Die amerikanische Demokratie neigt stets zu ganz großem Theater. Aber so bizzar wie derzeit war es wohl selten. Da wurde also der „Speaker“ des Repräsentantenhauses abgewählt – zum ersten Mal in der 250 Jahre währenden Geschichte der amerikanischen Demokratie. Dieser „Speaker“ bekleidet nach dem Präsidenten und dessen Vize das dritthöchste Amt im Land. Es ist daher ein großes Gepolter, diesen „Sprecher“, mit Namen Kevin McCarthy, aus seinem Amt zu katapultieren. Der wahre Knüller dabei ist, dass dies acht (!) rechte Ideologen der Republikaner erreicht haben – aber ja nur, weil diese von den Demokraten geschlossen unterstützt wurden. Das Ergebnis der Abstimmung: 216:210 gegen Kevin McCarthy, mit Stimmen von acht Republikaner und 208 Demokraten. Wer hatte das eigentlich was im Sinn?
Die Republikaner haben eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus. Kevin McCarthy war ein äußerst konservativer Sprecher, und er ließ sich weiter und weiter nach rechts treiben, wann immer die Radikalen in seiner Partei es von ihm forderten. Erst im Januar war McCarthy zum Nachfolger der Demokratin Nancy Pelosi gewählt worden, nachdem die Republikaner im November 2022 eine knappe Mehrheit in dieser Kammer zurückgewonnen hatten, mit nur neun Sitzen mehr als die Demokraten. Er musste sich dabei durch 15 peinliche Wahlrunden quälen, der Hardcore-Flügel seiner Fraktion führte ihn vor. Muss man sich vorstellen: Es sind gerade ein Handvoll Personen, angeführt von Matt Gaetz, einem Politiker aus Florida, der vor allem Freude daran hat, eine Spur der Zerstörung zu hinterlassen. McCarthy schaffte es schließlich nur, überhaupt zum „Speaker“ gewählt zu werden, weil er seinen Gegnern in der eigenen Partei alles Mögliche versprach. Er war die Marionette der Trumpisten geworden, und doch war das dem extremistischen Flügel nie genug. Dieser vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump inspirierten Gruppe geht es nicht um Lösungen. Es geht darum, maximales Chaos anzurichten. Siehe den Sturm auf das Kapitol, für den Trump inzwischen unter Anklage steht. Gaetz, der Trump-Fan, folgt also seinem Idol, womöglich um mal an seine Stelle zu treten.
Solche Aussichten sind ja finster genug. Warum aber haben die Demokraten solchen rechten Hardlinern zum Triumph verholfen? Immerhin haben ja mit über 200 Stimmen der weit überwiegende Teil der Republikaner gegen den Antrag ihrer Radikalen gestimmt. Nur durch die 208 Stimmen der Demokraten kam es nun doch zu jenem Chaos, das Gaetz und Trump so lieben. Wieso hat das Bidens Partei mit getragen?
Völlig ausgeschlossen ist jedenfalls, dass sich die Demokraten der Tragweite ihrer Abstimmung nicht bewusst waren. Sie wussten ganz genau, dass sie den Vorstoß der acht Trump-Anhänger ganz locker hätten ins Leere laufen lassen können. Ein paar Enthaltungen hätten schon genügt und Gaetz und Co. hätten keine Mehrheit zur Abberufung von McCarthy bekommen. Dieser wäre dann weiter „Speaker“ geblieben, was durchaus ein Dienst am Staat gewesen wäre. Denn nun, nach der Abwahl McCarthys, ist das Repräsentantenhaus auf absehbare Zeit nicht handlungsfähig. Das ist sicherlich ganz im Sinne von Extremisten wie Gaetz, im Sinne des Landes ist es nicht.Doch Fraktionschef Hakeem Jeffries wies seine demokratischen Kollegen an, McCarthy nicht zu helfen.
Trotz der vorübergehenden Einigung im Budgetstreit nur wenige Tage zuvor hatten die Demokraten kein Vertrauen in McCarthy. Für sie ist er der typische Wendehals, der auch maßgeblich dazu beitrug, die Demokratie auszuhöhlen und Trump ein Amtsenthebungsverfahren zu ersparen, das er wiederum gegen Joe Biden forcierte (wenn auch ohne große Aussicht auf Erfolg). Der Hauptgrund für das Verhalten der Demokraten ist aber wohl darin zu sehen, dass man nicht das Problem der Republikaner lösen wollte, das diese Partei offensichtlich mit ihren Rechtsaußen hat. Die amerikanische Öffentlichkeit sollte sehen, wohin das führt.