Nun ist also auch der große Kris Kristofferson gestorben, mit 88 Jahren. Er war genial als Billy the Kid im Western von Sam Peckinpah „Pat Garrett and Billy the Kid.“ Er dichtete die Liedzeile: „Freedom’s just another word for nothing left to lose“ (in „Me and Bobby McGee“, einen der bedeutendsten Songs des 20. Jahrhunderts). Diese großartige Zeile traf das Lebensgefühl einer ganzen Generation und wird wohl eine für die Ewigkeit bleiben. Es ist nicht bekannt, ob Christian Lindner ein Fan von Kristofferson ist. Aber dessen Songzeile trifft momentan auch auf den Zustand der FDP zu. Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts mehr zu verlieren hat.
Christian Lindner und seine FDP haben nach den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nichts mehr zu verlieren. Denn sie haben schon fast alles verloren: die letzten Wähler im Osten, den Respekt ihres natürlichen Partners, der Union (wie weit will die FDP noch sinken, ätzte Friedrich Merz nach der Brandenburg-Wahl) – und die Aussicht darauf, dass es für sie in der Ampel noch besser werden könnte. Also sind sie frei.
Dazu passt natürlich, dass „Freiheit“ ein Lieblingswort von Christian Lindner ist. Anders als die Tierschutzpartei, die in Brandenburg mehr als doppelt so viele Stimmen holte, definieren sich die Freien Demokraten eigentlich nicht bloß über ein einzelnes, eng begrenztes Thema. Sondern sie sehen sich als die Anwälte des Liberalismus, als die Bewahrer der Freiheit. FDP-Chef Lindner ist ein brillanter Redner, doch in der Ampel zeichnet sich die FDP vor allem durch ein stetes Nein aus: Nein zum Heizungsgesetz, Nein zum Bürgergeld, Nein zu einer höheren Kreditaufnahme. Nichts scheint ihr wichtiger zu sein als die Schuldenbremse. Aber ist ein stetes Nein denn die große Freiheit? Oder eher das Gegenteil davon, nämlich stets an ein Dogma gebunden zu sein. Denn damit beraubt sich die FDP auch der Möglichkeit, die Steuern zu senken und so die lahmende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Das müsste eigentlich auch FDP-Chef Christian Lindner erkennen, der übrigens in seiner Partei trotz aller Schlappen als völlig unangefochten gilt. Doch weil Freiheit nur ein anderes Wort dafür ist, nichts mehr verlieren zu können, geht Lindner frei und frank in die Offensive. Mit Blick auf die jüngsten Beschlüsse der Ampel zur Migration und zur Wirtschaftspolitik sprach Lindner abermals von einem „Herbst der Entscheidungen“ und betonte, dass sich „in den nächsten Wochen“ offenbaren werde, „ob es den gemeinsamen Willen gibt, das so auch umzusetzen und gegebenenfalls auch darüber hinauszugehen“. Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen: Weil seine FDP in Brandenburg nur zwölf Stimmen über den „Ungültigen“ (also von Wählern falsch ausgefüllte Wahlzettel) landete, quasi pulverisiert wurde, sollen jetzt die Ampel-Partner SPD und Grüne umso mehr vor Lindner kuschen. Eine interessante Volte, auf die man erst mal kommen muss, Motto: Je kleiner wir werden, umso mehr trumpfen wir auf. In den Worten von Lindner: Jetzt sei „Mut verlangt“. Entweder der Mut, „auch in einer kontroversen Koalition Arbeit zu leisten, wenn Gutes fürs Land bewegt werden kann“. Oder aber „Mut, eine neue Dynamik zu entfachen“.
Die grenzenlos freie Strategie dahinter ist aber eine bisher schon erfolglos angewandte: Wir machen beides, sind Regierungspartei und Opposition zugleich. Das hat ja maßgeblich zur öffentlichen Zerrüttung der Regierung beigetragen. Aber die Annahme des FDP-Chefs, er könne als Sparkommissar glänzen, gar liberale Politik voranbringen, hat sich in der Vergangenheit als Trugschluss erwiesen. Also schaut Lindner nach lauter herben Wahlniederlagen lieber nach vorne – auf die Bundestagswahl 2025. Und will durch sein jetziges Handeln dann wieder bei den Wählern punkten. Die jetzt so freie FDP versucht gegenüber den Ampel-Partnern Erfolge durchzusetzen, mit denen sie dann 2025 in den Wahlkampf ziehen kann. Aber wenn diese Verhandlungen eben aus Sicht der FDP nicht genug bringen, dann ist sie auch bereit, die Koalition zu verlassen. Das hat natürlich ein gewisses Erpressungspotenzial. Lindner glaubt, dass er mit beiden Optionen im Wahlkampf 2025 punkten könnte. Seht her, wie mutig wir unsere liberalen Projekte durchgebracht haben, oder: Seht her wie mutig wir der Ampel den Stecker gezogen haben.
Don’t say a word about tomorrow or forever / there’ll be time enough for sadness when you leave me, sprich jetzt nicht von morgen oder von für immer / es bleibt Zeit genug für Traurigkeit, wenn du mich verlässt. Das stammt aus „For the Good Times“, von Kris Kristofferson. Ist also quasi ein Ampel-Song.