Der alte Mann will das Mehr

Joe Biden machte beim TV-Duell gegen Donald Trump einen müden Eindruck. Es war schlau von ihm, das später mit einem Jetlag zu erklären. Schließlich muss er die Welt retten.

Jeder weiß, dass die Wahl in Amerika am 5. November vor allem dadurch entschieden werden wird, was in den Wochen oder Tagen unmittelbar davor passiert. Da kann alles passieren. Fotomontage: Adrian Kempf

Wer Wahlkampf in Amerika ist verstörend.  Da duellieren sie bei CNN in Atlanta zwei ältere Herren live und zur besten Sendezeit, was außer in den USA auch für den Rest der Welt von größter Bedeutung sein kann. Rechts Joe Biden, 81, der Präsident bleiben will. Links Donald Trump, 78, der wieder Präsident werden will. Der eine ist mit der „Air Force One“ eingeflogen, der andere mit seiner Privat-Boeing, genannt „Trump Force One“. Und schon im Vorfeld dieses TV-Duells fallen einige Äußerungen, die eher an ein Hollywood-Spektakel denn an Politik erinnern. Zum Beispiel sagte Trump, dass Biden vor dem Duell „einen Schuss in den Arsch“ kriegen würde und verlangte sogar einen Dopingtest. Als dann Joe Biden bei dem TV-Duell einen müden und schwachen Eindruck hinterlässt, werden sogar Spekulationen laut, dass er vor der Präsidentenwahl im November noch durch einen anderen Kandidaten ersetzt würde. Daraufhin hat sich prompt Barack Obama mit einem klugen Statement zu Wort gemeldet.

 
Was war das Problem von Joe Biden bei diesem ersten TV-Duell vor der Wahl im November (im September soll ein zweites folgen)? Inhaltlich hatte Biden erwartungsgemäß mehr zu bieten als der notorische Lügner Trump, das schon. Er hat die US-Wirtschaft nach der Pandemie stabilisiert und die westliche Allianz zusammengehalten. Er hat die Ukraine vor einer schnellen Niederlage bewahrt und Israel nach dem Terror der Hamas ebenso unterstützt wie er Israel bei den Angriffen auf Gaza kritisiert. Er nannte Trump bei seinen seltenen Offensiven nun „Lügner“, „Verlierer“, „Jammerlappen“ und einen „verurteilten Verbrecher“, aber es drang fast nicht durch, weil Biden sehr leise, sehr heiser und sehr unkonzentriert sprach. Man konnte ihn kaum verstehen. Der Präsident wirkte nervös, erschöpft. Da werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Er stottert, er verhaspelt sich. Als Trump dann an der Reihe ist, sieht Biden fast abwesend aus, er starrt vor sich hin. Er wirkt wie verloren hinter seinem Pult. Er sei erkältet gewesen, heißt es später, doch der Eindruck, der haften blieb war: Der Wahlkämpfer Biden, den Amerika da zur besten Sendezeit sah, war ein alter, müder Mann.

Laut einer Blitzumfrage von CNN gewann Trump das Duell, obwohl (oder weil) er wieder log, dass sich die Balken bogen. Trump hat allein in seiner Amtszeit laut Washington Post über 30.000 Lügen erzählt und im TV-Duell laut CNN mindestens 30 Unwahrheiten von sich gegeben. Er sagte so Sachen wie: Es kämen Millionen Menschen „aus den Gefängnissen und Irrenanstalten“, um das Land „zu zerstören.“ Trump behauptete außerdem, Biden wolle für alle Amerikaner die Steuern vervierfachen und sagte, die Demokraten befürworteten ein Abtreibungsrecht, das es erlaube, bereits geborene Kinder zu töten. Lauter Blödsinn also, aber eben vorgetragen mit lauter Stimme. 

Für die Demokratische Partei in den USA, und damit auch für Freunde der Demokratie in aller Welt, war das ein Fernsehabend, der mitunter kaum erträglich war.  Panik, blankes Entsetzen und Mitleid waren die Gefühle beim Zuschauen. Und aus dieser Gefühlslage heraus folgte die zuvor eigentlich undenkbare Frage, ob Joe Biden nicht doch noch auf eine weitere Kandidatur verzichten sollte, so kurz vor der Wahl. In seiner Partei brach Panik aus. „Das ist ein echter Albtraum“, zitiert das Politportal The Hill einen Verbündeten Bidens. „Ich sehe dabei zu, wie wir diese Wahl in Zeitlupe verlieren.“ Ein Stratege sprach im selben Medium von „politischem Selbstmord“. Bei Politico sagte ein demokratischer Anwalt, Biden sei erledigt. 

Wer soll es sonst machen?

Es werden einige Namen gehandelt, die statt Joe Biden für die Demokratische Partei kandidieren könnten (falls der amtierende Präsident von sich aus den Rückzug erklären würde, was sehr unwahrscheinlich ist). Der  schillerndste lautet Michelle Obama. Dass die Frau aber tatsächlich als Kandidatin antritt, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Entsprechende Gerüchte hatte die frühere First Lady in der Vergangenheit vehement dementiert. Ein weiterer Indikator, der gegen Michelle als künftige Kandidatin bei der US-Wahl 2024 spricht: Barack Obama stellte sich nach der für Biden desaströsen Fernsehdebatte demonstrativ hinter seinen früheren Vize-Präsidenten. „Schlechte Duelle passieren. Glaubt mir, ich weiß das“, schrieb er auf X. Dies war ein Hinweis darauf, dass Obama 2012 ebenfalls ein TV-Duell in den Sand gesetzt hatte, später aber trotzdem die (Wieder-) Wahl gewann. Im Hier und Heute sagte Barack Obama: Diese Wahl sei noch immer „eine Entscheidung zwischen jemandem, der sein ganzes Leben lang für die einfachen Leute gekämpft hat, und jemandem, der sich nur um sich selbst kümmert. Zwischen jemandem, der die Wahrheit sagt, der Recht von Unrecht unterscheiden kann und es dem amerikanischen Volk offen sagen wird – und jemandem, der zu seinem eigenen Vorteil schamlos lügt“, so Obama weiter. Wohl wahr! 

Ein Kandidatenwechsel wäre vier Monate vor dem Wahltermin ja auch ein äußerst riskantes Unterfangen. Es ist doch die eine Sache, ob man sich einig ist über das fortgeschrittene Alter Bidens – oder ob sich auf der anderen Seite ein geeigneter Kandidat oder eine Kandidatin findet, die gegen Trump bestehen kann. Denn es gibt nicht diese eine Figur bei den Demokraten – bei Gretchen Whitmer, Gavin Newsom oder JB Pritzker handelt es sich zwar um formidable Politiker, aber die Eignung zur Präsidentschaft haben sie nicht bewiesen.

Wie hat Joe Biden auf das misslungene TV-Duell reagiert?

Bei seinem ersten Auftritt nach dem desaströsen TV-Duell am Vorabend zeigte sich US-Präsident Joe Biden kämpferisch. „Ich würde nicht wieder antreten, wenn ich nicht mit meinem ganzen Herzen und meiner Seele glauben würde, dass ich diesen Job machen kann“, sagte der 81 Jahre alte Demokrat bei einem Wahlkampfauftritt in Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina. Beim diesem Auftritt versuchte Biden, seine Kritiker von sich zu überzeugen und wirkte wieder deutlich energiegeladener. „Ich weiß, ich bin kein junger Mann, um das Offensichtliche zu sagen“, liest Biden vom Teleprompter ab. Er laufe, rede und debattiere zwar nicht mehr so gut wie früher, so Biden weiter. „Aber ich weiß, wie man die Wahrheit sagt.“ Damit folgte er quasi dem Drehbuch, das Barack Obama schon vorgegeben hatte und natürlich dem seines Beraterstabs. 

Ziemlich schlau war es dann von Biden, bei einem weiteren Wahlkampfauftritt eine ganz neue Erklärung zu liefern. Er führte seine Aussetzer auf einen Jetlag zurück, den er nach zwei Auslandsreisen Anfang Juni gehabt habe. Er habe sich entschieden, vor der Debatte mehrmals um die Welt zu reisen und dabei rund 100 Zeitzonen zu überqueren. „Ich habe nicht auf meine Mitarbeiter gehört und wäre auf der Bühne fast eingeschlafen“, sagte er. Im Juni war Biden zweimal innerhalb von zwei Wochen nach Frankreich und Italien gereist. Wenn Biden dies nun als Erklärung für seinen müden Auftritt anführte war das weitaus besser als zuvor die Erklärungen seiner Mitarbeiter, Biden sei halt erkältet gewesen. Denn die Jetlag-Theorie birgt gleichzeitig den Hinweis auf seine enorme Aktivität als Hüter der westlichen Werte. Man könnte so sagen: Trump hat ja nix anderes zu tun, als sich aufzuplustern, während Biden neben dem Wahlkampf noch eine ganze Menge an äußerst wichtigen Terminen weltweit wahrnimmt.

Die Frage ist sowieso nicht, ob das TV-Duell viele Monate vor der Wahl den Ausschlag gibt. Jeder weiß, dass entscheidend ist, was wenige Wochen oder Tage vor dem Urnengang am 5.  November passiert. Und das kann alles sein.