Das Gewicht von Worten

Hat Annalena Baerbock mal eben Russland den Krieg erklärt? Stimmt es wirklich, wenn Olaf Scholz behauptet, dass Deutschland keine Kriegspartei in der Ukraine sei? Es gibt eine Kluft!

Hat Außenministerin Annalena Baerbock kürzlich mal eben Russland den Krieg erklärt? Stimmt es wirklich, wenn Kanzler Olaf Scholz sagt, dass Deutschland und die Nato keine Kriegsparteien im Krieg in der Ukraine seien? Wieso spricht Russland nicht von Krieg sondern von einer „militärischen Spezialoperation“? Welches Gewicht haben Worte und welchen Wert kann man ihnen beimessen? Sicher scheint nur, dass eine große Kluft herrscht zwischen den Worten und den Taten.


Es ist ein Auftritt von über einer Stunde. Was am Ende die Runde macht, sind dann nur ein paar Sekunden, die viral gehen, doch diese haben es in sich. Und führen zu der Frage: Hat die deutsche Außenministerin mal eben Russland den Krieg erklärt? Es hörte sich jedenfalls so an, wenn man die Worte wortwörtlich nähme.

Annalena Baerbock hielt eine Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg – einer Institution, die übrigens nichts mit der Europäischen Union zu tun hat. Baerbock würdigte den Europarat als Hüter von Menschenrechten und Demokratie: Er sei nichts weniger als „die Seele Europas.“ Nach ihrer Rede gab es freundlichen Applaus – und Gelegenheit zu fragen. Es war der Tag noch vor Bekanntgabe der Leopard-Entscheidung des Bundeskanzlers – und so ging es natürlich um die Frage, warum Deutschland in der Panzer-Frage da noch zögere. Als dritter Fragesteller kam Sir Christopher Chope zu Wort, der für die Konservativen im britischen Parlament sitzt. „Was können wir tun“, fragte also Chope die Ministerin, die sich ja zuvor mehrfach für die Lieferung von Panzern ausgesprochen hatte, „um zu helfen, dass aus Ihren großzügigen Worten jetzt auch Handeln seitens Ihrer Regierung wird?“

Baerbock holte kurz aus, wirkte etwas genervt. Jetzt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, so Baerbock, das führe lediglich dazu, dass Putin gewinne. Am Ende ihrer frei auf Englisch formulierten Antwort sagte sie: „Ja, wir müssen mehr tun, auch in Bezug auf Panzer. Aber das Wichtigste und Entscheidende ist, dass wir es zusammen tun – und nicht Schuldzuweisungen machen in Europa.“ Und dann der Satz, der seitdem viral ging: „Denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“

Wie gut die AfD und die russische Propaganda auf einer Welle funken
In dem wie immer aufgeregten Netzwerk Twitter trendete sofort das Wort „Kriegserklärung“. Vor allem von rechts wurde der Satz aufgegriffen: „Hat diese Frau eigentlich noch alle Tassen im Schrank?“, fragte dort etwa der AfD-Politiker Georg Pazderski. Sein Parteikollege Maximilian Krah, der für die AfD im Europaparlament sitzt, fragte scheinheilig: „Was ist das anderes als eine Kriegserklärung?“
Damit war die AfD im Geiste mal wieder ganz auf der Linie der russischen Propaganda, die Baerbocks Äußerung natürlich dankbar aufnahm. „Sie kämpfen einen Krieg gegen Russland“, brüllte da Wladimir Solowjow in die Kameras seiner allabendlichen Talkshow. „Die Außenministerin des Vierten Reichs hat Russland den Krieg erklärt.“ Er bezeichnete die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock als Nazi, und garnierte seine Ausführungen mit einer Tirade aus üblen, teils sexistischen Beschimpfungen.

Die russische Regierung reagierte ebenfalls. Es war eher ein Statement aus der zweiten Reihe. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, forderte eine Erklärung des deutschen Botschafters in Moskau zu „widersprüchlichen“ Aussagen. Deutschland erkläre einerseits, in der Ukraine keine Konfliktpartei zu sein. Andererseits sage Baerbock, dass sich die Länder Europas im Krieg gegen Russland befänden. „Verstehen sie selbst, wovon sie da reden?“, schrieb also Maria Sacharowa im Nachrichtenkanal Telegram.

Die Kritik an Baerbock ist oft wohlfeil
In den Medien in Deutschland gab es jede Menge wohlfeiler Kritik an Baerbocks Äußerung. „Eine Sorgfaltspflicht trifft auch die Außenministerin in der Wahl ihrer Worte, und der ist sie leider zum wiederholten Mal nicht gerecht geworden“, hieß es etwa in einem Kommentar in der SZ. Und bei t-online wurde kommentiert: „Es gilt nun mal der alte Satz: Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. Diplomaten sollten ihn rundum beherzigen und allenfalls privat Dampf ablassen. Nicht umsonst werden ihnen Floskeln und Formeln beigebracht, die sie noch im Schlaf beherrschen sollen. Wo Worten Gewicht zukommt, wägt man sie besser.“
Die Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik sprach im ZDF-“Morgenmagazin“ von einem „extrem unglücklichen Versprecher“ Baerbocks, der nun von der russischen Staatspropaganda ausgeschlachtet werde.

Das alles mag so stimmen. Und dennoch trifft es nicht den Kern der Sache. Der nämlich lautet: Was ist die Wahrheit? Soll diese hinter Floskeln verborgen bleiben? Muss das so sein? Oder kann man es auch so sehen: So denkt sie halt, die Annalena Baerbock, und so purzeln ihr die Worte dann eben aus dem Mund.

Baerbock und Scholz widersprechen sich in Stil und Sprache der deutschen Außenpolitik
Ein Thema, das ebenfalls gerne hochgekocht wird, lautet: Sind Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz Rivalen in der deutschen Außenpolitik? Oder ergänzen sie sich da gut, weil Baerbock gerne Klartext redet und Scholz lieber den Verschwiegenen gibt? Ist das sogar eine Art abgestimmter Aufgabenteilung?

„Ich glaube, es war noch nie eine deutsche Bundesregierung in der Außenpolitik so uneinig wie diese“, attestierte der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen (ja das ist der, der noch nie irgendetwas gewonnen hat, aber trotzdem keine Scham empfindet, sich in diversen Talkshows als besonders schlau hinzustellen).

Also klar, Annalena Baerbock gilt als eine Außenministerin, die gerne Klartext spricht – ganz besonders in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Doch nicht jedem in der Ampel-Koalition gefällt dieser Stil. Vor allem in der SPD gibt es Politiker, die hinter vorgehaltener Hand mit Kritik nicht sparen. Die Diplomatie komme bei Baerbock zu kurz, sie mache keine Anstalten, auch in Moskau für ein Ende des Angriffskriegs zu werben, lautet etwa ein Vorwurf. Nun gut, wie sollte das auch gehen, mit der Werbung gegenüber Putin?
Die Chemie zwischen Scholz und Baerbock scheint von Anfang an nicht so richtig gestimmt zu haben. Sie die Klartexterin, er einer, der Außenpolitik lieber in Hinterzimmern als auf offener Bühne macht. Von einer völlig unterschiedlichen Art der Kommunikationsstrategie beider ist in der Bundesregierung die Rede. Gemeinsame Auftritte von Scholz und Baerbock gibt es bisher kaum. Im besten Falle können ja solche Spannungsverhältnisse fruchtbar sein. Auf Nachfrage im Kanzleramt hieß es dazu von Vize-Regierungssprecherin Hoffmann in schönster Worthülsenmanier, also ganz ohne Klartext: Der Kanzler arbeite mit allen seinen Ministerinnen und Ministern eng und vertrauensvoll zusammen, sagte Hoffmann, ohne den Hinweis auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu vergessen. Auf Nachfrage schiebt sie noch hinterher: „Soll ich jetzt von Liebe sprechen? Nein.“

Na dann, gut zu wissen, dass es mit Liebe nix zu tun hat, was Scholz und Baerbock trennt. Auch bei anderen Themen sind ja die unterschiedlichen Meinungen zwischen dem Kanzler und seiner Außenministerin deutlich geworden. So hatte sich Scholz im Oktober im Kabinett im Streit über die Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens gegen den Widerstand mehrerer Minister von SPD, Grünen und FDP durchgesetzt. Baerbock distanzierte sich sogar in einer Protokollnotiz von der Entscheidung. Vor einer anschließenden China-Reise des Kanzlers forderte sie Scholz dann auch noch auf, sich dort an den Koalitionsvertrag zu halten.

Bezüglich der Aussage von Baerbock über den „Krieg mit Russland“ musste Scholz dann das Übliche sagen: „Das ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine“, stellte Scholz nochmals klar. Deutschland werde alles dafür tun, damit es nicht zu einer Eskalation komme, die zu einem Krieg zwischen Russland und den Nato-Staaten führe.

Die Kluft zwischen Worten und Realität
Wenn Russland von einer „militärischen Spezialoperation“ spricht, kann man darin auf schlimme Weise sehen, was Realität ist. Es ist so, dass Russland mit seinem Überfall in den ukrainischen Eingeweiden „operiert“, während die Ukraine um Hilfe schreit. Denn die unumstößliche Tatsache ist ja, dass alles Grauen, alle Zerstörung und all das Töten in der Ukraine stattfindet, während das russische Staatsgebiet unter dem Schirm seiner Atomwaffen nahezu unberührt bleibt. „Krieg“ wäre erst dann, wenn die Raketen auch russische Städte zerstören. Wenn Scholz also sagt, dass dies ein „Krieg zwischen Russland und der Ukraine“ sei, dann offenbart sich die Kluft zwischen Worten und Realität. Denn um „Krieg“ zu führen, müsste die Ukraine in Russland angreifen können.