Kurzsichtige sowie schäbige Schadenfreude

Wer soll sich freuen, wenn plötzlich 60 Milliarden für den Klimafonds fehlen? Die altbackene Schuldenbremse passt nicht zum Jahrhundert-Projekt des nötigen Umbaus in Deutschland.

Worüber freut sich Friedrich Merz? Worüber kann man sich überhaupt freuen, wenn plötzlich 60 Milliarden Euro fehlen, die für den Umbau Deutschlands in eine modernere Zukunft dringend gebraucht werden? Wer also soll sich darüber freuen? Die Industrie, die auf Investitionen des Staates für den Umbau zur Klimaneutralität gebaut hat? Der Hausbesitzer, der auf staatliche Förderungen zum Umbau seiner Heizung gehofft hat? Die marode Deutsche Bahn, die eigentlich 25 Milliarden Euro für dringende Instandsetzung braucht? Jeder Bürger Deutschlands, dem die Zukunft seiner Enkel nicht schnuppe ist und der jetzt weiß, dass erhebliche Mittel im Kampf gegen die Klimakrise fehlen? Friedrich Merz hat dann prompt auch noch von einem „großen Erfolg für die Steuerzahler“ gesprochen, nachdem es das Bundesverfassungsgericht der Ampelkoalition untersagt hatte, 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Corona-Hilfen in Klimaschutzsubventionen umzuwidmen. Doch wer bitte soll die somit fehlenden 60 Milliarden aufbringen, wenn eben nicht der Steuerzahler? Kritiker wie Robert Habeck sagen: Danke, Herr Merz, für dieses Kuckucksei.

 
Natürlich kann man erst mal verstehen, dass es die Opposition diebisch freut, wenn sie der Regierung eine Niederlage vor Gericht zufügt. Dennoch hätte CDU-Chef Merz sich das Triumphgeheul besser verkniffen, denn auch künftige unionsgeführte Koalitionen werden nun auf lieb gewonnene Haushaltstricks verzichten müssen. Dasselbe gilt übrigens auch für den Haushalt der Länder, von denen ja viele unionsgeführt sind und wo noch nicht klar ist, ob da nicht ebenfalls viel Geld fehlen wird. Mit von Stolz geschwellter Brust will Merz nun auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) angreifen. Hierüber wurden die Strom- und Gaspreisbremsen finanziert, mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro. Und wem kam das zugute? Allen! Und wer soll es dann bezahlen, wenn auch dieser staatliche Zuschuss entfällt?

Was stößt bei Friedrich Merz so bitter auf?

Der große Schriftsteller Wolf Haas hat es mal so formuliert: „Weil so ist der Mensch, ein großes Unglück wie die Zerstörung der Erde verkraftet er viel leichter als ein kleines Unglück wie die Zerstörung der neuen Ski.“ (Aus: „Auferstehung der Toten“).

Bei Friedrich Merz verhält es sich halt ganz ähnlich. Er will um jeden Preis Olaf Scholz in den Ruin treiben, auch wenn es dabei ein Ruin aller Ambitionen im Klimaschutz wird. Merz will eben um jeden Preis sein „kleines“ Ziel erreichen, Kanzler in Deutschland zu werden, auch wenn dies auf dem Umweg geschieht, dass echt „große“ Projekte wie der Umbau in Deutschland verhindert werden. Dabei stößt bitter auf, dass ja die Union in den vorangegangenen 16 Jahren an der Macht sehr viel von dem zu verantworten hat, was gerade der Ampel-Regierung auf die Füße fällt. Kaputte Deutsche Bahn, zu Tode gesparte Bundeswehr, enormer Rückstand bei der Digitalisierung, Defizite im Bildungssystem, um nur einige Bereiche zu nennen. Von dem riesigen Umbau zur Klimaneutralität mal ganz zu schweigen, das man sicherlich ein Projekt nennen darf, wie es dies in den letzten hundert Jahren nicht gab.

Ja, es waren die gemütlichen Merkel-Jahre und nach denen sehnen sich die Leute offenbar zurück, wenn man den aktuellen Umfragen glauben darf. Und der Traum von Merz ist ja, nach all den Umwegen über Jahrzehnte, dann als Kanzler endlich die bessere Merkel zu sein.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht ist der Ampelregierung krachend in die Parade gefahren. Geklagt hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes, der viele Milliarden für eine gute Sache bereitstellen sollte, nämlich für die Energiewende, wird mit einem Schlag um 60 Milliarden Euro reduziert. Und zwar um jene 60 Milliarden an nicht benötigten Kreditermächtigungen aus dem Corona-Jahr 2021, welche die Ampelregierung gleich nach Amtsantritt kreativ in den Fonds verschoben hatte. Diese fantasievolle Geldbeschaffung verstößt gegen die Schuldenbremse, befand der Zweite Senat des Karlsruher Gerichts.

Der Bundestag hatte 2021 zunächst wegen der Pandemie eine „außergewöhnliche Notsituation“ festgestellt und damit eine Aussetzung der Schuldenbremse beschlossen. So wurde der Kreditrahmen um 60 Milliarden Euro erhöht. Als sich im Laufe des Jahres herausstellte, dass die wirtschaftlichen Folgen doch nicht so gravierend ausfielen wie befürchtet, verfiel man auf die Idee mit dem Fonds: Die ja schon genehmigten Kreditermächtigungen sollten dort geparkt werden, zum Abruf in künftigen Jahren. Verbucht werden sollten die Schulden freilich insgesamt im Jahr 2021. Die Bremse war ja ausgesetzt, die Pandemie war fraglos eine Notsituation. Die Kredite wären auch 2023 oder 2024 abrufbar, dachte man, ohne in den dortigen Haushalten aufzutauchen. Quasi unsichtbare Schulden in diesen Folgejahren. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Schuldenbremse überraschend strikt interpretiert, obwohl es ja Kritik an diesem nicht sonderlich flexiblen Instrument gibt.

Wie gehen Scholz und die Ampel mit dem Schock um?

Es war Olaf Scholz selbst, noch in seiner Zeit als Finanzminister der Großen Koalition, der sich den „Buchungstrick“ von „Corona“ zu „Klima“ ausgedacht hat. Als dann sein Wahlsieg zu Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und der FDP führten, hat er damit quasi ein Trumpf in der Hinterhand gehabt. Denn es galt schon damals einen Grundkonflikt der gerade entstehenden Ampel zu befrieden, der die Koalition ja dann auch seither begleitet hat: Robert Habeck und seine Grünen sind der Ansicht, dass der Staat möglichst viel Geld in die Hand nehmen soll, um das Land in eine klimafreundliche Zukunft zu befördern. Christian Lindner und seine FDP hingegen stehen mehr auf das Sparen und die Schuldenbremse. Und sie haben das Ding mit dem Klimaschutz nicht wirklich ganz oben auf ihrer Wunschliste, siehe Verkehrssektor. Da war es natürlich praktisch, dass Olaf Scholz noch 60 Milliarden aus Corona-Zeiten zu seiner freien Verfügung zu haben glaubte. Denn so bekam Habeck als Wirtschfts- und Klima-Minister seinen Klima- und Transformationsfonds (KTF), um die deutsche Wirtschaft zukunftssicher zu machen, während Finanzminister Lindner diese Mittel dennoch nicht als neue Schulden verbuchen musste. 60 Milliarden als Kitt einer schwierigen Koalition, könnte man sagen.

Es ist für die Union und Friedrich Merz politisch ein Traum, dass er diesen Kitt via Bundesverfassungsgericht aufweichen konnte. Er erhofft sich davon, dass die „Ampel“ nicht mehr lange durchhält. Doch SPD, Grüne und FDP wissen, dass sie aktuell bei einer Neuwahl allesamt verlieren würden. So mit dem Rücken zur Wand könnten sie sich auch zusammen raufen. Für den Fortschritt, den sie wollten.

Und der trägt sicher nicht den Namen Merz. Dessen Schadenfreude ist kurzsichtig und sogar schäbig. Denn die „Schuldenbremse“ selbst schadet der Wirtschaft und der Gesellschaft. Wenn der Staat jetzt nicht investiert, kann es nur noch Stillstand geben. Wer will das?

Die Verteilungskämpfe haben begonnen. Christian Lindner bestätigt, dass die Strom- und Gaspreisbremsen zum Jahresende beendet werden müssen, also Staatshilfen gegen hohe Energiepreise nicht mehr zur Verfügung stehen. Um den Haushalt zu „heilen“, soll für 2023 erneut die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Doch was passiert 2024? Lindner sagte: Der Staat habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Also müssen Ausgaben wegfallen. Nur welche? Das verunsichert alle.