Über Land und Leute

Wer von uns hat eigentlich privat Vorsorge getroffen, dass man im Katastrophenfall nicht direkt verhungert? Nun ja, Deutschland hat es seinen Bürgern gleich getan, oder umgekehrt.

Fotomontage: Adrian Kempf

Wie das Land, so die Leute. Deutschland ist mal wieder überrascht von den Szenarien und Anforderungen, die auf das Land zukommen könnten. Und mal ehrlich: Wer von uns hat privat Vorsorge getroffen, dass man im Katastrophenfall nicht direkt mit dem Tod bedroht ist? Wer hat die Konserven im Keller, von denen er auch ohne Kühlschrank eine längere Weile zehren könnte? Wer hat die großen Vorräte an Wasserflaschen, falls nix mehr aus der Leitung käme? Wer hat denn wenigstens eine Taschenlampe und genügend Batterien für deren Betrieb, oder gar ein Kurbel-Radio, das zur Not auch ohne Strom noch Nachrichten empfangen könnte?

Wohl die wenigstens von uns sind wirklich vorbereitet. Allein schon wenn es zu einem Blackout käme und über längere Zeit der Strom ausfällt, würden wohl viele lieb gewonnene Routinen versagen. Handy und Computer gingen bald nicht mehr, Kühlschrank und Heizung auch nicht, der Supermarkt hätte geschlossen und an den Tankstellen ginge ohne Strom auch nichts mehr. Und wie die Leute, so das Land: In Deutschland gibt es von ursprünglich 2000 öffentlichen Schutzräumen nach Angaben des Innenministeriums nur noch genau 579 Räume. Nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe steht fest, dass in den offiziellen Schutzräumen nur einige Hunderttausend Menschen Schutz finden würden. Mehr oder weniger: eine halbe Million. Bei einer Gesamtbevölkerung von 85 Millionen.

Aktuell schockt also die „brisante Bunker-Beichte“ (Bild) der Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Dachzeile dazu lautet „Versäumnisse von Jahrzehnten“. Nach Brücken, Straßen, Gleisen und Datenkabeln, nach dem ÖPNV und grünen Innenstädten, nach Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und Wohnungen: Da sind sie wieder, die Versäumnisse von Jahrzehnten. Und das Problem ist: Der schnelle Aufbau von Bunkern in großer Zahl ist nicht möglich, da der Bau lange dauert. Ralph Tiesler, Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, schätzt, dass der deutschlandweite Aufbau mindestens eine Generation Zeit benötigt. Das heißt, die milliardenschwere Friedensdividende unter der „Sie kennen mich“-Kanzlerin (siehe auch Seite 4) hat nun ihren Preis. Man muss ja nur die Bilder sehen aus der U-Bahn von Kiew, wo sich die Menschen so gut es eben geht vor dem Tod verstecken.

Es ist auch nicht so, dass es alle Nachbarn so gemacht hätten wie Deutschland. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Bunker je Einwohner wie in der Schweiz. Früher war dort der Bau privater Schutzbunker eine Baupflicht – untrennbar verbunden mit dem Baurecht der Schweiz. Heute gilt das noch für größere Neubauten. Und wer keinen Schutzraum bauen kann, zum Schutz vor konventionellen Waffen, aber auch gegen ABC-Kampfstoffe, der muss für Plätze anderswo zahlen. Und das in einem Land, das sich stets der Neutralität verpflichtet fühlte und sich aus größeren Kriegen heraus halten konnte. 

Oder das Beispiel Finnland, das mit seiner langen Grenze zu Russland natürlich sowieso eine ganz andere Wahrnehmung von Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung hat. In Finnland mit 5,5 Millionen Einwohnern gibt es mehr als 50 000 Bunker. Allein in Helsinki gibt es Platz für fast eine Million Menschen. Dort haben sie das Thema Schutzräume in den Alltag integriert. Dort sind Indoor-Spielplätze, Fitnessstudios oder Parkhäuser von Beginn an so gestaltet worden, dass sie in einem Krisenfall als Schutzraum genutzt werden können. Dort sind nicht nur Extrabauten errichtet worden, sondern man hat das von Anfang an planerisch mit einbezogen. 

Okay, das soll jetzt auch in Deutschland passieren. Deutsche Zivilschützer arbeiten an einem Plan, wie für den Fall eines Kriegs ausreichend Bunker für die Bevölkerung geschaffen werden können. Die Arbeitsgruppe will alle öffentlichen und privaten Gebäude erfassen, die als Bunker genutzt werden können. Außerdem will sie erörtern, wie sich flächendeckend „Selbstschutzräume“ einrichten ließen, zum Beispiel in Kellerräumen oder Tiefgaragen. Ist natürlich auch typisch deutsche Gründlichkeit: Erstmal alles erfassen, bevor etwas getan wird. Unter Experten gilt es auch als umstritten, ob Deutschland sein marodes Bunkersystem ertüchtigen soll. „Wir dürfen nicht auf alte Regelungen aus dem Kalten Krieg zurückgehen, sondern müssen uns auf moderne Bedrohungsszenarien einstellen“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser.  Es gehe um die Warninfrastruktur, Notstromaggregate, Notbrunnen, mobile Unterkünfte, sowie um den Schutz kritischer Infrastruktur. Ja Mensch,  um dich geht es theoretisch auch ein bisschen.