Es ist schon ein starkes Stück, wenn die Außenministerin Annalena Baerbock dem Kanzler Olaf Scholz öffentlich in den Block diktiert, wie er sich bei seiner China-Reise gefälligst zu verhalten habe. Besonders interessant ist dabei Baerbocks direkter Verweis auf den Koalitionsvertrag. Hier hat eine Frau mal echt die Faxen dicke, die der Basta-Kanzler Scholz in kurzer Zeit angehäuft hat. Da war zuerst sein Machtwort in der Frage der AKW-Laufzeiten, per Richtlinienkompetenz in schnöder Briefform in die Welt gesetzt. Und kurz darauf hat Scholz dann gegen alle seine Ministerien den Einstieg der Chinesen im Hamburger Hafen durchgedrückt. Und schließlich war Baerbock auch kritisch, was den Zeitpunkt der China-Reise von Scholz angeht (siehe Seite 10). Sie hat sie ihm deshalb zu verstehen gegeben, dass Schluss mit lustig ist.
Es waren Sätze, die Baerbock bei einem Besuch in Usbekistans Hauptstadt Taschkent sprach, quasi einmal rund um die halbe Welt gebrüllt. Die deutsche Außenministerin sagte dort auf Nachfrage, dass Kanzler Scholz selbst den (viel kritisierten) Zeitpunkt seiner Reise nach China gewählt habe, was zwischen den Zeilen auch hieß: Der war mal wieder stur, wir alle in der Regierung waren nämlich gegen diesen Zeitpunkt. Man weiß, dass Baerbock dies so sah, und sie ist immerhin als Außenministerin zuständig (im Unterschied zum Atom-Streit und dem chinesischen Einstieg beim Hamburger Hafen). Annalena Baerbock weiter, von der Ferne aus Usbekistan: „Jetzt ist entscheidend, die Botschaften, die wir gemeinsam festgelegt haben im Koalitionsvertrag, die Botschaften, die ich auch hier mit nach Zentralasien gebracht habe, auch in China deutlich zu machen.“
Was forderte Annalena Baerbock?
Baerbock sagte, entscheidend sei, Peking deutlich zu machen, „dass die Frage von fairen Wettbewerbsbedingungen, dass die Frage von Menschenrechten und die Frage der Anerkennung des internationalen Rechts unsere Grundlage der internationalen Kooperation ist“. Das gelte mit Blick auf Zentralasien wie auf andere Weltregionen. In dem Gespräch mit ihrem usbekischen Amtskollegen Wladimir Norow habe sie „deutlich gemacht, dass wir als Bundesregierung eine neue Chinastrategie schreiben“, sagte Baerbock auf der folgenden Pressekonferenz, womit also das Gespräch zwischen ihr und ihrem Außenministerkollegen öffentlich in die Welt und zu des Kanzlers Ohren getragen wurde. Das chinesische Politiksystem habe sich in den letzten Jahren massiv verändert, und somit habe sich auch die deutsche Chinapolitik verändern müssen, führte Baerbock aus. Und dann Klartext vor der Weltpresse: „Bekanntermaßen haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgehalten, dass China für uns Partner bei globalen Fragen ist. Dass wir uns nicht entkoppeln können in einer globalisierten Welt, dass China aber auch Wettbewerber und in zunehmendem Maße systemischer Rivale ist“, sagte Baerbock. „Und dass wir auf diesem strategischen Verständnis unsere Chinapolitik ausrichten und eben auch die Zusammenarbeit mit anderen Regionen in der Welt ausrichten werden.“ Das war mindestens ein Wumms der Außenministerin, wenn nicht sogar die Ansage des Doppel-Wumms, falls Scholz weiter über Grüne und FDP in seiner Regierung hinweg stolzieren wolle.
Wie war das mit dem Hamburger Hafen?
Um zunächst entgegen vieler hysterisch vorgebrachter Empörungen die Sachlage vom Kopf auf die Füße zu stellen: Es geht NICHT um einen Deal zwischen Deutschland und China. Schon gar nicht geht es darum, dass Kanzler Scholz China deutsche Infrastruktur verkaufen würde. Solch einen Blödsinn hat ja Friedrich Merz in seiner populistischen Art vom Stapel gelassen, um Scholz quasi mal eben zum „Landesverräter“ zu stempeln. Es geht in Wirklichkeit um ein privatwirtschaftliches Vorhaben zwischen zwei Firmen. Es geht um eine bereits im September 2021 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Hamburger Hafenlogistiker HHLA und dem chinesischen Terminalbetreiber Cosco Shipping Ports Limited über eine 35-Prozent-Beteiligung der Chinesen am HHLA-Terminal Tollerort. Die Rolle der Regierung ist da durchaus schwierig. Denn sie kann solche privatwirtschaftlichen Geschäfte nur verbieten, wenn es sehr triftige Gründe dafür gibt. Falls die Regierung so in die Marktwirtschaft mit einem Verbot eingreift, ist das ein durchaus schwerwiegender Eingriff.Also einer, der wohl bedacht und auch ausgewogen sein sollte. Heraus kam dann ein Kompromiss: Die Regierung hat das Geschäft nicht komplett verboten, aber nur unter der Auflage erlaubt, dass die Beteiligung unter 25 Prozent sein müsse, um dadurch ein weitergehendes Mitspracherecht des chinesischen Staatskonzerns einzudämmen. Diese Lösung hat Olaf Scholz entsprechend verteidigt: „Ja, ich halte das auch für die Richtige“, sagte er. Es sei eine berechtigte Forderung, dass kein falscher Einfluss auf die Infrastruktur genommen werden dürfe, so Scholz weiter. „Das ist in diesem Fall in keiner Weise gegeben“, betonte er. Erlaubt sei nur eine Beteiligung von 24,9 Prozent, zudem gebe es im Hafen mehrere Betreibergesellschaften. Scholz betonte, dass Grund und Boden des Hamburger Hafens Staatseigentum seien und auch niemals privatisiert würden.
Tatsache war allerdings auch in dieser Angelegenheit, dass alle (!) Ampel-Ministerien für ein komplettes Verbot des Deals waren – von den Grünen, über die FDP bis hin zu den SPD-Ministern. Stellvertretend warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck vor neuen Abhängigkeiten. Er fügte hinzu, man habe gelernt, „dass Abhängigkeiten von Ländern, die dann möglicherweise ihre eigenen Interessen in diese Abhängigkeiten hineinspielen, also uns dann erpressen wollen, nicht mehr nur ein abstraktes Phänomen sind, sondern – Gas/Russland – die Realität in dieser Welt sind“. Habeck betonte: »Wir sollten diese Fehler nicht wiederholen.“
Aber nun gut. Es gibt hier zwei Lesarten: Eine besagt, dass manche zu viel verbieten wollen, weil der Schock der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine tief sitzt. Kanzler Scholz macht es demnach besonnen, weil er zu extremen Verbotstendenzen nicht folgt. Die andere Lesart besagt: Scholz macht den gleichen Fehler wie früher bei Nordstream II, das er ja ebenfalls als privatwirtschaftliches Vorhaben lange verteidigte, und will außerdem seiner Heimatstadt einen Gefallen tun. Denn klar: Die Verschiffung durch den Hamburger Hafen durch Cosco, das ja eines der größten Logistikunternehmen weltweit ist, wird durch die genehmigte Beteiligung attraktiver. Das bringt mehr Umsatz und sichert Jobs in Hamburg. Außerdem bringt die Beteiligung zusätzliches Kapital nach Hamburg und in den Ausbau der Infrastruktur der Region.
Diverse Stimmen, dümmlich bis kompetent
Manche Stimmen bezüglich des Ampel-Kompromisses waren dümmlich. Die stramme FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte: „So wenig wie es in der Natur ein bisschen schwanger gibt, so wenig gibt es bei dem Hafendeal ein bisschen chinesisch.“
Echt jetzt? Na ja, dann wäre der Stuttgarter Autobauer Daimler ein Chinese, weil rund 20 Prozent der Anteile von chinesischen Firmen gehalten werden. Auch überall sonst, wo es auch nur ein Prozent chinesischer Beteiligung gibt, würde nach Strack-Zimmermann also die Schwangerschaft diagnostiziert und demnächst ein chinesisches Baby geboren.
Es gibt aber natürlich auch kompetente Kritik am Hafendeal. „Die Entscheidung der Bundesregierung ist fatal, weil sie letztlich akzeptiert, dass chinesische Unternehmen nach anderen Spielregeln spielen dürfen als deutsche oder europäische Unternehmen. Was chinesischen Unternehmen also in Europa und Deutschland erlaubt ist, ist europäischen Unternehmen in China verboten. Eine symmetrische Beteiligung eines deutschen Unternehmens an einem chinesischen Hafen wäre unmöglich“, schreibt Marcel Fratzscher (Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin) in einem Gastbeitrag im „Spiegel“. Und führt weiter aus: „Schon jetzt hat Cosco als Staatsunternehmen viele Vorteile im globalen Wettbewerb, da der Konzern nicht zwingend Gewinne machen muss und auch politische Ziele der chinesischen Regierung verfolgen kann. (…) Wie würden die Regierungen in Hamburg, Berlin und Brüssel reagieren, wenn Cosco darauf drängt, dass der Hamburger Hafen keine Lieferungen aus Taiwan akzeptieren soll?“
Die Kritik der SPD an Annalena Baerbock
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte Baerbocks Einlassungen zur Scholz-Reise nach China „unhöflich und undiszipliniert.“ Baerbock wird eine auf das Heimatpublikum abzielende Außenpolitik attestiert, die zwar in Deutschland durch ihre klare Kante viel Beifall finde, aber die Welt da draußen sei komplizierter. Das mag stimmen. Annalena Baerbock bringt eine mitunter erfrischende Sprache mit rein, die nicht gerade „diplomatisch“ ist.