Mit einem knapp zehnminütigen Video hat Wirtschaftsminister Robert Habeck große Aufmerksamkeit erregt. Es wurde am Mittwoch (1.11.23) von seinem Ministerium bei X, ehemals Twitter, hochgeladen und an den folgenden Tagen weit über zehn Millionen Mal angesehen. Hier die Rede in Auszügen im Originaltext:
„Der Terrorangriff der Hamas auf Israel ist jetzt bald vier Wochen her. Viel ist seitdem passiert: politisch, aber vor allem für die Menschen, so viele Menschen, deren Leben von Angst und Leid zerfressen wird. Die öffentliche Debatte ist seit dem Angriff aufgeheizt, mitunter verworren. Ich möchte mit diesem Video einen Beitrag dazu leisten, sie zu entwirren. Zu viel scheint mir zu schnell vermischt zu werden. Der Satz ‚Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson‘ war nie eine Leerformel und er darf auch keine werden. Er sagt, dass die Sicherheit Israels für uns als Staat notwendig ist. Dieses besondere Verhältnis zu Israel rührt aus unserer historischen Verantwortung: Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte. Die Gründung Israels war danach, nach dem Holocaust, das Schutzversprechen an die Jüdinnen und Juden – und Deutschland ist verpflichtet, zu helfen, dass dieses Versprechen erfüllt werden kann. Das ist ein historisches Fundament dieser Republik.
Die Verantwortung unserer Geschichte bedeutet genauso, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland frei und sicher leben können. Dass sie nie wieder Angst haben müssen, ihre Religion, ihre Kultur offen zu zeigen. Genau diese Angst aber ist nun zurück. Ich habe kürzlich Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt getroffen. In einem intensiven, in einem schmerzhaften Gespräch, erzählten mir die Gemeindevertreterinnen und -vertreter, dass ihre Kinder Angst haben, zur Schule zu gehen, dass sie nicht mehr in Sportvereine gehen, dass sie auf Anraten ihrer Eltern die Kette mit dem Davidstern zu Hause lassen. Heute, hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust.
Sie erzählten, dass sie sich selbst nicht mehr trauen, in ein Taxi zu steigen, dass sie Briefe nicht mehr mit Absendern versehen, um ihre Empfänger zu schützen. Heute, hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust.
Und ein jüdischer Freund berichtete mir von seiner Angst, seiner schieren Verzweiflung, seinem Gefühl von Einsamkeit. Die jüdischen Gemeinden warnen ihre Mitglieder, bestimmte Plätze zu meiden – zu ihrer eigenen Sicherheit. Und das heute, hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust.
Der Antisemitismus zeigt sich auf Demonstrationen, er zeigt sich in Äußerungen, er zeigt sich in Angriffen auf jüdische Läden, in Drohungen. Während es schnell große Solidaritätswellen gibt, etwa wenn es zu rassistischen Angriffen kommt, ist die Solidarität bei Israel rasch brüchig. Dann heißt es, der Kontext sei schwierig. Kontextualisierung aber darf hier nicht zur Relativierung führen. Wir haben sicherlich oft zu viel Empörung in unserer Debattenkultur. Aber hier können wir gar nicht empört genug sein. Es braucht jetzt Klarheit und kein Verwischen. Und zur Klarheit gehört: Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren, in keiner.
Das Ausmaß bei den islamistischen Demonstrationen in Berlin und weiteren Städten Deutschlands ist inakzeptabel und braucht eine harte politische Antwort. Es braucht diese auch von den muslimischen Verbänden. Einige haben sich klar von den Taten der Hamas und vom Antisemitismus distanziert, haben das Gespräch gesucht. Aber nicht alle, und manche zu zögerlich und ich finde, insgesamt zu wenige.
Die hier lebenden Muslime haben Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt – zu Recht. Wenn sie angegriffen werden, muss dieser Anspruch eingelöst werden und das gleiche müssen sie jetzt einlösen, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen werden. Sie müssen sich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen. Für religiöse Intoleranz ist in Deutschland kein Platz. Wer hier lebt, lebt hier nach den Regeln dieses Landes. Und wer hierherkommt, muss wissen, dass das so ist und so auch durchgesetzt werden wird. Unsere Verfassung schützt und gibt Rechte, sie legt aber auch Pflichten auf, die von jedem und jeder erfüllt werden müssen. Beides kann man nicht voneinander trennen. Toleranz kann an dieser Stelle keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in dieser Republik. Das heißt: Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrors der Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden.
(…) Ja, das Leben in Gaza ist Leben in Perspektivlosigkeit und Armut. Ja, die Siedlerbewegung in der Westbank schürt Unfrieden und nimmt Palästinensern Hoffnung und Rechte – und zunehmend auch Leben. Und das Leid der Zivilbevölkerung jetzt im Krieg ist eine Tatsache, eine fürchterliche Tatsache. Jedes tote Kind ist eines zu viel. Auch ich fordere humanitäre Lieferungen, setze mich dafür ein, dass Wasser, Medikamente, Hilfsgüter nach Gaza kommen, dass die Flüchtlinge geschützt werden.
(…) Der Tod und das Leid, das jetzt über die Menschen im Gazastreifen kommt, sind schlimm. Das zu sagen, ist so notwendig wie legitim. Systematische Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aber kann damit dennoch nicht legitimiert werden. Antisemitismus kann damit nicht gerechtfertigt werden. Natürlich muss sich Israel an das Völkerrecht und internationale Standards halten. Aber der Unterschied ist: Wer würde solche Erwartungen je an die Hamas formulieren? (…) Es war die Hamas, die Kinder, Eltern, Großeltern in ihren Häusern bestialisch ermordet hat. Deren Kämpfer Leichen verstümmelt haben, Menschen entführt und lachend der öffentlichen Demütigung ausgesetzt haben. Es sind Berichte des schieren Horrors – und dennoch wird die Hamas als Freiheitsbewegung gefeiert? Das ist eine Verkehrung der Tatsachen, die wir nicht stehen lassen können. (…)
Die gesamte Rede unter: „Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf X“