracherecht der Bayreuther Festspiele. Katharina Wagner hat den Film tatsächlich auch erst vor wenigen Wochen gesehen. Sie fand ihn, glaube ich, sehr gut, und sie sagte, ‚Ich liebe die Rauchs‘.
Wann und wie hast du selbst zu Wagner gefunden?
Axel Brüggemann: Richard Wagner halte ich für den Dostojewski der Musik. Für mich war es das volle Pubertätsprogramm. Mein Schulfreund Victor Schiering und ich saßen mit Pickeln im Wohnzimmer und haben „Tristan und Isolde“ gehört, den Text mitgelesen und waren hin und weg, in unserer sexuellen Verwirrtheit. Dass da jemand ist, der uns hier die Größe unserer Liebe so beschrieben hat, wie sie war, nämlich einfach viel zu groß für zwei pickelige Jungs, die Mädchen toll finden (lacht). Ich hatte das Gefühl, der versteht mich, der Wagner. Dann bin ich von Bremen, wo ich aufgewachsen bin, mit dem Zug nach Berlin in die Oper gefahren und habe den Ring von Götz Friedrich angeschaut. Und von da an bin ich diesen Opern hinterher gefahren.
Dennoch bist du Journalist geworden und nicht Musiker. Warum?
Axel Brüggemann: Ich habe in Freiburg Musikwissenschaften, Geschichte und Kunstgeschichte studiert und spiele Geige. Aber – und das werde ich dir niemals zeigen! – ich spiele hundsmiserabel Geige. Ich hatte auch nie Ambitionen gut Geige zu spielen. Mich hat es fasziniert, Worte für Kunst zu finden. Ich wusste mit zehn Jahren schon, dass ich Journalist werden wollte. Und ja, Musik ist meine Leidenschaft. In diesem Film kam das alles wunderbar zusammen. Näher dran kann man nicht sein, gleichzeitig hat man eine journalistische Distanz und man kann seine eigene Geschichte erzählen. Es gibt im Film auch keinen Off-Text, niemanden der dir irgendwas sagt. Die Leute erzählen nur aus sich heraus. Ich gebe den Menschen einfach nur eine Fläche für ihre Begeisterung. Ich lasse sie auch in ihren Gegensätzen stehen und bewerte sie nicht. Es gibt keine moralische Bewertung, das halte ich für ganz wichtig.