Es läuft eine Geisterdebatte in Deutschland, über die „Rente mit 63“. Kann sein, dass diese deutsche Diskussion aufkam, weil derzeit in Frankreich um die Rentenreform gerungen wird. Doch die Argumente gegen die vorzeitige Rente in Deutschland sind völlig absurd, wenn sie darin bestehen, dass es hauptsächlich gesunde und vitale Menschen sind, die sie in Anspruch nehmen wollen. Denn im Umkehrschluss würde das ja bedeuten, dass man krank sein müsste, um diese vorzeitige Rente zu beantragen. Oder noch klarer formuliert: Wer gesund in Geist und Körper ist, der soll gefälligst weiter malochen. Doch das ist völlig übergriffig. Denn Voraussetzung für die vorzeitige Rente ist ja, dass die betroffenen Personen schon 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben. Und das schaffen nicht viele Menschen.
Die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat 2014 mit der Großen Koalition die Rente mit 63 eingeführt. Die Absicht dahinter war es, gesundheitlich angeschlagenen älteren Beschäftigten nach 45 Beitragsjahren die Möglichkeit zu geben, ohne Abschläge mit 63 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Da diese Altersgrenze stufenweise steigt, liegt sie inzwischen bei 64 Jahren. Also genau dort, wo Frankreich mit seiner Reform hin will – wobei es in Deutschland die Ausnahme der Frührente ist und der reguläre Eintritt derzeit bei 66 Jahren und demnächst bei 67 Jahren liegt. Dagegen gab es in Deutschland keine größeren Proteste.
Bei der Einführung der „Rente mit 63“ ging die Regierung von jährlich rund 200.000 Antragstellern für die abschlagsfreie Frührente aus. Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wurden 2021 rund 257.000 Anträge gestellt, im Jahr davor waren es 260.000. Nun ja, knapp aber nicht wesentlich über der kalkulierten Menge. Was die Gemüter erhitzt, ist etwas anderes: Die Daten der DRV und des Sozio-Ökonomischen Panels zeigen, dass es den Beschäftigten, die die Rente mit 63 nutzen, gesundheitlich besser geht als denjenigen, die keine abschlagsfreie Rente beziehen. Die Daten zeigen auch, dass die Rente mit 63 vor allem von Menschen mit mittleren Einkommen genutzt wird. Fast alle Beschäftigte mit niedrigeren Einkommen dagegen arbeiten bis zum regulären Renteneintritt.
Deshalb wird gestritten. So fordert die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer deren Abschaffung. Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger macht sich für eine Abkehr stark. Viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte stünden nicht mehr zur Verfügung, das hätte Unternehmen geschwächt. Doch die SPD und Gewerkschaften wollen daran festhalten. Die IG Metall spricht sich gegen eine Abkehr von der Rente mit 63 Jahren aus. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte: „Nein, wir werden die Möglichkeit, nach 45 Jahren ohne Abschläge in Rente zu gehen, auf keinen Fall stoppen!“
Viele ältere Beschäftigte planen Jahre im Voraus ihren Ruhestand, rechnen Rente, Erspartes und Lebenskosten durch, um sich dann zu entscheiden, ob sie die Rente mit 63 beantragen können. Natürlich gibt es dafür ja gute Gründe. Nach 45 Beitragsjahren möchten viele Menschen noch etwas haben vom Leben, bevor sie zu alt sind, um es noch genießen zu können. Manche wollen noch größere Reisen machen, ohne auf einen Rollator angewiesen zu sein.
Das Problem ist dabei natürlich die Frage, wer das alles bezahlen soll. Sollen die „Jungen“ dies über ihre Beiträge zur Rentenkasse und ihre Steuern schultern? Wie in Deutschland üblich, wird da gleich die moralische Frage gestellt, ob das nicht „unfair“ sei. Klar, wenn alle „Alten“ länger arbeiten würden, also bis 67 Jahren (oder länger), dann müsste ja nicht die Rentenkasse bezahlen, sondern die Arbeitgeber. Trotzdem ist die deutsche Debatte über die „Rente mit 63“ fehlgeleitet. Denn das Finanzierungsproblem, wenn die „Baby-Boomer“ in Rente gehen, war schon lange bekannt. Es ist halt so, dass relativ viele neue Rentner relativ wenigen jüngeren Beschäftigten gegenüber stehen. Wenn man will, dass ältere Beschäftigte länger arbeiten, dann muss man eben die Arbeit attraktiv machen.