Es war einmal ein Gangster in Amerika

Donald Trump wurde von zwölf Geschworenen in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden und ist jetzt ein rechtmäßig verurteilter Straftäter. Das stört seine Fans nicht. Nach dem Urteil regnete es an einem Tag über 50 Millionen Dollar Spenden für den Verurteilten.

Fotomontage: Adrian Kempf

Die Sache mit den zwölf Geschworenen ist schon immer faszinierend. In einem Strafprozess in den USA entscheiden nicht etwa die Richter, also gelernte Juristen, über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten. Sondern Leute aus dem Volk. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Prozesses beginnt ein langes Ringen darum, welche Geschworenen genommen werden sollen. Sowohl die Staatsanwälte wie auch die Verteidiger sind an diesem Auswahlprozess beteiligt. Aber danach sind es eben doch zwölf Geschworene aus dem Volk, die sich auf ein einstimmiges Urteil einigen müssen. Und so geschah es nun auch im Prozess gegen Donald Trump. Zwölf Geschworene haben den Mann in allen 34 Anklagepunkten einstimmig für „schuldig“ erklärt. Trump ist somit ein rechtmäßig verurteilter Straftäter. Und in der Folge davon lassen sich die Verhältnisse in den USA des Jahres 2024 genau an der Frage der „zwölf Geschworenen“ ablesen.

 
Präsident Joe Biden lobte ganz allgemein den amerikanischen Rechtsstaat und sagte, es sei gefährlich, diesen zu unterminieren. „Diese Geschworenen wurden so ausgewählt, wie alle Geschworenen in Amerika ausgewählt werden“, sagte er im Weißen Haus, „es war ein Vorgang, an dem Donald Trumps Anwalt beteiligt war. Die Geschworenen haben die Beweisaufnahme fünf Wochen lang verfolgt, und nach sorgfältiger Beratung sind die Geschworenen zu einem einstimmigen Urteil gekommen.“

Und was sagte Donald Trump nach dem Urteil dazu? Er beschrieb den Richter Merchan als „Teufel“. (Ob das so schlau war, sei dahin gestellt, da der Richter das Strafmaß bestimmt, das er am 11. Juli bekannt geben will). Seinen Schuldspruch, so Trump weiter, verdanke er „schlechten Menschen, kranken Menschen“. Das Land werde überschwemmt von Menschen aus dem Ausland, die aus Gefängnissen und Irrenhäusern kämen. Dafür verantwortlich seien Präsident Joe Biden und „eine Gruppe von Faschisten“.

Die Tradition der „zwölf Geschworenen“ will Trump schnell beiseite wischen, damit bloß keiner denkt, dass das Volk ihn verurteilt hat. Wer gegen ihn ist, der ist krank, schlecht und nur ein Handlanger von Joe Biden. Kann es wirklich sein, dass Trump mit solchen Aussagen die Mehrheit der Amerikaner überzeugt? Der Trick von Trump besteht ja genau darin, dass er alles auf die Frage: „Wir gegen die“ reduziert. Damit wird aus den Augen verloren, dass es bei dem Prozess gar nicht darum ging, dass „schlechte Menschen“ gegen ihn gewesen seien. Sondern es ging ganz konkret um 34 Anklagepunkte, bei denen die Geschworenen im Ergebnis 34 mal „schuldig“ votierten, und zwar ganz konkret: wegen Bilanzfälschung mit dem Ziel der illegalen Wahlbeeinflussung. Das Urteil war kein „Wir gegen die“ und die Jury hat nicht Trump als „schlechten, kranken Menschen“ bezeichnet, sondern ihn einfach nur konkret des Betrugs überführt.

Wie die Republikaner die Justiz angreifen 

Donald Trump ist seit diesem Zeitpunkt nicht mehr nur der erste ehemalige US-Präsident, der jemals wegen einer Straftat angeklagt wurde. Er ist nun auch der erste ehemalige US-Präsident, der ein verurteilter Straftäter ist. Nicht zuletzt, und nicht ganz unbedeutend, ist er damit auch der erste Straftäter, der sich erneut um die Präsidentschaft bewirbt. Und zwar mit der vollen Rückendeckung der Republikaner, die seit dem Urteil noch geeinter hinter Trump stehen als zuvor. In ihrer Geschichte galten die Republikaner als die Partei von Recht und Ordnung. Sie entzogen beispielsweise Richard Nixon nach dessen „Watergate“-Affaire die Unterstützung, woraufhin dieser als Präsident zurück trat. (Ein Strafverfahren und eine Verurteilung blieben Nixon später erspart).

Nun ja, das hat sich geändert. Bei Donald Trump huldigen sie ihm wie lauter Jünger (auch mit Ambitionen auf das eine oder andere Pöstchen, falls Trump wieder Präsident wird) und haben überhaupt kein Problem damit, dass ihr Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 ein verurteilter Straftäter ist. Vielmehr wird die Justiz von den Republikanern zum Feind erklärt. Seit bald vier Jahren bereits schwadronieren Trump, seine Verehrer und auch die Partei der Republikaner, dass ihm 2020 der Wahlsieg geklaut worden sei. Nun verbreiten Trump und sein Gefolge die Mär, Biden wolle seinen Wahlgegner mit manipulierten Strafverfahren ausknocken. Dabei weiß ja jeder (auch und gerade bei den Republikanern), dass Trump ein notorischer Lügner und Betrüger ist. Sie alle wissen also auch, dass das Urteil, das ihn des Betrugs überführt, ganz einfach stimmig ist. Doch Trump mimt den „Don“ und seine vielen Handlanger küssen ihm den Ring.

Das einfache Muster der Republikaner: Wenn Trump angeklagt oder überführt wird, dann sind die Strafverfolger für seine Parteigänger befangen und korrupt; wenn die Justiz auf der anderen Seite des politischen Spektrums hart urteilt, preisen die Republikaner den funktionierenden Rechtsstaat. Dies betrifft etwa die stramm konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshofs. Diese wurde ja von republikanischen Präsidenten nominiert, drei der neun Mitglieder von Donald Trump. Sie kippten 2022 das Bundesrecht auf Abtreibung. Heißt insgesamt: Für Donald Trump riskieren die Republikaner sogar den Schaden an der eignen Marke. „Recht und Ordnung“ ist jetzt unter der Fuchtel des Paten. Und die obersten Richter beraten gerade darüber, ob Trump für seine Amtszeit Immunität, also Straffreiheit zusteht. Wenn dem so wäre, dann würde höchstrichterlich abgesichert, was Trump schon früher von sich sagte: Er könne sich mitten auf die Hauptstraße in New York stellen und einen anderen erschießen – das würde keinen einzigen seiner Wähler abschrecken.

Was juristisch noch so ansteht

Gegen das nun gefällte Urteil der Geschworenen werden Trumps Anwälte Berufung einlegen. Dass ein Berufungsgericht das Urteil der Geschworenen aufhebt, kommt in den USA aber eher selten vor. Ein möglicher Grund für eine Berufung könnte der Ort des Verfahrens sein. Denn Donald Trump ist in seiner Heimatstadt New York, insbesondere in Manhattan, äußerst unbeliebt, was auch seine Wahlergebnisse in der Stadt zeigen. Also dürften seine Anwälte argumentieren, dass für Trump ein faires Verfahren in New York gar nicht möglich war. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass dieses Argument zu einer Aufhebung des Urteils führt. Das Verfahren hat halt da stattgefunden, wo Trump seine Bilanzfälschung beging.

 Dabei wiegen die noch anstehenden Anklagen gegen Trump viel schwerer. Der bislang schwerste Vorwurf gegen Trump lautet Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten. Sonderermittler Jack Smith wirft Trump in seiner Anklageschrift vom 1. August 2023 vier Verbrechen vor: Der abgewählte Präsident habe Ende 2020/Anfang 2021 falsche Behauptungen verbreitet und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wahl untergraben. Zudem habe Trump staatliche Stellen missbraucht und versucht, den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence für sich zu instrumentalisieren. Somit habe Trump auch den Sturm seiner Anhänger auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 befeuert. Dieses Verfahren wird wohl nicht mehr vor der Wahl starten.

Kann das alles wahr sein?

Nicht zwölf Geschworene sondern über 160 Millionen wahlberechtigte Amerikaner werden darüber bestimmen, ob sie einen Gangster zum Präsidenten haben wollen. Und derzeit führt Trump in den Umfragen. Wäre wieder Filmstoff: „Es war einmal ein Gangster in Amerika.“ Für den Rest der Welt ist es kaum zu verstehen. Am Tag nach dem Urteil gab es Spenden von über 50 Millionen Dollar für Donald Trump.