Mensch Horst, wir glauben zu wissen, was du sagen würdest, so als Schimanski: „Das ist doch Scheiße!“ Und weil Schimanski dies in all seinen Tatort-Krimis dauernd sagte, steht jetzt ein Warnhinweis in der ARD-Mediathek, quasi als Eintrittskarte, wenn man die alten Filme nochmal anschauen will. „Das folgende fiktionale Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung“, steht da also für ein paar Sekunden. Das macht die Sache umso spannender. Somit werden wir alle ja zu Forschern der Fernsehgeschichte, wenn wir den Schimanski saufen, raufen und fluchen sehen. Nicht dass einer denkt, dass wir einfach nur fasziniert sind.
Die Sache mit den Warnhinweisen gibt es ja schon lange. „Die folgende Sendung ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“, wäre ein Beispiel dafür. Na ja, es soll Leute geben, die sich ihr Programm danach aussuchen. Wenn Filme jugendfrei sind, taugen sie nix für die Erwachsenen. Wenn sie „ab 12“ sind, weiß jeder, dass es nicht wirklich zur Sache geht. Also: Erst „ab 16“ kann es knistern, und „ab 18“ wird es wirklich ernst. Auf diese Weise helfen die Warnhinweise, sich schon im Vorfeld die uninteressanten Streifen zu ersparen. Wobei es Ausnahmen gibt, wie beispielsweise James Bond, der trotz brutaler Todesszenen (etwa in „Casino Royale“) „ab 12“ etikettiert wurde.
Aber zurück zur ARD, ins hier und heute, das sich um das Gestern bemüht. Die neuen Warnhinweise, die Schimanski, aber auch alte „Schmidteinander“-Folgen mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein sowie Otto-Waalkes- Scherze betreffen, haben prompt eine Welle der Empörung ausgelöst. Vielleicht hätte jemand die Sender warnen können, dass ihre Warnhinweise selbst triggern (= etwas auslösen)und somit das Gegenteil dessen erreichen, was bezweckt war. Die allgemeine Erregung steigt.
Der Begriff „Trigger“ (aus dem Englischen) kommt ja ursprünglich aus der Traumatherapie. Er bezeichnet dort Reize, die ein Trauma wieder aufleben lassen. Er wird gerne mit dem Begriff vulnerable Menschen kombiniert (aus dem Lateinischen: „verwundbar“ oder „verletzlich“). So ergibt sich etwas hochtrabend das Konstrukt der sogenannten Triggerwarnungen, die seit einiger Zeit oft Literatur, Filmen, Theaterstücken und anderen Inhalten vorangestellt werden, vor denen vulnerable Menschen vermeintlich geschützt werden müssen. Etwa auch Werke von William Shakespeare.
Sagen wir mal so: Wer im Kino Polanskis „Macbeth“ ohne Warnhinweis gesehen hat, der weiß, welchen Grusel das ausgelöst hat. Die Frage ist allerdings, ob eine Triggerwarnung (gab es 1971 bei Erscheinen des Films so nicht) das Grauen abgewendet hätte. Und eine weitere Frage wäre, ob Meisterwerke der Literatur (im Jahr 1606 schrieb Shakespeare „Macbeth) oder der Filmkunst unter Warnhinweisen leiden, wie das wiederum erregte Kritiker suggerieren.
Wohl eher nicht. Denn erstens werden die Warnungen von den meisten Leuten in den Wind geschlagen. Und zweitens haben neue Studien ergeben, dass gerade die betroffenen „vulnerablen Gruppen“ von Warnhinweisen nicht profitieren, sondern im Gegenteil: Die Studienlage lege nahe, so die Forscher, dass Triggerwarnungen die Attraktivität von Inhalten eher steigern. Haben Probanden die Wahl zwischen Material mit oder ohne Warnung, dann entscheiden sie sich bevorzugt für als fragwürdig oder gefährlich abgestempelte Inhalte. Dieser sogenannte Pandora-Effekt wirke ausgerechnet auf solche Personen am stärksten, die besonders vulnerabel sind – also auf genau jene, deren Seelenhaushalt durch die Triggerwarnungen beschützt werden soll.
„Das ist doch Scheiße“, würde also Horst Schimanski dazu sagen. Denn obwohl er sich im völlig versifften Hochhaus in Duisburg nur noch von ein paar rohen Eiern ernährte, hatte er doch ein Herz für die verwundbaren und verletzlichen Seelen. So gesehen sollte man den alten Filmen eine Empfehlung voran stellen.