An der klaren Kante der Annalena Baerbock als deutsche Außenministerin scheiden sich die Geister. Kritiker behaupten, dass die Äußerungen von Baerbock nur auf die Wähler in Deutschland abzielten, in der großen weiten Welt da draußen aber eher zu Befremden führen. Doch die Frage ist allerdings, ob solche Irritationen bei Ländern wie China nicht auch tatsächlich mehr bringen können als das immer gleiche diplomatische Nix sagen. Ein Beispiel dafür war die Asien-Reise von Baerbock, wo es in China auf offener Bühne zur Sache ging und die direkt anschließende G7-Erklärung, die im Grunde Baerbocks Position übernimmt.
Annalena Baerbock hat in die Streitthemen in China offen und klar angesprochen – und sie hat auf offener Bühne während einer gemeinsamen Pressekonferenz prompt eine entsprechende Antwort ihres chinesischen Kollegen Qin Wang erhalten. Diese offene Kommunikation könnte mehr Chancen bieten, als wieder so zu tun als sei die Systemrivalität ein nachgeordnetes Problem.
Um was es beim Schlagabtausch ging
China wolle sich nach den Worten von Außenminister Qin Gang beim Thema Menschenrechte nicht belehren lassen. Nach Gesprächen mit seiner deutschen Amtskollegin Baerbock in Peking sagte er bei einem gemeinsamen Auftritt vor der Presse: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen.“ Damit wies Qin Gang die zuvor von Baerbock geäußerte Kritik an der Menschenrechtslage in China zurück. Jeder Staat habe seine eigenen Gegebenheiten sowie kulturellen und historischen Hintergründe. Bei den Menschenrechten gebe es „keine einheitlichen Standards in der Welt.“
Außenministerin Baerbock hielt Qin Gang daraufhin entgegen, dass es durchaus „gemeinsame Standards“ für die Menschenrechte in der Welt gebe – und erinnerte ihn an die UN-Charta und die UN-Menschenrechtskonvention. Darin stünden „universelle“ Menschenrechte, an die alle UN-Mitglieder gebunden seien. Zuvor hatte Baerbock ihre Sorge darüber geäußert, dass die Freiräume für die Zivilgesellschaft und eben die Menschenrechte in China immer mehr beschnitten würden. Die Einhaltung der Menschenrechte liege auch im wirtschaftlichen Interesse, betonte die Außenministerin. „Wo Firmen sich Vorteile auf Kosten der Menschenrechte verschaffen, gibt es keinen fairen Wettbewerb“, sagte sie.
Außerdem hatte Baerbock vor einer möglichen militärischen Eskalation in der Straße von Taiwan gewarnt. Präsident Xi Jinping hatte zuvor auf dem letzten Parteitag unmissverständlich klargemacht, dass er bereit ist, auch Gewalt einzusetzen, um den Anspruch auf Taiwan durchzusetzen. Baerbock sagte, dies sei ein „Horrorszenario“ für die gesamte Welt. Zwar stehe Deutschland zur Ein-China-Politik, doch zugleich sei die Bundesrepublik besorgt über die aktuelle Lage. Eine Destabilisierung der Straße von Taiwan hätte „dramatische Folgen“ für die Weltwirtschaft, so Baerbock. „Die Schockwellen einer solchen Weltwirtschaftskrise würden auch China und Deutschland als besondere Handelsnationen empfindlich treffen.“
Denn ein Konflikt um die Insel hätte noch weitaus gravierendere Folgen für die Welt als die verheerende Aggression Russlands gegen die Ukraine. Deshalb geht es Baerbock darum, die Abhängigkeiten zu einer Großmacht zu reduzieren, die unverhohlen systematisch an der Veränderung der internationalen Ordnung nach ihren Vorstellungen arbeitet.
Außerdem hat Baerbock die Regierung der Volksrepublik nochmals aufgefordert, keine Waffen an Russland zu liefern, die im Krieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommen könnten. Es sei von höchster Bedeutung, zudem zu verhindern, dass sogenannte Dual-Use-Güter von Russland genutzt werden könnten, so Baerbock bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Ihr chinesischer Amtskollege Qin Gang schloss darauf hin zwar Waffenlieferungen aus, ließ aber eine Hintertür beim Export von Gütern mit möglicher militärischer Nutzung offen. Solche Güter können sowohl zu zivilen als auch zu militärischen Zwecken verwendet werden, darunter etwa IT-Technik oder Software aber beispielsweise auch Chemikalien. Und genau hier fiel die Antwort des chinesischen Außenministers zurückhaltend aus. Er sagte, der Export von Dual-Use-Gütern werde weiterhin gemäß der in China geltenden rechtlichen Vorgaben geprüft.
Die Reaktion Chinas erinnert an Russland
Auf die Vorwürfe der Verfolgung besonders der muslimischen Uiguren in der Nordwestregion Xinjiang entgegnete Chinas Außenminister, es gehe dabei nicht um Menschenrechte, sondern um den Kampf gegen Radikalismus und Separatismus. Inzwischen sei die Lage in Xinjiang aber „stabil“. Die Menschen dort lebten ein „sehr glückliches Leben.“ Klingt nach Zynismus pur.
Und dann eine vielsagende Aussage: Es gebe antichinesische Kräfte, die die Xinjiang-Frage benutzten, um Chinas Aufstieg in der Welt einzudämmen. Das verrät einerseits das Ziel Chinas, eine dominante Supermacht in der Welt (auch ideologisch) werden zu wollen. Und es erinnert fatal an die Beschwichtigungen Russlands, noch kurz bevor sie die Ukraine überfielen, als sie die Warnungen der USA vor eben diesem Überfall als „Russophobie“ bezeichneten.
Peking versuchte ja schon vor dem Besuch Baerbocks, die kritischere Haltung Deutschlands als die Position einiger weniger „radikaler antichinesischer Kräfte“ darzustellen. Baerbock und die Grünen gehören demnach zu den Hardlinern, die gesteuert von den Amerikanern eine Abkopplung anstrebten, ungeachtet der wirtschaftlichen Kosten. Die Grünen seien „historisch anti-China“, heißt es gerne in Peking. Baerbock trat dem entgegen und sagte, an einer wirtschaftlichen Entkopplung habe Deutschland kein Interesse – aber man müsse doch die Risiken einseitiger Abhängigkeiten abbauen. Das würde China ja ebenfalls tun. Zwinker, zwinker!
Die Strategie der G7-Staaten folgt Baerbock
Es sei wichtig, offen mit China umzugehen und Sorgen direkt bei der Führung in Peking anzusprechen, heißt es in der Erklärung der G7-Staaten – und dies ist eine Vereinbarung auf einen verbindlicheren Ton, wie ihn zuletzt eben Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch angeschlagen hatte. Die Minister der G7-Staaaten hatten sich zuvor intensiv ausgetauscht über ihre Einschätzungen der Führung in Peking und das weitere Vorgehen.
Die G-7-Staaten sind also der Meinung, dass die Benennung der Regelverletzungen zu Einsicht und Gesprächsbereitschaft führt. Doch der große ideologische Konflikt, der allen Scharmützeln zugrunde liegt – er lässt sich so natürlich nicht befrieden. China will sich nehmen, was es für sein historisches Recht hält. Dazu gehört nicht nur Taiwan, sondern es geht um eine Vormachtrolle in einem alternativen Welt-Konstrukt: „China first“, könnte man sagen, aber stark ideologisch motiviert. Entsprechend scharf hat China auf die Beschlüsse der G7 in Japan reagiert. Außenamtssprecher Wang Wenbin sagte, dass die G-7-Außenminister sich „grob in Chinas innere Angelegenheiten eingemischt, China böswillig verleumdet und verunglimpft“hätten. Und weiter: Die G-7-Länder sollten „das Denken wie im Kalten Krieg und ideologische Voreingenommenheit aufgeben.“.Auch sollten sie anderen Ländern nicht „herablassend Vorschriften machen“. Und schließlich: „Die Erklärungen waren voller Arroganz, Vorurteilen und böser Absichten, China zu unterdrücken.“
Doch das ist alles Firlefanz. Denn beide Seiten, China wie die G7-Staaten, wissen darum, dass die wirtschaftlichen Verflechtungen halt auch so groß sind, dass dies Druck ausübt. Wenn sich etwa mehr und mehr Investoren sorgenvoll aus China zurückziehen. In jedem Fall ist klar, dass die Linie von Annalena Baerbock, klare Kante zu zeigen, im Kreis der G7-Staaten für gut befunden wurde.
Die Frontalkritik kommt aus der SPD
Der Seeheimer Kreis, ein konservativer Flügel der SPD, griff Annalena Baerbock wie auch Wirtschaftsminister Robert Habeck frontal an. Es dürfe, so hieß es, „keine eindimensionale deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik gegenüber China geben.“ Der Seeheimer Kreis fordert vom Auswärtigen Amt, keine allzu konfrontative Haltung gegenüber China einzunehmen und eine „Wirtschaftspolitik auf Augenhöhe“ anzustreben. Eine kohärente Chinastrategie dürfe „keine ‚Anti-China‘-Strategie sein“, schreiben die Seeheimer. Na ja, das klingt ja auch nicht gerade wie eine ausgefeilte China-Strategie. Und es ist schon durchaus bemerkenswert, dass sich der SPD-Kanzler Scholz mal wieder nicht so richtig positioniert hat. Deutschland wolle keine Entkopplung, versichert Baerbock – eine Botschaft an China, aber auch an die Skeptiker in der Ampelkoalition, die fürchten, ihr Kurs könnte den Interessen deutscher Unternehmen in China schaden. Aus Baerbocks Sicht müssen aber auch im Verhältnis zu China die bitteren Lektionen aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Tragen kommen. Deutschland habe seine Energieabhängigkeit von Russland teuer bezahlt, sagt sie, „und Fehler soll man nicht zweimal machen.“