Wenn Friedrich Merz über Olaf Scholz sagt: „Das Schweigen des Kanzlers macht mich fassungslos“, dann hat der neue CDU-Chef nicht kapiert, was es mit dem Spruch „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ auf sich hat. Merz wollte sich mit seiner Geste der Fassungslosigkeit an die Spitze einer medialen Bewegung setzen, Scholz als einen schweigenden Schwächling darzustellen. Doch das entbehrt nicht nur jeder sachlichen Grundlage, sondern ist – mit Verlaub – ziemlich dämlich. Wenn Scholz nicht gleich alle Karten auf den Tisch legt, ist das nicht feige, sondern clever. Wenn Opposition und einige Medien fordern, dass Scholz „laut“ und „sichtbar“ sein müsse, dann fragt man sich schon, was das denn konkret heißen soll. Sollte Scholz vollmundige Drohungen gegen Putin verkünden, so laut es geht, noch bevor er ihn in Moskau besucht hat? Sollte Scholz Russland drohen, um in den USA sichtbar zu sein? Zum Glück ist der deutsche Kanzler ein zu ernsthafter Mensch, um solchen Wünschen zu entsprechen, die den Ernst der Lage verkennen. Einen gewissen Eigensinn hat er aber auch offenbart. Das führte zu satirischen Momenten. Mitunter ist seine Sprache auch zu sparsam.
Man darf Scholz und dem Kanzleramt durchaus glauben, dass vor der Reiseoffensive von Scholz in die USA und bald darauf in die Ukraine und nach Moskau hinter den Kulissen „sehr hart gearbeitet“ wurde. Es ist nämlich keine Kleinigkeit, wenn sich die EU mit allen Staaten sowie mit den USA über konkrete Sanktionslisten einigen muss, die dann wirklich auch schnell umsetzbar wären, wenn Russland einen Krieg beginnt. Da ist es mit lauten Worten nicht getan, denn bellende Hunde beißen bekanntlich nicht. Deshalb hat Scholz recht, wenn er im Vorfeld seiner diplomatischen Reisen in einem wohl platzierten Interview mit der Washington Post sagte: „Die Realität ist wichtiger als Gerüchte. Die Realität ist, dass Deutschland der größte koninentale Nato-Partner in Europa ist (…) und dass wir ein sehr guter Partner sind.“
Scholz verwies auch darauf, dass „Gerüchte“ über die Unzuverlässigkeit Deutschlands oder von ihm als Kanzler eher eine Medienkampagne denn die Wahrheit seien. Wie zum Beweis gab es dann doch tatsächlich Medienschaffende, die sich am Outfit des Kanzlers während des zehnstündigen Flugs in die USA abarbeiteten und dabei Scholz bezichtigten, dass er quasi der Würde seines wichtigen Antrittsbesuchs in den USA verletzt habe. Warum? Weil er zum Hintergrundgespräch im Flugzeug mit den mitreisenden Journalisten in Jeans, schwarzem T-Shirt und grauem Pulli kam. So wurde des Kanzlers Klamotte doch tatsächlich zur medialen Aufgeregtheit verwendet. In Tweets war von „Baumarkt-Look“ die Rede, andere zogen Vergleiche mit Til Schweiger. Auch die eigene Bundestagsfraktion des Kanzlers beteiligte sich an der Diskussion. Auf dem offiziellen Twitterkonto der SPD-Fraktion hieß es in Anlehnung an den Pop-Klassiker „San Francisco“ von Scott McKenzie: „If you‘re going to Washington D.C. Be sure to wear some pulli in the air.“
Ironisch reagierte auch SPD-Chef Lars Klingbeil auf die Diskussion um Scholz‘ Pullover. „Bin gestern im Pullover in den Wahlkreis gereist. Ich hoffe, das war ok!“, twitterte er.
Wie lief es für Scholz bei Biden?
„Deutschland ist komplett zuverlässig“, sagte der amerikanische Präsident Joe Biden bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Olaf Scholz. Kurz darauf variierte er: „Es gibt keinen Zweifel, dass Deutschland ein komplett zuverlässiger Verbündeter ist.“ Gleich mehrfach wurde der neue Kanzler aus Deutschland während derselben Pressekonferenz im Weißen Haus gefragt, warum er nicht endlich sage, dass die Gas-Pipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen könne, wenn Russland die Ukraine angreift.
Sein Gastgeber Biden hat das getan. „Wenn Russland einmarschiert, das heißt Panzer wieder über die Grenze rollen, dann gibt es kein Nord Stream 2“, so Biden. Und als die Reporter genau deshalb gegenüber Scholz nicht locker lassen wollten und sogar fragten, ob es nicht gut wäre, endlich Klarheit bei der Pipeline zu schaffen, um Vertrauen in den USA zurückzugewinnen, sprang Biden dem deutschen Kanzler entschlossen zur Seite. „Er muss kein Vertrauen zurückgewinnen. Er hat das vollständige Vertrauen der Vereinigten Staaten“, rief der US- Präsident. Und sogar einige Republikaner, die Scholz vor seinem Besuch noch schwer misstraut hatten, lobten ihn nach einem gemeinsamen Essen in den höchsten Tönen.
Sturheit oder Slapstick beim N-Wort?
Scholz hat eigentlich längst durchblicken lassen, dass im Kriegsfall Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen kann. Warum er es nicht auch klar sagt, bleibt ein Geheimnis. Scholz selbst nennt dies „strategische Ambiguität“, die nach Ansicht des Kanzlers Russland im Unklaren lässt, ob die Sanktionen nicht noch viel schlimmer werden als ohnehin angenommen.
Das ist allerdings Slapstick. Denn eine gewisse Verunsicherung Putins hängt ja nicht von dem Nennen des einen Begriffs „Nord Stream 2“ ab. Eher entstand der Eindruck, dass Olaf Scholz umso bockiger wurde, desto mehr man ihn zu dem N-Wort drängte. Diese Bockigkeit kann auch darin begründet sein, dass Scholz eine tiefe Abneigung gegenüber einfachen Schlagworten hat. Diese erzeugen zwar mediales Echo, haben aber mit der sehr viel komplizierteren Realität nichts zu tun. Denn die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas ist auch ohne die neue Pipeline erheblich. Die Schadensersatzzahlungen bei einer Nichtinbetriebnahme der fertig gestellten Pipeline wären nicht nur enorm, sondern könnten sogar von Russland zur teilweise Kriegsfinanzierung verwendet werden. Alles also nicht so einfach, wie manche sich das wünschen. Und alles seit vielen Jahren unter Merkel so gewollt, wobei auch Scholz in der vergangenen GroKo beteiligt war. Sprich: Scholz verwahrt sich gegen Slogans. Aber es entsteht der Eindruck, dass er handeln würde. Nur direkt sagen, was er genau tun würde, will er partout nicht.
Das Problem ist „klar“
Ein typischer Scholz geht so: Er wird auf der Pressekonferenz im Weißen Haus gefragt, wie es um Nord Stream 2 bestellt ist, und antwortet: „Schönen Dank für die Frage, ich will da sehr klar sein ….“ Doch was er danach sagt, ist eben genau nicht „klar“, sondern versprüht den Nebel des Allgemeinen und Ungefähren. Scholz will offenbar, dass alle seine Antworten so unkonkret bleiben, dass sie ihm später nicht auf die Füße fallen können.
Desto sparsamer Scholz die Sprache einsetzt, desto mehr Interpretationsspielraum bietet er an. Es ist vielleicht nur eine Macke von ihm oder er sieht es als hanseatische „Marke“ der sprachlichen Verknappung, die er bewusst aufbaut. Am Ende des Tages erwarten die Leute aber, dass er Klartext spricht und diesen nicht nur in Endlosschleife ankündigt. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass Kanzler Scholz schon nach zwei Monaten im Amt 17 Prozentpunkte an persönlicher Zustimmung (im ARD-Deutschlandtrend) verloren hat. Solche Umfragewerte können da sehr klar sein.
Wie ist die Abstimmung mit Macron?
Wenn Scholz zwischendurch vorgeworfen wurde, dass er Emmanuel Macron quasi die Bühne im Krisenmanagement der Ukraine/Russland- Krise überlassen habe, ist das kleingeistig. Beide haben ihren – bei Macron auch persönlichen – Ansatz verfolgt. Da ging es ja schließlich nicht um einen Wettlauf der Eitelkeiten.
Das Treffen mit Putin
Es war keine Kleinigkeit, am angekündigten Vorabend des Krieges zu Putin zu reisen. Nach dem Gespräch schienen eher die Differenzen als die Gemeinsamkeiten auf. Putin lobte Ex-Kanzler Schröder als „anständigen Menschen“, im Wissen, dass dies Scholz ein bisschen piesacken könnte. Und dann tat es Scholz wieder: In Bezug auf Nord Stream 2 sagte er: „Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist.“ Aha. Wenn es aber doch alle wissen, warum spart Scholz sich dann die Worte, es ebenfalls auszusprechen.
Die sparsame Sprache des Olaf Scholz kann befremden. Witzbolde könnten auch vermuten, dass deshalb das Gespräch mit Putin viel kürzer dauerte als jenes, das Putin mit Macron führte.