An Anton Hofreiter kann man eine erstaunliche Wandlung der „Grünen“ ablesen, von einer einst auch aus der Friedensbewegung geborenen Partei mit Hang zum Pazifismus hin zu einer „schwere Waffen“-Partei. Hofreiter gibt den Einpeitscher für deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Kaum hatte der Bundestag mit breiter Mehrheit solche Lieferungen beschlossen, legte Hofreiter schon wieder nach und nennt etliche Waffensysteme, die in der Industrie noch vorrätig seien. Demgegenüber haben deutsche Prominente sich in einen offenen Brief an Kanzler Scholz gewandt und vor der Lieferung schwerer Waffen gewarnt. Es sind lauter Laien, Hofreiter hier, Reinhard Mey dort, die sich ein Urteil über den Krieg in der Ukraine erlauben und daraus ableiten wollen, ob es nun zum dritten Weltkrieg kommt oder nicht. Es ist ein bizzarer Streit über die Deutungshoheit in Deutschland. Aber immerhin gibt es ihn.
Pazifisten werden in der öffentlichen Diskussion sozusagen rückblickend als naive Nixversteher gebrandmarkt, weil Putin die Ukraine überfiel. Selbsternannte Realisten wollen jetzt schon immer gewusst haben, wie naiv die Nachkriegsgenerationen sich auf das Ruhekissen „Wandel durch Handel“ gebettet haben, während die „schweren Waffen“ der Bundeswehr vor sich hin rotteten. Angesichts der grauenhaften Szenen aus dem Krieg in der Ukraine, einen Steinwurf entfernt, spielen natürlich die Emotionen eine herausragende Rolle. Entsetzen, Hilflosigkeit, Angst und Wut.
„So wächst unter den Zuschauern im Westen die Beunruhigung mit jedem Toten, die Erschütterung mit jedem Ermordeten, die Empörung mit jedem Kriegsverbrechen – und der Wunsch, auch etwas dagegen zu tun. Der rationale Hintergrund, vor dem diese Emotionen landesweit aufwallen, ist die selbstverständliche Parteinahme gegen Putin und eine russische Regierung, die einen massiven völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vom Zaune gebrochen haben und die mit ihrer systematisch menschenverachtenden Kriegführung gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen“, schreibt der angesehene Philosoph Jürgen Habermas in der „Süddeutschen Zeitung“.
Doch solche Emotionen machen nun ja nicht automatisch die Aufgewühlten alle zu Experten in Sachen Krieg und Frieden. Robert Habeck hat eigene Zweifel schon früh zum Ausdruck gebracht: „Ich empfinde Hochachtung vor einer Position des unbedingten Pazifismus. Ich achte sie, aber ich halte sie für falsch. Wir kommen da mit sauberen Händen nicht raus.“ Er halte deutsche Waffenlieferungen „für richtig. Aber ob sie auch gut sind, weiß ich nicht.“
Die Feministin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser, der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der Autor Alexander Kluge, der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der Sänger Reinhard Mey, die Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die Schauspieler Lars Eidinger und Edgar Selge und die Schriftstellerin Juli Zeh gehören zu den Erstunterzeichnern des offenen Briefs an Kanzler Scholz. Sie schreiben, Putin habe das Völkerrecht gebrochen, dies rechtfertige aber nicht, das „Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen“.
Während also Wildentschlossene wie der Hofreiter Toni sich sicher sind, dass Russland ja „nicht von einem Club der Selbstmörder“ regiert würde, und es deshalb auch keinen Atomkrieg geben könne, warnen Walser, Kluge und Co. vor dem Unkontrollierbaren. Jenseits dieses Disputs gibt es eine Gewissheit: Ein Krieg gegen eine Atommacht kann nicht „gewonnen“ werden. Es wird immer eine Verhandlungslösung sein müssen, um den Krieg zu beenden.