Ein Mann fühlt sich nicht wohl. Er vermutet, dass er bald einen Herzinfarkt erleiden wird. Er will aber auf keinen Fall ins nächstliegende Krankenhaus, sondern lieber eine Fahrt von knapp einer Stunde in eine ausgewiesene Spezialklinik in Kauf nehmen. Auf der Strecke dorthin erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt. Und jetzt stelle man sich mal vor, dieser Mann hätte zuvor in den neuen „Bundes-Klinik-Atlas“ geschaut und auf dieser Grundlage die tragische Entscheidung getroffen. Und man stelle sich weiter vor, die örtliche und nahe gelegene Klinik sei im Bereich der Versorgung von Herzpatienten hoch spezialisiert, was aber im Klinik-Atlas nicht erfasst ist. Denn genau das wird dem Projekt von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeworfen. Es strotzt nur so vor Fehlern.
Das Portal unter „www.bundes-klinik-atlas.de“ (Achtung es gibt im Internet ähnlich genannte Seiten, die aber nicht vom Bundesgesundheitsministerium sind) will zur Orientierung der Patienten beitragen. Als Leistungsgruppen werden im Portal 65 Bereiche der Medizin definiert, etwa die Herzchirurgie, Augenheilkunde oder Geburtsmedizin. Jedes Krankenhaus wird danach bewertet, welche dieser Leistungen es anbietet. Daraus ergibt sich dann, welche Versorgungsstufe, genannt Level, das jeweilige Krankenhaus erfüllt. Level 1 sind Basisversorger. Sie bieten wichtige Notfallversorgung an, sind aber nicht so breit aufgestellt. Kliniken auf Level 2 bieten schon mehr an, etwa mindestens zwei chirurgische Bereiche. Für Level 3 müssen Kliniken ein großes Spektrum vorhalten.
Und hier beginnt schon das Problem. Denn die Level-Einteilung sage „nichts über die Qualität der Behandlung aus“, kritisiert etwa die Krankenhausgesellschaft. „Es wird vielmehr dazu führen, dass vermeintliche Sternekategorien, also Level, die Patientinnen und Patienten fehlleiten.“ Sie könnten fortan die große Uniklinik vorziehen. Doch könnte dabei die hochspezialisierte Fachabteilung einer kleineren Klinik im Transparenzportal untergehen, so die Befürchtung.
Eigentlich sollte der Klinikatlas als „Wegweiser durch den Krankenhausdschungel“ in Deutschland dienen, das hatte Minister Lauterbach versprochen. Viele Krankenhäuser klagen nun jedoch, Angaben zu ihrer Personalstärke oder der Zahl der behandelten Fälle seien falsch. Ganze Fachabteilungen von Kliniken wie Onkologie, Geburtshilfe oder Gefäßchirurgie würden in dem Verzeichnis unterschlagen, oft auch Zentren, die von Fachgesellschaften zertifiziert wurden und damit nachweisen können, dass sie bestimmte Standards einhalten. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) strotzt das Verzeichnis vor solchen Fehlern und Verzerrungen, und DKG-Präsident Ingo Morell sagt, ihm fehle dafür jedes Verständnis. Es sei klar gewesen, dass „sich so ein Instrument nicht kurzfristig und nebenher in die Welt setzen lässt“.
Kerstin von der Decken, die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein und amtierende Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder verwies auf höchstrichterliche Rechtsprechung, die es staatlichen Behörden verwehre, „Informationen in Kenntnis ihrer Unrichtigkeit zu veröffentlichen“. Sie forderte von Lauterbach, den Klinikatlas „umgehend abzuschalten“, sollten die Fehler nicht unverzüglich behoben werden.
Dabei geht es natürlich auch um existenzielle Interessen der Kliniken in Deutschland. Denn mit dem Klinikatlas sollen Patientinnen und Patienten laut Lauterbach zu den Häusern gelotst werden, die für den jeweiligen Eingriff besonders gut gerüstet sind. Bedeutet aber umgekehrt, dass die angeblich weniger geeigneten Häuser zunehmend von Patienten gemieden werden und so in die Pleite getrieben werden. Könnte man so machen – aber nur, wenn die Angaben auch zu 100 Prozent stimmen würden. Ansonsten ist es Rufmord, von ganz oben, dem Bundesgesundheitsminister betrieben, aus unverständlicher Eilfertigkeit.
Das Bundesgesundheitsministerium will das Verzeichnis trotz aller Fehler nicht abschalten.Ein Sprecher erläutert, der Klinikatlas sei „ein lernendes System“. Es gehöre zum Selbstverständnis des Projekts, „Kritik aufzunehmen und darauf zu reagieren“. Die Daten würden kontinuierlich aktualisiert und dadurch immer besser. Quasi von ganz falsch zu ein bisschen weniger falsch? Karl Lauterbach als Sturkopf, wie immer.
Beispiel: Du hast Dir einen Brustgurt besorgt, der deine Herzfrequenz beim Sport angeblich EKG-genau misst. Dann gibt er dir bei Bewegung einen Wert von 38 Schlägen an (die du glücklicherweise beim Schlafen hast). Er liegt offensichtlich falsch. Dann legst du ihn weg. Er hat seinen Sinn verloren. Falsch ist falsch.