Das Vergessen obsiegt

Das Fachwissen wäre ja da, wie man die Klimakrise und ihre Folgen bekämpfen könnte. Doch die Politiker denken in kurzen Zeiträumen – bis zur nächsten Wahl. Es bräuchte halt Weitsicht.

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Die „Jahrhunderthochwasser“ in Deutschland sind inzwischen ein Schwindel. Es mag zwar sein, dass es starke Niederschläge und plötzliche Überflutungen immer schon gegeben hat. Wetter und Klima sind nicht dasselbe und daher muss nicht jede ungünstige Wetterlage ein Ergebnis des Klimawandels sein. Aber mit der Erderwärmung wächst die Wahrscheinlichkeit extremer Niederschläge. Das ist längst wissenschaftlich erwiesen. Und ein kurzer Blick zurück zeigt, wie bei diesen Flutkatastrophen immer das Vergessen obsiegt. Die aktuelle Katastrophe in Süddeutschland 2024 folgt auf die Hochwasser an Ems und Weser 2023. Oder im Ahrtal 2021. Die Definition dieser Katastrophen als „Jahrhunderthochwasser“ ist somit völlig absurd. Was immer gleich bleibt ist hingegen, dass die betroffenen Menschen weinend in Gummistiefeln vor dem Nichts stehen. Und dann kommen die Politiker, solidarisch ebenfalls daher gestiefelt und zeigen ihre Betroffenheit. Das tat schon Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Elbe 2002, das tat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vergangene Woche, Seite an Seite mit Kanzler Olaf Scholz. Aber noch schneller als das Hochwasser wieder zurück geht wird das Verdrängen einsetzen. Sonst müsste man ja auf etlichen Ebenen etwas ändern.

Und die Bundesregierung hat ja auch etwas geändert, bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes, nur halt leider in die falsche Richtung. Das wurde deutlich, als er Expertenrat für Klimafragen, eingesetzt von eben der Bundesregierung, um deren Klimazahlen zu prüfen, seinen neusten Bericht vorstellte, während zeitgleich die Fluten in Bayern viele Dämme brachen. Diesem Gremium an Wissenschaftlern muss man nicht unterstellen, dass es politisch gegen die „Ampel“ agiert. Umso bedenklicher sind die Aussagen der Experten: „Wir kommen zu der Feststellung, dass die in den Projektionsdaten ausgewiesene Zielerreichung nicht bestätigt werden kann, sondern im Gegenteil von einer Zielverfehlung ausgegangen werden muss“, sagte Hans-Martin Henning, der Chef des Expertenrats, auf die trockene, nüchterne Art von Wissenschaftlern. Die Pläne, die die Bundesregierung im veränderten Klimaschutzgesetz für die nächsten Jahre aufgestellt hat, sind also nicht haltbar – die Regierung war viel zu optimistisch.

Dieser überbordende Optimismus äußerte sich kürzlich auch im Frohlocken von Klimaschutzminister Robert Habeck, der im März sagte: „Deutschland ist auf Kurs – erstmals.“ Das sehen die Experten ganz anders. Wenn Deutschland diesen Kurs hält, dann verfehlt es nicht nur das Ziel für 2030, sondern auch alle Ziele danach. Auch in der Zeit bis 2040 werde Deutschland sein Klima-Budget um zehn Prozent überschreiten. Das deutsche Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 werde so verfehlt, beklagt der Expertenrat. Nicht einmal im Jahr 2050 werde es erreicht. „Man sieht, dass das Ziel in weite Ferne rückt“, sagt Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Rats. Eine langfristige Strategie fehle aber. Folglich drängelt der Expertenrat, die Transformation müsse schneller gehen, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen: Er empfehle, „nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen“.

Die Flutkatastrophen der letzten Jahre sind auch eine Folge ganz anderer Versäumnisse. Auen könnten Wasser aufnehmen, bevor es in Städte und Dörfer gelangt, zurückverlegte Deiche könnten zusätzlichen Platz schaffen und natürliche Flussläufe das Wasser verlangsamen. Vielerorts gilt es, vermeintliche Fortschritte rückgängig zu machen, so auch bei Mooren. Sie werden entwässert, um Acker- und Weideland zu schaffen. Einst galt das als große Errungenschaft, doch der Fortschritt ist jetzt ein Fluch. Wie ein Schwamm können Moore Wasser aufnehmen – und es auch dann noch halten, wenn rundherum schon wieder Dürre herrscht.

Fachwissen, das bei der richtigen Planung helfen kann, wäre ja reichlich vorhanden. Die Experten wissen auch, wo mit Hochwasser zu rechnen ist und wo auf keinen Fall gebaut werden sollte. Doch das Gegenteil wird gemacht: Für das Ahrtal etwa gibt es einen Wiederaufbaufonds, der an starre Bedingungen geknüpft ist. Das Geld darf nur dafür verwendet werden, entstandene Schäden zu reparieren. Es wird also wieder aufgebaut, oftmals genau dort, wo die Flut vor nur drei Jahren die Häuser wegriss. Das ist im Grunde verantwortungslos und für die Allgemeinheit sehr teuer. Der Geograf und Hochwasserexperte Thomas Roggenkamp nennt das „Hochwasser-Demenz.“ Das Problem könnte sein, dass Politiker in sehr kurzen Zeiträumen denken (nächste Wahl), die Klimakrise aber nur mit Weitsicht bekämpft werden kann.