Die Analogien blieben nicht aus: Kanzler Olaf Scholz müsse „die Geisterfahrt der FDP beim Klimaschutz“ stoppen, hieß es. Oder auch: „Ausgerechnet beim Klimaschutz setzt die FDP auf ein Tempolimit.“ Hintergrund solch beißender Kritik war der Bericht des Umweltbundesamtes (UBA), dass Deutschland zwar 2022 seine Klimaziele erreicht hat, aber im Verkehrssektor die Klimaziele deutlich gerissen wurden.
Nach den Berechnungen des UBA wurden in Deutschland 2022 weniger Treibhausgase freigesetzt als im Vorjahr – die Emissionen sanken leicht um 1,9 Prozent. Immerhin. Aber: „Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. „Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.“ Wie soll das gehen? „Die Geschwindigkeitsproblematik ist das, was mich nervös macht“, so Messner.
Nun ja, wo man also schon mal bei der Geschwindigkeit ist – im Verkehrssektor geht es nur in eine Richtung, nämlich die falsche: Dort lagen die Treibhausgasemissionen laut UBA mit rund 1,1 Millionen Tonnen (0,7 Prozent) über dem Wert von 2021 und 9 Millionen Tonnen über der im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Der Verkehrssektor sei der einzige, der sowohl sein Klimaziel verfehle als auch einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichne, erklärte das UBA.
Wer nun denkt, dass man im Verkehrsministerium ob solcher Schelte in Panik ausbricht, kennt den da zuständigen Minister schlecht. Bundesverkehrsminister Wissing hat die Vorwürfe zurückgewiesen, nicht genug für das Erreichen der deutschen Klimaziele zu tun. Menschen müssten zur Arbeit fahren und seien vor allem im ländlichen Bereich auf das Auto angewiesen, sagte der FDP-Politiker. Gleiches gelte für die Güterströme im LKW-Verkehr. Deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass man so schnell wie möglich klimaneutrale Antriebe bekomme. Wissing betonte, es gebe in Deutschland keine Mehrheit für das Zurückdrängen des Individualverkehrs. Eine solche Politik mache er auch nicht mit. Nach Ansicht des Verkehrsministers ist der Verkehrssektor trotz verfehlter Klimaziele auf einem guten Weg. „Die Antriebswende ist eingeleitet und ihr Hochlauf nimmt immer mehr zu“, so Wissing. Er wies auf die steigende Zahl von E-Autos hin, den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur, Förderprogramme zum Umrüsten von Dieselbussen und das Deutschlandticket.
Ja klar, Motto verstanden: Wissing gaukelt den Wählern vor, die letzte Bastion im Kampf um die freie Fahrt zu sein. Sollen doch andere dafür sorgen, dass gefälligst das eingespart wird, was im Verkehrssektor verblasen wird. UBA-Präsident Messner pochte hingegen auf eine rasche Verkehrswende, da sonst eben die Klimaziele nicht zu erreichen seien. „Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie weiterhin Subventionen für Diesel oder den Flugverkehr gezahlt werden“, so Messner und bot Wissing an zusammenzuarbeiten. „Das läge mir sehr am Herzen“, sagte Messner. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) begrüßte den Vorschlag und nannte ihn „eine hervorragende Idee“.
Es gibt auch scharfe Angriffe, da es ja immerhin ein verbindliches Klimaschutzgesetz gibt, das im Verkehrssektor aufgrund der verfehlten Klimaschutzziele ein „Sofortprogramm“ fordert, das aber nicht kommt. Daher kündigte die „Deutsche Umwelthilfe“ an, den Gesetzesverstoß mit Klagen stoppen zu wollen. Die Klimaschutzbewegung Fridays for Future warf der Regierungskoalition unverantwortliche Trägheit und insbesondere der FDP eine gezielte Blockadepolitik vor. „Es geht bei den Sektorzielen nicht um Neujahrsvorsätze, die man leider nicht eingehalten hat“, schrieb die Aktivistin Luisa Neubauer auf Twitter. „Es geht um bindende Klimavorgaben, um die eigenen Gesetze, die die Regierung aktiv unterwandert,“ so Neubauer.