Der Mann sprach deinen Hund an. Und dein Hund hat dir signalisiert, dass wir da jetzt reingehen sollen. Es war ja schon Abend und nach einer längeren Runde auf der Promenade des Anglais bestand seiner Ansicht nach eine verdiente Aussicht auf Ausruhen unter dem Tisch des Restaurants. Womöglich würde der Mann, der ihn so nett angesprochen hatte, sogar ein Schälchen mit Wasser reichen.
Denn der Mann war Kellner eines Restaurants, die immer gut gefüllt sind in Nizza. Seit Corona ist auch im Winter der Außenbereich dieser Kneipen viel größer als der Innenbereich. Wobei „drinnen“ und „draußen“ sich bezüglich der Frischluftzufuhr kaum noch unterscheiden. Denn mittlerweile sind die Außenbereiche voll verglast, da weht kein Windchen. Außerdem stehen die Tische draußen eher enger zusammen als drinnen, alles wohlig von Heizstrahlern gewärmt.
Der nette Kellner bringt neben der Karte tatsächlich auch Wasser für deinen Hund. Erst jetzt fällt dir auf, dass der Mann keine Maske trägt. Und er will auch keinen Nachweis über deinen Impfstatus sehen. Er ulkt herum und will sonst nur wissen, was es zu Essen und Trinken sein darf. Laissez faire in Südfrankreich, ein gewisser Charme inklusive. Tja, fast könnte man meinen, dass auf diese Art die ansonsten omnipräsente Corona-Pandemie mal ihren Schrecken verliert. Lässig bleiben hilft. Man soll doch nicht immer alles so todernst nehmen, gell?
Aber natürlich weißt du, welche krassen Maßnahmen es in den letzten Jahren in Nizza gab. Da waren alle Restaurants, Cafés und Kneipen geschlossen. Und da durften die Einwohner ihre Wohnung nur in einem Umkreis von einem Kilometer verlassen, und das auch nur aus triftigem Grund. Die Leute mussten vor dem Ausgang einen Zettel ausfüllen (den man im Internet runterladen konnte) und worauf dann stand, wann man die Wohnung verließ, zu welchem Zweck und so weiter. An jeder Ecke stand die Polizei, die den Zettel sehen wollte.
Und jetzt das. Du grübelst darüber. Ist es Widerstand? Will der Kellner, wie übrigens auch alle seine Kollegen in diesem Restaurant, eine Oase der „Freiheit“ ausrufen? Oder handelt es sich um bürgerliches Vertrauen? Am Eingang stand ja, dass Zugang nur mit 2G erlaubt sei. Darf der Kellner nicht einfach voraussetzen, dass die Leute sich daran halten? Muss er es gar nicht erst kontrollieren? Du denkst daran, dass es dich schon immer genervt hat, wenn im Supermarkt ein Kassierer wollte, dass du ihm deine Tasche öffnest. Darf man nicht einfach voraussetzen, dass du eben kein Dieb bist?
Wie auch immer, dein Hund sorgt dafür, dass niemand zu nahe Platz nimmt. Er ist imposant genug, dass die Leute Abstand halten. Du denkst an die vielen Verbote, deren Überschreitung selten bestraft wird. Da sind die Wege und Straßen, vor denen dieses Schild mit dem roten Kreis steht, manchmal sogar noch mit der Schrift darunter: „Befahren verboten!“ und die dennoch ständig von Autofahrern als Schleichwege genutzt werden. Wer wollte das alles kontrollieren? Und wer sollte also die lautstark von Emmanuel Macron angekündigten Maßnahmen gegen Ungeimpfte kontrollierern, wenn sich nicht der Kellner zum Helfer von Macron machen lässt? Der hat aber vielleicht überhaupt keine Lust dazu, den Polizisten zu spielen. Er wird ja schließlich nicht vom Staat bezahlt, sondern lebt von seinen Gästen.
Mit Omikron wird das alles offensichtlich. Da wird überall Personalnot herrschen. Wie sollen dann also großartig beschlossene Maßnahmen kontrolliert und durchgesetzt werden? Nicht in Nizza und nicht in Freiburg wird das gelingen. Alles Schall und Rauch. Es wird eher eine „vogelfreie“ Zeit werden, wenn Omikron regiert. Nach Herzenslust kann falsch geparkt werden, die Tempolimits gelten nicht mehr, weil es keine Leute hinter den Blitzern mehr gibt. Und wenn Millionen Menschen gleichzeit in Quarantäne bleiben sollen – wer soll Verstöße noch ahnden? Das Personal in den Gesundheitsämtern, der Polizei und den Ordnungsämtern war ja schon vor Omikron heillos überfordert.
Die Macht jedweder Verbote wird schwach sein. Das Einzige, was dann noch bleibt, ist die Verantwortung. Dein Hund weiß, was das ist, obwohl er das Wort noch nie gehört hat.