Es war ein Ereignis für die Geschichtsbücher, als der US-Präsident Joe Biden mitten ins Kriegsgebiet nach Kiew reiste, um dort zu sagen „Amerika steht bei euch!“ Es war mutig. Es setzte ein Zeichen der Unerschrockenheit. Und es war der Botschaft angemessen, die Joe Biden der Welt verkündet: In dieser Zeit wird darüber entschieden, in welcher Welt man in den nächsten Jahrzehnten leben will. Und dabei hat Biden nicht nur den fürchterlichen Krieg in der Ukraine im Blick, nicht nur Putin und dessen Eroberungswahn, sondern vor allem auch China, den globalen Rivalen. Rund um den Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine gab Biden somit den Ton vor. Demgegenüber wirkte die am Tag danach folgende Rede Putins wie ein Schauermärchen aus längst vergangenen Tagen.
Nie, schrieb die New York Times, habe sich ein US-Präsident in eine Kriegszone begeben, die nicht unter der Kontrolle von US-Truppen steht, und auch nie in einem sich langsam bewegenden Zug, der neuneinhalb Stunden bis zu seiner Ankunft brauchen würde. Währenddessen sei er permanent Umständen ausgesetzt gewesen, über welche die „Sicherheitsdienste keine Kontrolle“ gehabt hätten.“ Aber klar wurde dann auch, dass die USA wenige Stunden vor der Reise Bidens Moskau darüber informiert haben. Das schmälert den Mut des US-Präsidenten keineswegs, denn er forderte Putin im Gegenteil genau dadurch besonders heraus. Denn die Geste hieß ja: Hier bin ich, wenn du den Weltkrieg willst, dann beschieße mich. Diese offene Herausforderung wurde vor dem Hintergrund besonders deutlich, dass Putin sich ja noch nie ins Kriegsgebiet getraut hat und angeblich in gepanzerten Zügen stets auf der Flucht vor Anschlägen ist. So inszenierte Biden vor den Augen der Welt auch die Saga vom typisch amerikanischen (Revolver-) Helden gegenüber dem Feigling im Hinterhalt.
Putins verlogene Rede zur „Lage der Nation“
Putins Rede zur Lage der Nation war deshalb schaurig, weil sie so weit jenseits jeder Wahrheit stand. Unabwendbare Tatsache ist, dass Putin den Befehl zum Überfall auf die Ukraine gegeben hat. Demgegenüber sind Putins Behauptungen, die Nato hätten ihren angeblichen Kampf gegen Russland von langer Hand vorbereitet und Kiew dafür instrumentalisiert, einfach nur Sprüche und keine Tatsachen. Niemand hat Russland angegriffen und wer sollte das Land, das mit seinen Atomwaffen bis an die Zähne bewaffnet ist, mit einem Angriff herausfordern? Das sind alles nur nachträgliche Rechtfertigungsversuche für das, was tatsächlich geschah: Putin wollte diesen Krieg und ist für ihn verantwortlich.
Putin befahl den Überfall, vielleicht auch, weil er sich den „Sieg“ über die Ukraine – also deren komplette Auslöschung – leichter vorgestellt hatte. Putin ist für die vielen Toten, die ruchlose Zerstörung und all die Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich, niemand sonst. Und Putin ist auch derjenige, der täglich hunderte, bis tausende junge russische Soldaten in den sicheren Tod schickt, als wäre das ganz normal. Es sollen inzwischen ja auch weit über 150.000 russische Soldaten gefallen sein, einfach nur, weil Putin diesen Krieg führen wollte. Und dann stellt er sich hin und hält eine Rede „zur Lage der Nation“, wo er vor der versammelten politischen Elite noch einmal seine Sicht vom brutalen Krieg darstellt, die von der Wirklichkeit nicht nur weit entfernt ist, sondern sie schlicht verdreht. Die angeblichen, natürlich von Amerika gesteuerten Nazis in Kiew kamen in dieser mäandernden Rede ebenso wieder vor wie die dreiste Mär, nicht Russland, sondern der Westen habe den Krieg begonnen, und sein Land sei zur Verteidigung geeilt. All dies ist natürlich keine Überraschung mehr. Viele im Publikum haben gegähnt. Wer bitte in der russischen Elite glaubt denn solche dreisten Lügen noch? Daher musste Putin in seiner Rede auch diese Sachlage verdrehen: Nicht er, sondern der Westen lügt, der Westen bedroht Russland militärisch, wirtschaftlich und ideologisch. Pädophilie werde im Westen zu einer Norm, vor der man russische Kindern dringend schützen müsse. Na ja, die russischen Jungen, die an der Front zerfetzt werden, will Putin wohl nicht schützen.
Zum traurigen Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue vor dem ukrainischen Botschafter Oleksij Makejew als auch Bundeskanzler Olaf Scholz und vielen Mitgliedern seines Kabinetts.: Wladimir Putin müsse klar werden, dass er den Krieg nicht gewinnen könne. Die Wahrheit sei: „Wer morden und töten lässt, wer die Ukraine kaputtbomben, Städte zerstören und Kinder verschleppen lässt, wer selbst die eigenen Soldaten Tag um Tag sinnlos verbluten lässt, der wird vor der Geschichte niemals als Sieger dastehen, der hat schon verloren.“ Und Steinmeier war bekanntlich in den letzten Jahrzehnten nicht gerade als Russland-Feind aufgefallen. Wenn Putin in seiner Rede von „dem kollektiven Westen“ spricht, als finstere Macht und Bedrohung, dann tut er so, als habe niemals einer wie Steinmeier (damals Außenminister), Angela Merkel als Kanzlerin oder auch der französische Präsident Emmanuel Macron eine überaus freundliche Haltung zu Russland gezeigt. Die ausgestreckte Hand von damals muss westliche Politiker ja heute auch deshalb beschämen, weil Putin jetzt so tut, als habe es diese nie gegeben.
Abstimmung der UN-Versammlung isoliert Putin
Es haben141 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen einer Resolution zugestimmt, die Russland zum sofortigen Ende der Angriffe und zum Rückzug aus der Ukraine auffordert. 32 Staaten, darunter China, Indien, Südafrika und Äthiopien, enthielten sich. Neben Russland stimmten in der Vollversammlung nur Belarus, Eritrea, Mali, Nicaragua, Nordkorea und Syrien mit Nein.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte danach: „Russland ist mit seinem Kriegskurs genauso isoliert wie vor einem Jahr.“ Dies hätten die Staaten dieser Welt gemeinsam deutlich gemacht und sich „gemeinsam gegen den Bruch des Völkerrechts“ gestellt. Baerbock hatte in der UN-Vollversammlung zuvor als letzte Rednerin vor der Abstimmung für den Entwurf geworben, der übrigens auch die international anerkannten Grenzen der Ukraine betont. Eingeschlossen sind damit also die von Russland illegal annektierten Gebiete, zu denen auch die Halbinsel Krim gehört. „Wir haben einen Friedensplan hier vor uns: die Charta der Vereinten Nationen“, sagte Baerbock in ihrer Rede. Und sie hob noch einmal hervor: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine.“
Das chinesische Positionspapier ist wichtig
Allein die Tatsache, dass China kurz darauf ein eigenes „Positionspapier“ zum Ukraine-Krieg vorgelegt hat, ist zu begrüßen. Der Umstand, dass dieses Papier hauptsächlich die Interessen Chinas formuliert, ist keine Argument gegen das Papier. Vielmehr ist das selbstverständlich und es wäre eher seltsam, wenn das nicht so wäre.
Der wichtigste Punkt in dem Papier: „Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden, und Atomkriege dürfen nicht ausgefochten werden“, heißt es dort wörtlich. Auch die Drohung mit dem Einsatz von nuklearen Waffen ebenso wie bewaffnete Angriffe auf Atomkraftwerke oder andere zivile Nukleareinrichtungen seien abzulehnen.
Auch der Passus: „Die Konfliktparteien müssen sich strikt an die internationalen Menschenrechte halten und Angriffe auf Zivilisten oder zivile Gebäude vermeiden“, kann sich nur gegen Russland richten, da der Krieg ja überhaupt nicht auf russischem Boden stattfindet und somit russische Zivilisten nicht angegriffen werden. Die gezielten Angriffe auf die zivile Infrastruktur durch russische Raketen wird damit durch China ganz klar kritisiert.
China hatte zuletzt ja immer seine stabile „felsenfeste“ Partnerschaft zu Russland betont. Daher wundert es nicht, dass es auch Punkte in dem chinesischen Positionspapier gibt, die sich eindeutig gegen die USA und den Westen richten. Etwa gegen die westlichen Sanktionen: „Einseitige Sanktionen und maximaler Druck könnten das Problem nicht lösen, diese erzeugten nur neue Probleme“, heißt es da. Oder auch die Kritik an Waffenlieferungen: Alle Parteien sollen „rational bleiben und Zurückhaltung üben“ und nicht den Konflikt befeuern, heißt es da. Im Grundsatz steht die Aussage: „Dialog und Verhandlungen seien die einzige gangbare Lösung für die Ukraine-Krise.“
Das kann man wohl eher als Appell an Putin verstehen, der ja weiter Krieg führen will, weil er die Ukraine unterwerfen will. Das chinesische Positionspapier ist durchaus wichtig, weil es Putins Spielraum nicht vergrößert sondern eher einschränkt. Gleichzeitig stärkt China ihm politisch den Rücken.
Joe Bidens Rede war groß
Bereits vor dem Positionspapier aus China und noch vor der UN-Abstimmung hatte Joe Biden in Warschau eine große Rede gehalten, in der er skizzierte, um was es am Ende geht: „Die Demokratien der Welt wachen über die Freiheit, sie tun das heute, morgen und für immer. Denn das steht hier auf dem Spiel: Die Freiheit.“