Es ist ja noch eine Weile hin, bis zur nächsten Bundestagswahl im September 2025. Wer aber schon jetzt einen Blick auf die Unterschiede von möglichen Kanzlerkandidaten der Union werfen will, wurde kürzlich erhellt. Da sprachen nämlich einerseits der heutige CDU-Chef Friedrich Merz und andererseits Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) über dasselbe Thema. Und zwar über den derzeitigen Aufschwung der AfD in den Umfragen. Beide räumten eine Mitschuld der Union am Höhenflug der Rechtspartei ein. Doch die jeweilige Begründung dieser Mitschuld könnte unterschiedlicher kaum sein. Merz verharrte fast rachsüchtig in der Vergangenheit, Günther jedoch kritisierte die Gegenwart. Der eine also rückwärtsgewandt, der andere nach vorne schauend.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich sehr kritisch über die eigene Partei geäußert, zumindest auf den ersten Blick. Merz sieht eine Mitverantwortung der CDU an der Entstehung der rechtsnationalistischen AfD, die in jüngsten Umfragen teils Zustimmungswerte von bis zu 20 Prozent bekommen hat. In der Demokratie ist nichts und niemand alternativlos“, sagte Merz auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Damit bezog er sich auf die wiederholte Aussage der ehemaligen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, zahlreiche Entscheidungen ihrer Regierung seien „alternativlos“. Bereits 2010 kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff zum Unwort des Jahres. Gerade diese Rhetorik habe der AfD den Nährboden gegeben, um sich als angeblich wahre Opposition und Stimme einer schweigenden Mehrheit zu stilisieren: „Der Name dieser Partei war eine unmittelbare Reaktion auf dieses Wort und darum haben wir eine hohe Mitverantwortung dafür, dass es so etwas gab.“
Auf den zweiten Blick kritisierte Merz also nicht „seine“ CDU, sondern die CDU unter der Führung von Angela Merkel, der er ja immer in inniger Feindschaft verbunden war. Doch der These, dass die CDU allein aufgrund des Sprachgebrauchs von Merkel der AfD zur Gründung verhalf, fehlt es augenscheinlich an Substanz. Merz macht es wie so oft: Geistesblitze in der Nacht, ohne politische Tiefe. Und wenn er damit Merkel nachtritt, um womöglich Punkte für eine eigene Kanzlerschaft zu sammeln, dann führt dies das Offensichtliche vor Augen: Merkel war 16 Jahre lang Bundeskanzlerin und Merz noch nie.
Besonders interessant sind diese Sätze des CDU-Chefs dadurch, dass mit Daniel Günther ein junger, ambitionierter CDU-Landeschef sich ebenfalls zum Thema AfD äußerte. Es wirkt wie ein Kontrastmittel, wenn man beide Statements vergleicht. „Es gelingt uns als Union nicht ausreichend, mit überzeugenden Angeboten wahrgenommen zu werden und die enttäuschten Stimmen abzuholen“, sagte Günther der „Welt am Sonntag“. „Wir haben es bisher nicht geschafft, den Menschen unsere Alternativen, zum Beispiel beim Thema Heizen, präziser aufzuzeigen. Wir müssen klarer darlegen, wohin wir wollen.“
Diese Einlassungen spielen im Hier und Jetzt und zielen nicht auf die Vergangenheit. Und gleichzeitig ist diese Kritik natürlich auch eine Kritik daran, wie die CDU im Hier und Jetzt geführt wird – von CDU-Chef Friedrich Merz. Das hat schon Brisanz. Während Merz also zum eigenen Seelenheil die schmutzige Wäsche von gestern waschen will, kritisiert Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther den Zustand der momentanen CDU. Seine durchaus ketzerische Frage lautet: Wenn schon die Ampel-Regierung in ihrem Zwist die Leute verprellt, wieso profitieren wir als CDU nicht mehr davon, sondern die AfD?
Man sollte dazu sagen, dass die Union bei derselben „Deutschlandtrend-Umfrage“ mit 29 Prozent deutlich an der Spitze lag, warum auch immer. Fehlt also nicht viel, dann käme die CDU zusammen mit der AfD zu einer absoluten Mehrheit in Deutschland – wenn denn alles in über zwei Jahren so käme., wie es die heutigen Umfragen abbilden. Dies lehnt Merz immerhin ab: „Eine Zusammenarbeit mit solchen Leuten ist für mich komplett unvorstellbar.“
Daniel Günther sagte, er halte es nicht für sinnvoll, wenn sich Regierung und Opposition beim Thema AfD gegenseitig Vorwürfe machten. „Beiden gelingt es zurzeit nicht, die Umfragewerte der AfD auf einem niedrigeren Niveau zu halten“, stellte Günther fest. Kritisch äußerte er sich zur Regierungsarbeit der FDP auf Bundesebene. „Was nicht funktioniert: in Berlin die regierungsinterne Opposition zu geben.“