Der Rückschritt in Sicht

Das TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz verlief positiv gesittet. Es könnte aber auch eine vorgezogene Koalitionsverhandlung zwischen SPD und der Union gewesen sein.

Fotomontage: Adrian Kempf

Das TV-Duell zwischen Kanzler Olaf Scholz und Herausforderer Friedrich Merz war gesittet. Das war überraschend und auch wohltuend in der Endlosschleife geifernder politischer Angriffe. Die Rätselfrage war eigentlich, wie Olaf Scholz es schaffte, so gelassen, oft sogar grinsend und geradezu versöhnlich aufzutreten. War das schon der Vorbote seines Abschiedes in den (dann auch) verdienten Ruhestand, wenn die Union wie erwartet die Bundestagswahl klar gewinnt? Wollte Scholz nur einfach nochmal zeigen, dass er im Eins-gegen-Eins mehr in der Trickkiste hat, allen Umfragen zum Trotz. War es sogar schon das Eingeständnis, dass am Wahlausgang kaum noch etwas zu drehen sein wird, aber die Positionen jetzt schon für spätere Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD (ohne Scholz, der sich in diesem Falle zurückziehen würde) abgeklopft wurden? Der Kanzler hat zumeist klarer gesprochen, als es die Menschen in Deutschland von ihm gewohnt sind – und er wirkte trotz einiger Giftspritzer in Richtung Merz vergleichsweise sympathisch. Merz wiederum blieb in seinem Bestreben, die Menschen in ihrer Mehrheitsmeinung über Scholz zu bestätigen, allzu durchschaubar. Den Vorwurf, Scholz verkläre die schlechte Lage und lebe in einer eigenen Welt, in einem „Märchenschloss“, war eher billig. Denn natürlich spielt das nur mit dem Unmut in der Bevölkerung über die gescheiterte Ampel-Regierung. Merz ist es nicht gelungen, die Deutschen zu überraschen, aber er hat es geschafft, keine emotionalen Aussetzer zu produzieren, auf die Scholz womöglich spekuliert hatte. Das TV-Duell war also eine Schau: „Wie gebe ich mich?“ und hatte inhaltlich kaum Tiefe.

Scholz kritisierte die Union wie erwartet dafür, dass sie vorrangig Gut- und Spitzenverdiener entlasten wolle. „Ich finde, wer drei Millionen verdient, kann ein bisschen mehr Steuern zahlen, das ist der Unterschied zwischen uns.“ Merz wiederum wirft dem Kanzler vor, für die von der SPD geplanten Entlastungen unterer und mittlerer Einkommen den Spitzensteuersatz drastisch steigern zu wollen, das belaste dann auch den Mittelstand. Scholz kommt auf einen Vorwurf zurück, den er im Wahlkampf schon öfter formuliert hat: Merz verrate nicht, wie er seine Versprechen finanzieren wolle. Merz entgegnet, er setze auf höheres Wirtschaftswachstum, auf Kürzung von Subventionen, auf Einsparungen. Scholz antwortet: „Was Sie hier vorgetragen haben, ist lächerlich.“ Scholz rechnet vor, allein für die Bundeswehr benötige die Regierung 30 Milliarden Euro mehr pro Jahr, wenn das Sondervermögen einmal aufgebraucht sei. „Das werden wir nicht schaffen ohne eine Reform der Schuldenbremse. Und eine solche können wir uns auch leisten.“ Am Ende gesteht Merz plötzlich zu, dass man über die Schuldenbremse noch mal reden könne.

Tja, das klang dann doch wie vorweg genommene Koalitionsverhandlungen. Was bleibt von diesem TV-Duell: Einen klaren Sieger gibt es nicht. Für 37 Prozent der nach der Debatte befragten Zuschauer hat sich Olaf Scholz besser geschlagen, nur ganz knapp weniger, 34 Prozent, fanden Friedrich Merz besser. Das teilte die Forschungsgruppe Wahlen mit. Glaubwürdiger war in der Debatte für 42 Prozent Scholz und für 31 Prozent Merz, 27 Prozent der Befragten sahen keine großen Unterschiede. Den sympathischeren Auftritt attestieren 46 Prozent Scholz, 27 Prozent fanden Merz sympathischer (kein Unterschied: 26 Prozent). Beim Thema Sachverstand lagen Scholz und Merz mit jeweils 36 Prozent gleichauf (kein Unterschied: 27 Prozent). 

Scholz war viel angriffslustiger als sonst, verfiel aber immer wieder in kleinteilige (wenn auch durchaus berechtigte) Faktenhuberei. Merz verkniff sich die oft unbedachte Aggressivität seiner Bundestagsreden. Er gab sich einen staatsmännischen Anstrich, wirkte aber immer wieder auch wie ein Lehrer, der Zensuren verteilt. Was seine größte Schwäche offenbart, denn da beurteilte einer den Kanzler Scholz, der selbst noch nie in einem Regierungsamt führte.

Ätzende Kritik an diesem TV-Duell kam dann von der Seitenlinie. Grünen-Chef Felix Banaszak sagte, er habe es sehr bezeichnend gefunden, dass in einer anderthalbstündigen Debatte die „zentrale Überlebensfrage“ unserer und kommender Generationen keinen Raum gehabt habe. „Es wurde nicht über Klimaschutz gesprochen, obwohl wir in jedem Jahr neue Extremwetter-Ereignisse in immer schlimmerer Intensität und auch in immer intensiverer Abfolge erleben.“ Scholz und Merz sei es offensichtlich kein Anliegen gewesen, diese Fragen zu thematisieren. „Wir haben also ein spannendes Duell zwischen dem Gestern und dem Vorgestern erleben dürfen“, sagte der Grünen-Chef. Die Zukunft habe aber nicht stattgefunden. Nun ja, wenn Merz mit der SPD an die Macht käme, wäre das ein Rückschritt.