Ralph Caspers sitzt in seinem Arbeitszimmer, das man aus seinen Videos kennt, hinter ihm im Regal leuchtet das große C . Seine Stimme, sein Gesicht kennt fast jedes Kind und fast jedes ehemalige Kind. Er ist der Autor und Moderator der „Sendung mit der Maus“, „Wissen macht Ah!“ und „Quarks“. Dort stellt er viele Fragen und sucht Antworten. Als Vater dreier Kinder kam ihm die Idee zu den „99 Fragen“-Bücher, damit Gespräche mit Kindern nicht zu Verhören, sondern zu einem Gedankenaustausch werden.
Spätestens seit der Pandemie sind viele Eltern überzeugt, dass ihre Kinder unverbesserliche Stubenhocker sind, die nur noch vor dem Computer sitzen. Kommt da eine Generation von unbeweglichen, uninteressierten Menschen auf uns zu?
Ralph Caspers: Wenn ich das wüsste. Aber ich glaube, dass viele Kinder auch Angst haben: Was kann ich machen? Welche Regeln muss ich beachten? Wie muss ich mich verhalten, damit ich das Virus nicht mit nach Hause oder zu den Großeltern bringe? Und wie kann ich trotz allem in der Schule gut bleiben? Da ist so Vieles, mit dem Kinder sich jetzt beschäftigen müssen, was vorher nie eine Rolle gespielt hat. Das ist eigentlich ein unglaublicher Ballast, den die mit sich herumschleppen müssen. Deshalb brauchen sie Unterstützung durch die Erwachsenen.
Sie haben einmal erzählt, dass Sie selbst vor dem Fernseher aufgewachsen sind, manchmal sogar lange vor dem Testbild saßen. Vielleicht ist es aus Ihrer Sicht dann gar nicht so schlimm, wenn man dauernd vor dem Computer sitzt?
Ralph Caspers: Ich habe mal ein Interview mit Peter Lustig gemacht, der ja lange bei der Sendung „Löwenzahn“ war. Er hat gesagt, Fernsehen macht dumme Menschen dümmer und kluge Menschen klüger. Was für den einen gilt, muss nicht für den anderen gelten. Man muss die Dinge also individuell betrachten. Es gibt Menschen, die können den Computer für sich nutzen, andere benutzen ihn nur um abzuschalten und sich bedienen zu lassen. Die steigen dann in ein Rabbit Hole hinunter und merken gar nicht, wie auf einmal zehn Stunden vorbei sind.
Insofern gehe ich mal davon aus, dass Ihre Testbild-Phase keine zehn Stunden gedauert hat…
Ralph Caspers: (Lacht) das kann ich gar nicht mehr genau sagen, wie lange ich davor saß. Ich weiß nur, dass es ein Erlebnis war, an das ich mich immer noch sehr gut erinnern kann. Also kann es nicht so kurz gewesen sein.
Wird Ihr lakonischer Humor, der ja weit entfernt ist vom Schenkelklopfer-Witz, von Kindern besser verstanden als von Erwachsenen?
Ralph Caspers: Also, ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, Furzwitze gehen immer. Ich glaube nicht, dass ich einen feinen Humor habe, eher so einen blöden Humor – (lacht) wenn überhaupt. Aber ich frage mich nicht, wer wird das alles verstehen und wer nicht. Sondern ich denke, die richtigen Leute werden das verstehen.
Sie moderieren verschiedene Wissenssendungen für Kinder und Jugendliche, schreiben Bücher und haben vor der Pandemie auch Sendungen aus anderen Ländern moderiert. Wie viel Zeit bleibt Ihnen fürs stille Nachdenken, fürs Nichtstun?
Ralph Caspers: Eigentlich bin ich sehr faul und hänge oft einfach nur rum. Und mache nichts, ehrlich gesagt. Das klingt jetzt total komisch, weil da ja so ein Output ist. Bei uns in der Familie ist ein geflügeltes Wort: Ich höre dich nicht tippen! Weil ich nicht arbeite. Aber tatsächlich ist es wahrscheinlich so: Wenn ich nichts mache, macht mein Gehirn im Hintergrund die Hauptarbeit. Und wenn das dann fertig ist, muss ich mich nur noch hinsetzen und das aufschreiben oder umsetzen.
Und dann rödeln sie nächtelang durch?
Ralph Caspers: Kommt manchmal vor. Ich bin so ein Typ, der beispielsweise für Klausuren immer in der Nacht vorher gelernt hat. Ganz schlimm eigentlich. Das Problem ist, ich bin damit nie so wirklich auf die Nase gefallen. Es ist immer irgendwie gut ausgegangen. Das ist natürlich echt fatal. Und ich glaube, ich kann ganz gut improvisieren. Auch in Klausuren.
Wenn Sie eine Einladung bekämen, in eines der Raumschiffe zu steigen, um mit einem der Multimilliardäre ins Weltall zu fliegen, würden Sie annehmen?
Ralph Caspers: Ehrlich gesagt, bin ich da sehr konservativ. Ich finde nicht, dass das Raumschiffe sind. Das waren Flugzeuge, die sehr, sehr hoch geflogen sind. Das war ja nicht mal bis zur ISS. Wenn ich dorthin mitkommen könnte, würde ich sofort Ja sagen. Aber bei diesen Stratospärenflügen… (schnaubt), das wäre mir doch etwas zu lahm.
Seit über 20 Jahren sind Sie das Gesicht der „Sendung mit der Maus“. Diese Sendung gibt es schon seit 50 Jahren, „Wissen macht Ah“ seit 20 Jahren. Und Sie werden nächstes Jahr 50. Gibt es bei so vielen runden Zahlen bei Ihnen so etwas wie Aufbruchspläne?
Ralph Caspers: Ich steh nicht so auf runde Zahlen. Die haben für mich kein so besonderes Sexappeal. Ich bin eher so ein Fibonacci-Zahlen-Typ. Gut, wir haben ein Dezimalsystem und das ist ja auch ganz praktisch. Aber dass man runde Zahlen immer so feiern muss, finde ich langweilig. Und das andere ist, ich hatte nie große Pläne. Das ist etwas, was mir immer gefehlt hat, ein Plan für mein Leben oder fürs nächste Jahr. Das fand ich zeitweise etwas schlimm, weil ich es bei anderen gesehen hatte und auch haben wollte. Aber es hat nie funktioniert. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und rutsche immer von dem einen ins andere. Jetzt finde ich das gut und feiere das ein bisschen, dass mir ein Plan fehlt. Insofern habe ich auch keinen Plan, was ich als nächstes machen möchte, ich schaue einfach was kommt.
Glauben Sie, dass man planlos vielleicht interessante Begegnungen und Gespräche hat?
Ralph Caspers: Wenn man ein Ziel hat, angenommen in fünf Jahren will ich dies und das erreicht haben, dann kann es ja schnell passieren, dass man so eine Art Tunnelblick bekommt, weil man immer den Blick auf das Ziel ausrichtet. Dabei merkt man dann nicht mehr, was sich links und rechts vom Weg so ergibt. Wenn man dagegen kein solches Ziel hat, dann lässt man den Blick vielleicht viel öfter schweifen und schaut, was sich sonst noch alles so ergibt, welche Möglichkeiten es gibt und was man noch alles so machen könnte. Und das ist es, was mir ganz gut gefällt. Das macht es für mich auch interessanter.
Eine sympathische Haltung, obwohl sie natürlich dem widerspricht, was wahrscheinlich Wirtschafts- oder Berufsberater sagen würden.
Ralph Caspers: Rückblickend betrachtet, wenn man sich meinen Weg anschaut, sieht es ja aus, als hätte ich ein ganz klares Ziel gehabt und dieses immer ganz klar verfolgt. Es kommt immer auf die Blickrichtung an. Dabei wusste ich nie genau, was ich machen wollte. Ich hatte nie eine Idee für mein Leben. Aber ich wusste, es gibt viele Sachen, die mache ich gerne und viele, die mache ich gut. Wobei das eine nicht unbedingt das andere sein muss. Aber es gibt eine Schnittmenge von beidem. Um herauszufinden, was ich gerne mache und einigermaßen gut kann, muss ich halt viel ausprobieren. Und wenn man das dann irgendwann gefunden hat, dann ist dies das Beste, was einem passieren kann. Dann kommt der Rest, dass man damit Geld verdient oder über die Runden kommt, in der Regel von ganz alleine. Aber das zu finden, das dauert halt eine gewisse Zeit. Und man muss ausdauernde Eltern haben, die einen machen lassen. Das ist, glaube ich, das A und O.
Wie viele Eltern bei so einer Aussage wohl laut aufstöhnen?
Ralph Caspers: Klar, es ist ganz praktisch, wenn man solche Meilensteine erreicht hat, wie zum Beispiel Abitur, weil das am Ende doch mehr Möglichkeiten schafft. Und darum geht es ja, dass man viele Möglichkeiten hat. Aber man muss sich als Eltern auch fragen, was will ich eigentlich? Will ich, dass mein Kind reich wird, viel Geld hat und sich alles leisten kann? Oder will ich, dass es zufrieden ist? Vielleicht sogar glücklich. Und das eine muss nicht unbedingt was mit dem anderen zu tun haben.
Wer ist bei Ihnen zu Hause neugieriger – Sie oder Ihre Kinder?
Ralph Caspers: (Denkt lange nach.) Ich glaube, das kann man gar nicht so quantifizieren. Es gibt Sachen, die mich total interessieren und das kann schon auch was ganz Blödsinniges sein. Aber es gibt auch beim Rest der Familie Dinge, die ich erst einmal langweilig finde, sie aber total interessant finden. Die große Herausforderung ist herauszufinden, was es ist, was andere da so begeistert. Ich habe bei all meinen Recherchen festgestellt, selbst bei den langweiligsten Themen gibt es immer irgendwann einen Punkt, wo irgendein Mensch gesagt haben muss: Oh, das ist aber interessant! Und herauszufinden, was das ist, finde ich spannend.
Wird bei Ihnen am Esstisch also leidenschaftlich diskutiert?
Ralph Caspers: Das kann man sich so vorstellen, aber es entspricht nicht der Wahrheit (lacht). Wichtig ist, und das ist ja der erste Schritt, dass man gemeinsam am Essenstisch sitzt und weiß, wie die anderen aussehen. Und dann ergibt sich der Rest von alleine, meistens. Das ist ja das Schwierigste, dass man einen gemeinsamen Zeitpunkt für ein Essen zusammen findet und dann als Eltern nicht auf die Idee kommt, jetzt alle Probleme auszubreiten, die mal besprochen werden müssen. Das macht es dann wieder kaputt. Wir haben immer versucht, Essen Essen sein zu lassen und alles, was besprochen werden muss, in Einzelgesprächen zu klären.
Ihr aktuelles Buch „99 seichte Fragen“ soll da Anregungen geben, wie ein tiefgründigeres Gespräch mit Kindern angekurbelt werden kann?
Ralph Caspers: Ja, denn oft ist man ja in einer Situation, wo es voll langweilig ist – Stau, Supermarktkasse, irgendwo warten. Man kann sich dann anschweigen oder man macht sich ein Spiel draus. Das haben wir oft so gemacht. Da haben wir dann beispielsweise gefragt: Wenn du einen Sinn abgeben müsstest, welcher wäre das? Oder: Wenn du dir eine Superkraft aussuchen könntest, welche hättest du gerne? So haben wir angefangen, spielerisch über alles Mögliche zu sprechen. Da kommt man auf sehr interessante Erkenntnisse.
Die Texte von Ihnen im Buch animieren zum Nachdenken über sich selbst.
Ralph Caspers: Das Buch soll einfach neugierig machen auf die Gedanken meines Gegenübers. Und natürlich auf meine eigenen. Manchmal erscheint ein Gedanke ganz profan. Soll ich einen Umweg gehen oder eine Abkürzung? Da kann man über sein Verhalten nachdenken und über die Vor- und Nachteile der Umwege und Abkürzungen. Sich darüber mal Gedanken zu machen, und im besten Fall mit jemanden darüber auszutauschen, das kann richtig Spaß machen.
Nervt es andere Leute manchmal, wenn Sie sich über alles und jedes so viele Gedanken machen?
Ralph Caspers: (Lacht) Ich werde nicht mehr so oft zu Partys eingeladen. Vielleicht gehen die Leute mir deshalb aus dem Weg, das kann gut sein. Aber das Tolle ist, man hat immer ein kleines Thema zum Reden. Ich habe gemerkt, dass die Gespräche so sehr viel schneller substanzieller werden, wenn man mal ein anderes Thema bringt als das Wetter oder über was sonst normalerweise so gesprochen wird.
Ich finde es schön, Menschen zu aktivieren, das machen wir ja auch bei „Wissen macht Ah!“ gerne, zu zeigen, hier sind die Zutaten, damit kann man solche Versuche machen, jetzt könnt ihr in die Küche gehen und alles im Chaos versinken lassen. Ich mag das total, das macht mir sehr viel Spaß.