Versprochen ist versprochen – und das wird auch nicht gebrochen“ – so erzählt man es gerne den Kindern. Im Falle von Olaf Scholz sind die lieben Kinderlein seine SPD-Fraktion, der er ja das Wort gab, sich künftig emotionaler zu zeigen, quasi raus aus der Deckung, mit Doppelwumms, um so die Umfragetiefs seiner Partei und seiner Person zu überwinden. Vielleicht hat der Kanzler deshalb jetzt im Bundestag mal so richtig gegen Friedrich Merz ausgeteilt. Damit bloß keiner sagen kann, der Olaf könne es nicht. Lieber Kinderlein, seht schön her … tja das war mal das Sandmännchen im TV (wäre heute natürlich m/w/d).
Den Gegenangriff auf Merz hat Scholz mit einer recht cleveren Variante eingeleitet: Man müsse auch mal stolz sein auf das, was eine eigene Regierungschefin zustande gebracht habe, sagte Scholz also – und spielte damit auf die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Er sprach von der Corona-Krise: Deutschland habe es gemeinsam mit der französischen Regierung ermöglicht, auf die Pandemie zu reagieren mit einem europäischen Wiederaufbaufonds. Es war eine CDU-Kanzlerin, mit der das gelungen sei, betont Scholz. Listig natürlich. Denn Scholz weiß ja, dass Merz ein glühender Rächer gerade gegenüber Merkel ist. Oder vielmehr dies gerne wäre, eigentlich unritterlich, wie Scholz es Merz nun unterstellte.
Über die Zukunft und die Vergangenheit
Nach dieser Einleitung kommt die übliche und durchaus nicht von der Hand zu weisende Erzählung: Man sei dabei, all das aufzuarbeiten, was in diesem Land liegen geblieben sei, sagte Scholz: „Und es ist sehr viel liegen geblieben.“ Über sehr viele Jahre seien die entscheidenden Weichen nicht gestellt worden, damit Deutschland eine industrielle Zukunft haben könne. Die CDU/CSU habe Verantwortung dafür, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vorangekommen sei. Dass man die Erschaffung einer Wasserstoffindustrie nicht hinbekommen habe, dass Investitionen in der Stahl- und Halbleiterindustrie nicht stattfänden.
Vor diesem Hintergrund geht Olaf Scholz – versprochen ist versprochen – Friedrich Merz frontal an: Was eigentlich sein Programm mit der politischen Zukunft Deutschland zu tun habe, fragt er Merz, und antwortet sich selbst: „Nichts!“ Er stellt Merz als altväterlichen Gesellen dar, frei nach dem Song von Keith Richards auf dem neuen Stones-Album: Your future, Friedrich, is all in the past.
Was Olaf Scholz bei dieser Erzählung wohlweislich nicht erwähnt: Die SPD und auch er selbst als Vizekanzler haben in vielen Jahren „in denen die Weichen nicht gestellt wurden“ ja ebenfalls Regierungsverantwortung gehabt. Er hat mit seinem Angriff einerseits recht, weil für seine Ampel-Regierung vieles aufzuholen war. Und er schummelt ein bisschen, weil er als Kanzler genau wie Angela Merkel vor ihm, oft auf der Bremse steht, um erst einmal abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Die Vergangenheit unter Merkel ist bei Olaf auch wieder Gegenwart und seine Ampel verhindert auch Investitionen in die Zukunft, weil sie dank Finanzminister Lindner ausgebremst wird, den Scholz wiederum nicht verprellen will.
Die Angriffe von Friedrich Merz sind geradezu infantil in ihrer Pauschalität
Friedrich Merz sagte so Sachen wie: „Die SPD war einmal die Partei der Arbeitnehmer, jetzt sind sie eine Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit geworden.“ Was er damit meint, hat er vorher mit ein paar Sätzen erklärt: Ihm zufolge müsste zwischen beitragsfinanziertem Lohnersatz und den steuerfinanzierten Sozialleistungen klarer unterschieden werden, denn: „Nur wenn zwischen Arbeitseinkommen und Sozialleistungen ein hinreichend großer Abstand besteht, wird Leistungsbereitschaft hinreichend belohnt.“ Anders gesagt: Wenn die Stütze zu großzügig bemessen ist, sucht sich keiner mehr eine reguläre Arbeit. Schon seit Wochen beklagt Merz immer wieder, dass das Bürgergeld zu hoch sei. Auch jetzt wiederholt er diese Forderung: Es sei „das Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen, um die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer wieder zu fördern“. Klingt wie: lauter Faulpelze im Land, ja sogar Taugenichtse, denen Scholz das Geld nach wirft und sie damit geradezu heran züchtet. Ist also ziemlich populistisch, weil es Geringverdiener gegen jene ausspielt, die keine Arbeit haben. Als seien die Arbeitnehmer von den Bürgergeld-Empfängern bedroht. Das ist Blödsinn.
Noch infantiler in seiner Pauschalität wird Merz, wenn es um das Erstarken der AfD geht. Merz geht zunächst auf die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ein. Die begrüße er. Allerdings seien längst nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD rechtsradikal. Viele von ihnen seien in erster Linie frustriert – natürlich über die schlechte Regierung. Und weiter: Schon eine „mittelmäßige Regierung“ würde dazu führen, dass die AfD viel weniger Stimmen bekäme. Na ja, wir erinnern uns, dass Merz beim Amtsantritt als CDU-Chef versprochen hatte, die Wähler der AfD „zu halbieren.“ Seither hat sich deren Zuspruch in den Umfragen verdoppelt. Kann es vielleicht sein, dass es weniger an saloppen Sprüchen braucht, dafür mehr an ernsthaften Kooperationen demokratischer Parteien?
In diese Kerbe schlug völlig zurecht dann auch Olaf Scholz mit seiner Antwort. Es sei „kleines Karo, wenn in dieser Situation auf den anderen gezeigt wird, was die Verantwortung betrifft. Wir müssen als Demokraten zusammenstehen!“ Dann holt er aus, weil Merz die Zusammenarbeit in Migrationsfragen erst angeboten, dann aber die Zusammenarbeit doch nicht fortgesetzt hatte. „Ich rätsele bis heute, warum sie davongelaufen sind“, sagt Scholz. „Aber ich glaube, es lag daran, dass sie das schöne Thema nicht loswerden wollten.“ Die jüngst gefassten Beschlüsse etwa zu kürzeren Asylverfahren oder zur Bezahlkarte zeigten, dass die Regierung das Thema irreguläre Migration gemeinsam mit den Ländern in den Griff bekommen werde. „Aber dann können sie nicht mehr sagen, alles läuft schief! Das ist der Grund, warum sie für einen Diskurs nicht mehr zur Verfügung stehen“, ruft der Kanzler Merz zu. „So viel Feigheit vor der eigenen Courage habe ich noch nie gesehen.“ Wumms! Ganz nebenbei amüsierte sich Scholz darüber, dass Merz in seiner Rede eben jene Bezahlkarte für Asylbewerber forderte, die am selben Tag von Bund und Ländern beschlossen worden war. „Offenbar lesen sie nicht nur wenig Zeitung, sondern reden auch nicht mit den CDU-Ministerpräsidenten“, feixte der Kanzler.
In deftigen Worten geht es weiter mit Kritik an Friedrich Merz. Er teile jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, sagt Scholz, „das ist Ihr Recht.“ Ordentlich teile er aus, schwer unter die Gürtellinie – auch das sei sein Recht. Aber, so Scholz: „Wenn Sie dann mal kritisiert werden, dann sind Sie eine Mimose.“
Wohin soll der persönliche Streit zwischen Merz und Scholz mittelfristig führen?
Die persönlichen Feindseligkeiten ging in der Generaldebatte zum Haushalt so weit, dass sich Merz jede Bitte um Zusammenarbeit verbat, während Scholz mit einem Körperwitz austeilte, als er dem Merz ein „Glaskinn“ attestierte. Die Botschaft: Ein Haken, und dann zerspringt alles in tausend Teile. Das Gezanke ist strategisch gesehen kurzsichtig. Denn die Fragmentierung des Parteiensystems wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass bei der kommenden Bundestagswahl fünf Gruppierungen (FDP, BSW, FW, Linke, Sonstige) am oder unterhalb des Existenzminimums enden, damit aber gut 20 Prozent der Wählerstimmen binden. Und dann ist da noch die AfD, die derzeit nach Umfragen ja auch bis zu 20 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Die Koalitionsoptionen von SPD und Union schwinden rapide, an ihrer Zusammenarbeit führt fast kein Weg vorbei. Es ist daher unklug, wenn persönlicher Streit von heute eine gemeinsame Linie nach der nächsten Wahl gefährdet. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben, aber die Union und die SPD sehen sich noch öfter. Auch ohne Merz und Scholz.