Oliver Blume ist in Wolfsburg aufgewachsen, quasi im Schatten des VW-Werks. Sein erstes Auto als Student war, na klar: ein Käfer. Heute ist Oliver Blume der Vorstandsvorsitzende bei VW und will ein Tabu brechen. Künftig soll ein Job bei VW nicht mehr unbedingt ein Job fürs Leben sein. Konkret hat der VW-Vorstand angekündigt, die Beschäftigungsgarantie, die nach der Krise 1994 eingeführt und immer wieder verlängert wurde, aufkündigen zu wollen. Sie sollte eigentlich noch fünf Jahre bis 2029 gelten. Hinzu kommt die Ansage aus dem Top-Management, sogar auch über Werksschließungen in Deutschland nachzudenken. Das gab es bei VW noch nie. Entsprechend heftig könnte der Arbeitskampf werden, der jetzt bevor steht. Die mächtige Betriebsratschefin Daniela Cavallo spricht gegenüber dem Vorstand bereits von einer „Bankrotterklärung“. Kleine biografische Ironie am Rande: Oliver Blume bekam 1994 seinen ersten Job als Trainee bei VW. Genau in diesem Jahr, in dem Blume im VW-Konzern anfing, schloss das Unternehmen den Pakt mit seinen Mitarbeitern, den Blume nun nach 30 Jahren aufkündigen will: die Beschäftigungssicherung.
Das ist ein heißes Eisen. Selten gibt es eine Konstellation, in der das Wirtschaftliche, das Soziale und das Politische so verflochten sind wie bei VW. Bei Volkswagen haben die Arbeitnehmervertreter dank des 1960 eingeführten VW-Gesetzes besondere Mitsprache. Die Arbeitnehmervertreter verfügen bei VW zusammen mit dem Land Niedersachsen über eine Mehrheit im Aufsichtsrat. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, bei den Kostensenkungen werde „aller Voraussicht nach nicht über das ob, wohl aber über das wie intensiv zu diskutieren sein“. Er erwarte, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten „schlichtweg nicht stellt“ – weil erfolgreiche Alternativen dazu gefunden werden.
Das heißt, dass sich alle im Grunde einig sind, dass VW in einer gewissen Krise steckt und da reagieren muss. Die Frage ist eher, wo der richtige Ansatz dafür ist. Wie VW-Finanzvorstand Arno Antlitz ausführte, klingt die Rechnung recht simpel: Der Automarkt in Europa habe sich seit der Corona-Krise nicht mehr richtig erholt. Zwei Millionen Autos werden hier pro Jahr weniger verkauft als noch 2019. VW hat in Europa einen Marktanteil von rund 25 Prozent – also fehlen den Wolfsburgern auf Dauer 500 000 Fahrzeuge, was etwa der Kapazität von zwei großen Fabriken entspricht. Die Konsequenz: Es gibt zu viele Werke, die zu wenig zu tun haben. Wegen der hohen Arbeitskosten in Deutschland stehen insbesondere die Standorte hierzulande in der Spardiskussion.
Soweit zu den Zahlen. Die mächtige Betriebsratschefin Daniela Cavallo konterte: „Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht“, sagte sie auf der Betriebsversammlung. Die Vorstände auf dem Podium sprach sie mehrmals direkt an, fragte zum Beispiel: „Das ist Ihre Antwort auf die Krise? Ist das alles, was Ihnen einfällt?“ Ihr Fazit: „Das ist nicht nur ein Armutszeugnis. Das ist eine Bankrotterklärung.“ Auch aus Gewerkschaftskreisen der IG Metall heißt es: Schuld seien krasse Fehlentscheidungen des Managements. Es habe bei der Elektromobilität zu lange gezögert. Und es wurden die falschen Autos gebaut. Es fehle bis heute ein E-Modell, das man sich mit einem normalen Einkommen leisten kann. Die E-Autos von VW kosten alle jenseits der 30.000 Euro. „Wir brauchen wieder ein Auto, das die Herzen der Menschen erreicht. Volkswagen ist weltweit bekannt für seine Automobilikonen wie den Golf. Eine ganze Generation wurde so bezeichnet. Da muss VW wieder hinkommen“, sagte Thorsten Gröger, seit 2017 bei der IG Metall Bezirksleiter für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Doch wie könnte das aussehen, das neue heiligs Blechle für deutsche Autofahrer (das am besten auch noch den chinesischen Markt erobert)?
Während der VW-Vorstand argumentiert, dass man Geld für die Transformation brauche, wollen das Gewerkschafter wie Gröger nur sehr bedingt gelten lassen. Der Finanzvorstand beschreibt es so: „Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen. Das geht nicht gut auf die Dauer.“ Antlitz verdeutlicht: „Wenn wir so weitermachen, schaffen wir die Transformation nicht.“ Thorsten Gröger von der IG Metall hingegen weist darauf hin, dass der Konzern 2023 immerhin noch 18 Milliarden Euro Gewinn gemacht habe. Außerdem habe der Vorstand Milliarden versenkt. „Der Diesel-Abgasskandal hat 30 Milliarden Euro gekostet. Jetzt steigt VW mit mehreren Milliarden Euro beim US-Start-up Rivian ein, weil man deren Softwarekompetenz braucht“, so Gröger in der ZEIT.
Gretchenfrage zum Schluss: Ist wieder die Ampel an allem schuld? Eher nicht, auch wenn Merz das gerne so wollte. Vielmehr begann das Übel längst zuvor, in den Merkel-Jahren.