Kein AKW in Wyhl!

Foto Meinrad Schwörer

Am 18. Februar 1975, also vor gut 50 Jahren, wurde im Wyhler Wald Geschichte geschrieben. Es war der Tag des Baubeginns für die geplanten Atomkraftwerke der Badenwerk-AG in Wyhl. Männer und Frauen stellten sich mit ihren Kindern vor die Baumaschinen und brachten diese zum Stillstand. Ein Fenster der Möglichkeiten hatte sich am Oberrhein geöffnet und beherzte Menschen ergriffen die Chancen, die ein solches geschichtliches „window of opportunity“ bietet.

Wenige Tage zuvor hatten die badisch-elsässischen Umweltaktiven erfahren, dass die illegale Bauplatzbesetzung gegen ein extrem umweltvergiftendes Bleiwerk im benachbarten elsässischen Marckolsheim von Erfolg gekrönt war. Am 20. September 1974 wurde der Bauplatz eines geplanten Bleiwerks im elsässischen Marckolsheim von Menschen beiderseits des Rheins besetzt und nach Vorbild der indigenen Urbevölkerung Nordamerikas ein hölzernes Rundhaus, das erste Freundschaftshaus am Rhein, errichtet. Vor 50 Jahren verhinderte die badisch-elsässische Bevölkerung den Bau eines extrem umweltverschmutzenden Bleichemiewerks. 30 Jahre nach der „deutsch-französischen Erbfeindschaft“ des Zweiten Weltkrieges wurde auf dem besetzten Platz der Traum vom gemeinsamen, grenzenlosen Europa der Menschen geträumt und realisiert. Die Marckolsheimer Erfahrungen und der Erfolg der illegalen Besetzung waren wichtig für den erfolgreichen Protest gegen die geplanten Atomkraftwerke in Wyhl (D), Kaiseraugst (CH) und Gerstheim (F). Aus diesen frühen Anfängen der Umweltbewegung und der Bewegung für Luftreinhaltung entwickelten sich auch die späteren Konflikte um das Waldsterben 1.0 und in diesen Kämpfen liegen Wurzeln der heutigen Klimaschutzbewegung. Die alte Nachkriegs-Naturschutzbewegung wurde politisch. Von einem kleinen elsässischen Dorf am Rhein ging ein wichtiger Impuls für die globale Umweltbewegung aus.

Damalige Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung: „Weil wir nicht dulden, dass unser Recht derart missachtet wird, haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald dort mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegenzusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen.“

Nach der ersten Bauplatzbesetzung in Wyhl folgten die Räumung durch die Polizei, die Wiederbesetzung und ein langer rechtlicher und politischer Streit nach der Beendigung der Besetzung. Erst 1994, acht Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, wurden die Baupläne für die Atomkraftwerke in Wyhl endgültig beendet und seit dem 20. Februar 1998 ist der Wyhler Wald Naturschutzgebiet.

Die frühen ökologischen Wyhl-Proteste waren nicht nur das erfolgreiche „NAI HÄMMER GSAIT“ zur Atomkraft und der Beginn einer politischeren Umweltbewegung. Es war mit den Sonnentagen in Sasbach auch das „JA“ und ein Startschuss für die erfolgreichen zukunftsfähigen Energien, ein „JA“ für ein grenzenloses Europa der Menschen und ein Höhepunkt grenzüberschreitend-alemannischer Regionalkultur. Auf dem besetzten Platz entstand mit der Volkshochschule Wyhler Wald eine neue Form alternativer Bildungsarbeit.

Das Erfolgskonzept der Proteste war die intensive Beteiligung der Kulturschaffenden und die heute unvorstellbare gesellschaftliche Breite und Vielfalt der Bewegung. Da waren Kaiserstühler Winzerinnen und Freiburger Freaks, wertkonservative Landfrauen und dörfliche Honoratioren. Linke Studierende debattierten mit evangelischen Pfarrern. Das war nicht immer harmonisch. Der Konflikt um Wyhl stand auch für einen Streit um Demokratie in einer bleiernen Zeit, mit verkrusteten politischen Nachkriegsstrukturen und einem Ministerpräsidenten Hans Filbinger als Gegner, der in der Nazi-Zeit als Marinestabsrichter Todesurteile zu verantworten hatte. Die damalige junge Umweltbewegung war auch in politisch und ökologisch düsteren Zeiten hoffnungsfroh und optimistisch.

Heute, 50 Jahre nach der Bauplatzbesetzung, nach Tschernobyl und Fukushima, sind die letzten deutschen Atomkraftwerke abgestellt. Strom aus Wind und Sonne ist um ein Vielfaches kostengünstiger als Strom aus neuen AKW und der Ökostromanteil in Deutschland lag 2024 bei 63 Prozent. Dennoch wird von Parteien und Lobbyisten erneut das alte Märchen des letzten Jahrhunderts von den billigen, 100 % sicheren, atommüllfressenden Atomkraftwerken erzählt.