Kaum hatte das neue Jahr begonnen, da standen überall die Klausuren an. Die FDP mit ihrem Dreikönigstreffen, die SPD und die Grünen mit Klausuren in Berlin. Somit haben sich die Parteien der Ampel-Regierung sozusagen in aller Verschwiegenheit auf künftige Scharmützel vorbereitet. Das Jahr 2023 soll, na klar, besser laufen als das Krisenjahr 2022. Weil es aber der Definition von „Klausuren“ entspricht, dass sie „verschlossen“ vor den Augen der Öffentlichkeit stattfinden sollen, ist dann so manche Klausur in ihrer Kommunikation sehr verklausuliert. Und das sogar, wenn Kanzler Scholz im schwarzen Reißverschlusspullover zwar dabei ist, aber eher als (strenger) Zuhörer denn als Redner. Eine Klausur schreiben muss er ja nicht. Einer Prüfung unterzogen sind Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner in der Ampel-Regierung ja ständig.
Keine der Krisen, die 2022 über die Welt und damit halt auch über Deutschland und der Ampel-Regierung hereingebrochen sind, wird im neuen Jahr plötzlich verschwunden sein. Alle drei Parteien der Ampel-Koalition wollen aber einen Schritt nach vorne machen. Die Frage ist nur, ob alle immer in die gleiche Richtung marschieren wollen.
Die neue Geschlossenheit der SPD
Zur Jahresauftakt-Klausur der SPD im Willy-Brandt-Haus haben die Genossen lauter tolle Sprüche aufgehängt. Auf Pappschildern, die von der Decke baumelten, standen dann so Sachen wie: „Bürgergeld eingeführt“, „Bundeswehr gestärkt“, „Mindestlohn auf 12 Euro erhöht“, „Deutschlandticket eingeführt“ „Energiepreise gebremst“, „Energieversorgung gesichert.“
Es sollte wohl eine Selbstvergewisserung der SPD sein, wie viele sozialdemokratische Ziele man in nur einem Jahr der Regierungsverantwortung in die Tat umsetzte. Und das stimmt auch. Allerdings präsentiert sich die Partei vor allem als Kanzlerpartei. Denn Eigenlob wie „Bundeswehr gestärkt“ gibt ja nun wahrlich nicht die ursprünglich sozialdemokratische Position wieder, sondern ist ein Konstrukt von Kanzlerwille und Mitarbeit der Koalitionäre, vor allem von Finanzminister Christian Lindner gewesen. Ähnliches gilt für den Doppelwumms, mit dem die „Energiepreise gebremst“ wurden, und manche Bürger in Deutschland überzeugte, was ja auch den von vielen Oppositionspolitikern prognostizierten „heißen Herbst“ der Proteste verhindert hat. Das war aber ebenfalls kein reines SPD-Thema.
Manch andere Pappschilder trugen dann wohlweislich nur jeweils ein Wort: „Fortschritt“, „Demokratie“ oder „Klimagerechtigkeit.“ Das sind Leitplanken, die vor allem markieren, was alles im Krisenjahr 2022 nicht wirklich voran kam. In diesen Bereichen gibt es 2023 also noch viel zu tun. SPD-Co-Chef Lars Klingbeil sagte denn auch, nach einem schwierigen Jahr mit einem Krieg in Europa müsse nun verstärkt das Koalitionsmotto „Mehr Fortschritt wagen“ in den Vordergrund rücken. Das klingt wie ein Appell an die Koalitionspartner FDP und Grüne und lässt anklingen, dass die politischen Ziele der SPD nur in der Ampel erreicht werden können. Denn trotz unbestreitbar guter Krisenbewältigung gibt es ja das Phänomen, dass die SPD laut Forsa-Umfrage weit hinter die Union zurück fiel. Es besteht sozusagen ein Missverhältnis zwischen dem Anpacken und Abwenden etlicher brisanter Themen, die durch den Überfall Russlands auf die Ukraine entstanden sind und dem Zuspruch der Wähler.
Wie so oft bei der SPD sieht man hierfür die Erklärung in der Kommunikation nach außen. Soll heißen: Man kriegt es einfach nicht an die Leute, was man alles gut gemacht hat. Dabei soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass es da schon schlimmere Tage gab, als die SPD sich regelmäßig selbst zerfleischte und sich gleich selbst dem politischen Gegner zum Fraß anbot. Seit dem Wahlsieg von Olaf Scholz zum Kanzler herrscht diesbezüglich eine eiserne Disziplin. Selbst das Schreckensvideo von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in der Silvesternacht wurde weg moderiert. Und nach deren Rücktritt hat SPD-Co-Chef Lars Klinbeil in den „Tagesthemen“ ein Loblied auf den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius angestimmt.„Wir haben einfach gelernt, man klärt Themen nach innen und tritt dann geschlossen auf. Das hat uns stark gemacht. Das halten wir durch“, so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.
Was aber nehmen sich die Kanzler-Genossen und Genossinnen nun als echte politische Ziele für das Jahr 2023 und darüber hinaus vor? Zwei Themen liegen der SPD am Herzen: Die schnellere Modernisierung der Infrastruktur und der Ausbau der erneuerbaren Energien. SPD-Chef Lars Klingbeil verwies auf das Tempo beim Bau der Flüssiggas-Terminals und nannte sie vorbildlich für eine neue „Deutschland-Geschwindigkeit“ (haha, hihi so hat das ja auch Kanzler Scholz genannt.) „Wir haben gesehen, dass in Niedersachsen ein LNG-Terminal mit einer neuen Deutschland-Geschwindigkeit in nur 200 Tagen fertiggestellt wird“, sagte Klingbeil. Das zeige: Es gehe, wenn die Notwendigkeit und der politische Wille da seien. „Ich erwarte, dass eine solche Geschwindigkeit jetzt auch bei der Modernisierung unserer Infrastruktur in allen Bereichen aufgenommen wird“, so Klingbeil. Damit meint er auch das Bildungssystem von der Kita bis zur Universität, die öffentliche Verwaltung oder die Gesundheitsvorsorge – denn all das zählt die SPD zur Infrastruktur.
Grüne grummeln selbstbewusst
„Wir Grünen können Krise“, sagte die grüne Co-Vorsitzende Ricarda Lang am Rande einer Klausur des Bundesvorstandes der Partei und behauptete prompt, man habe das Land durch unruhige Fahrwasser geführt, durch eine Situation, die sich viele vor einem Jahr noch nicht hätten vorstellen können. Na ja, ob das so stimmt? Haben die Grünen das Land „geführt“? Wenn dem so wäre – hat Olaf Scholz etwa bei Robert Habeck und Annalena Baerbock diese Führung bestellt? Wohl eher nicht. Es scheint das Gegenteil der Fall zu sein, dass sich nämlich die grünen Spitzenpolitiker oft leise grummelnd hinter der Linie des Kanzlers versammeln. Dabei wird aber immer öfter auch eine Position bezogen, die den Kanzler unter Druck setzt. Wie bei Baerbocks Äußerungen zur China-Politik oder zuletzt Habecks Einlassungen zu den Leopard-Panzern.
Ein gutes Beispiel dafür, was Ricarda Lang damit meinte, dass die Grünen „Krise können“ ist die Auseinandersetzung um die Siedlung Lützerath gewesen, die sich Klimaaktivisten als Symbol des Widerstands ausgesucht hatten. Robert Habeck sagte dazu: „Die leer gezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol.“ Habeck verwies auf die gelungenen Verhandlungen mit RWE, die dazu geführt haben, dass schon 2030 (statt ursprünglich 2038) mit dem Kohleabbau im Rheinland Schluss sein soll. Habeck sagte, durch diese Einigung mit RWE hätten sich einige Ortschaften erhalten lassen. „Der Kompromiss beendet verbindlich die Abbaggerei“, so Habeck. Dies zeigt aber eben auch, was die Grünen von der Basis und noch weiter von Klimaaktivisten wie „Fridays for Future“ trennt: Habeck und Co. stehen für Pragmatismus statt für Ideologie. Darin sehen manche einen Verrat.
Insgesamt müsse die Regierung 2023 beim Klimaschutz viel mehr tun, forderte Ricarda Lang zum Klausurstart ins neue Jahr. Konkret haben sie dabei den Verkehrssektor und den zuständigen FDP-Minister im Blick. „Volker Wissing muss raus aus dem Bummelzug beim Klimaschutz“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge bei der Klausurtagung. Man erstellte diesbezüglich ein Papier mit dem Titel „Starter-Paket für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor“. Darin heißt es, im „gemeinsamen Kampf der Bundesregierung gegen die Klimakrise“ sei der Verkehrssektor „das Schlusslicht“.
FDP-Chef Lindner sagt, man habe „das Denken noch nicht eingestellt.“
FDP-Chef Christian Lindner, das wird beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart deutlich, will auch nach 2025 weiterregieren – notfalls eben weiter an der Seite von SPD und Grünen. „Wenn diese Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Wiederwahl-Chance haben will, dann wird das nur gelingen, wenn wir unser Land auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückführen.“ Und da sieht er die FDP in einer Führungsrolle. Lindner sagt, in der Steuerpolitik habe die FDP „das Denken noch nicht eingestellt“.
Konfliktlinien in der Ampel 2023
Na klar, in der Steuerpolitik ist Zunder drin, da Finanzminister Lindner hier mit ganz anderen, typisch liberalen Ideen unterwegs ist als etwa die SPD, die sich am liebsten von der Schuldenbremse verabschieden möchte und sich schon immer eine „Vermögens-Steuer“ wünscht. Dem gegenüber sind Scharmützel wie etwa um eine weitere Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken eher nebensächlich. Man werde weiter „Vorschläge zu unterbreiten, die zur Realität passen“, amüsierte sich Lindner über die Grünen, und zwar „in fröhlicher Penetranz.“ Klingt fast nach einem Ampel-Familienfest.