Freie Dreiste Partei

Das Problem am „D-Day-Papier“ der FDP ist nicht allein die geschmacklose Wortwahl oder das Durchspielen des Ampelbruchs. Die Täuschung besteht darin, dass alles aus Eigennutz geschah.

Fotomontage: Adrian Kempf

Wir wollen es mit Humor nehmen. Der neuste Akt der Selbstauflösung der Ampel hat immerhin einen gewissen Unterhaltungswert. Da stellen sich so tolle Fragen wie etwa: Hat Kanzler Olaf Scholz den perfiden Plan von Christian Lindner irgendwie zugesteckt bekommen, bevor er den damaligen Finanzminister wutentbrannt aus dem Amt schmiss? Denn inzwischen weiß man ja, dass Lindner und seine FDP schon seit Ende September planten, die Ampel an die Wand zu fahren. Aus einem „Strategiepapier“ der FDP durfte man auch erfahren, dass dies alles minutiös geplant war – inklusive einer fertig ausgearbeiteten Rede von Lindner (die er dann nie halten durfte). Und in guter Krimi-Manier dürfen wir interessierten Beobachter auch fragen: Wer hatte den größten Nutzen davon? Als geübte Tatort-Gucker fällt es uns nicht schwer darauf zu kommen: Friedrich Merz, der seit langem mit den Hufen scharrt und es nicht abwarten wollte, endlich an sein Ziel zu kommen. Und wenn das so ist, dann kombinieren wir in bester Sherlock-Holmes-Tradition, dass der Merz und der Lindner sich ja womöglich heimlich ins Einvernehmen gesetzt haben könnten. So könnte der Friedrich dem Christian (vielleicht schon bei dessen Hochzeit auf Sylt) schöne Augen gemacht haben: „Wenn du die Ampel jetzt kraftvoll und schnell beendest, kommst du als erster Koalitionspartner für mich in Frage.“ Doch dieser Plan ging schief, zumindest für Lindner.

Denn Kernstück des Ampelbruches wäre nach dem detaillierten FDP-Plan gewesen, dass Christian Lindner als Herr des Verfahrens aufgetreten wäre. Geradezu staatsmännisch hätte er auftreten sollen, um Deutschland die gute Nachricht zu überbringen, dass er soeben die Ampel beendet habe. In dem längst zuvor geschriebenen Strategie-Papier heißt es dazu: Die Bilder der Verkündung seien entscheidend, hält das Dokument fest: „Diese müssen eine Position der Stärke, Entschlossenheit und Überzeugung ausdrücken. Die Atmosphäre muss ernsthaft, aber nicht getrieben wirken.“ Blöd nur, dass es dann zu dieser Verkündung Lindners nie kam, weil Scholz ihn zuvor entlassen hat. Noch blöder ist allerdings, dass dieses Papier überhaupt so verschriftlicht wurde, inklusive der an Dreistigkeit kaum zu überbietenden D-Day-Termini und einer Pyramide, die am Ende die „offene Feldschlacht“ vorsieht.

Was war am FDP-Papier entlarvend?

Dass in der FDP das Wort „D-Day“ für den Ausstieg aus einer Bundesregierung benutzt wurde, hatte Empörung hervorgerufen, als „Süddeutsche Zeitung“ und „Zeit“ berichteten, dass die FDP das frühzeitige Ende der Ampelkoalition bewusst geplant habe. Der Begriff „D-Day“ stammt aus dem US-Militär und bezeichnet ein nicht genau benanntes Datum, an dem eine militärische Operation beginnt. Außerdem ist der Begriff „D-Day“ fest verbunden mit der Landung der alliierten Truppen in Frankreich 1944 und der Befreiung des Kontinents von der Nazi-Herrschaft.

Im Klartext: Eine „Sprengung“ der Ampel-Regierung wie eine militärische Aktion zu planen, oder gar die Befreiung Deutschlands von eben dieser Ampel-Regierung quasi mit der Befreiung von den Nazis in Bezug zu setzen, zeugt von unglaublichem Hochmut der Verfasser. Man könnte auch sagen: Es zeugt von extremer Dämlichkeit. Aber sofort taucht an dieser Stelle wieder die Frage auf, wie es sein konnte, dass die FDP sich so machtbesessen wähnte. Sollte die D-Day-Inszenierung etwa zu dem „Sieg“ führen, in der kommenden Regierung als verdienter Partner der Union zu glänzen? 

Und der militärische Jargon des FDP-Papiers ist so durchgängig, dass es keinen Zweifel daran geben kann, dass dieses Drehbuch nicht auch von ganz oben geschrieben wurde. In der ursprünglichen D-Day-Pyramide stand als Beginn der Aktion „Zündung“ (also einer medialen Bombe) und am Ende die „offene Feldschlacht.“ Das wiederum passt prima zum Entwurf der Rede von Christian Lindner, denn da hätte er laut Skript sagen wollen: „Wir Freie Demokraten wollen nicht, dass die Ampel das Land in Geiselhaft hält. Wir machen den Weg frei zu vorgezogenen Neuwahlen.“

Lindner wollte sich also tatsächlich wie ein Befreier Deutschlands präsentieren, in einer Reihe mit den alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg. Dies ist, während ja tatsächlich ein blutiger Krieg in Europa tobt, schon schwer daneben. Es zeugt aber auch von der Dreistigkeit, die in den letzten drei Jahren immer wieder von der FDP ausging. Sie war ja von Anfang an der kleinste Partner (nach Wählerstimmen) gegenüber der SPD und den Grünen. Und trotzdem wollte sie immer diktieren, was zu tun sei. Gerne nutzte Lindner hierzu seine Rolle als Finanzminister und bremste seine Partner (aber auch das ganze Land) ständig aus. Und sein Katalog zur „Wirtschaftswende“ am Ende war ja nur ein Bewerbungsschreiben an die Union für eine künftige gemeinsame Regierung. Denn da hatte er ja längst geplant, sich an die D-Day-Pyramide zu halten. Von „Zündung“ bis „Feldschlacht“. Die Art und Weise, wie der FDP-Parteichef den Ausstieg aus der Ampelkoalition inszenierte, gehört zu den Tiefpunkten in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Der Koalitionsbruch im Herbst 2024 war ja nicht das erste Mal, dass Lindner mit Show-Effekten aufgefallen ist; das war schon so, als er 2017 die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition aus fadenscheinigen Gründen platzen ließ. Und wenn Lindner direkt nach seinem Rausschmiss durch Kanzler Olaf Scholz von einer „Entlassungsinszenierung“ sprach, muss man von heute gesehen fast laut darüber lachen. Wenn überhaupt, dann kam die Inszenierung von Scholz ja lediglich der längst geplanten Inszenierung von Lindner zuvor. 

Welche Konsequenzen folgten

Nach der Veröffentlichung des detaillierten D-Day-Plans in der FDP für den Bruch der Ampelkoalition sind FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zurückgetreten. Letzterer gilt als enger Vetrauter von FDP-Chef Christian Lindner und soll angeblich das D-Day-Papier selbst verfasst haben. Und dies ohne Wissen seines Chefs?

Entsprechend drehte sich Christian Lindner dann im Interview in den ARD-Tagesthemen zehn Mal um die eigene Achse. Es war fast schon lustig, wie Lindner da versuchte, genau jene Rede zu halten, die im D-Day-Papier bereits vorgesehen war, aber dann ja nicht stattfand, weil Scholz ihn vorher vor die Tür setzte. In dieser fertig verfassten Rede hieß es: „Die Bundesregierung ist angetreten, um den Stillstand des Landes am Ende der Ära Merkel zu beenden. Nach 3 Jahren ist aber auch die Ampel zu Stillstand gekommen. Deshalb muss diese Bundesregierung jetzt enden. Wir müssen zu schnellen Neuwahlen kommen, damit die deutsche Bevölkerung in demokratischen Wahlen entscheiden kann, welchen Weg unser Land nehmen soll. Wir Freie Demokraten wollen nicht, dass die Ampel das Land in Geiselhaft hält. Deutschland wartet dringend auf Reformen – jetzt! Wir machen den Weg frei zu vorgezogenen Neuwahlen.“

In den „Tagesthemen“ bestritt Lindner erneut, dass er dieses Papier überhaupt gekannt hat. Gleichzeitig sagte er dort: „Ich glaube, dass die politische Entscheidung, die ich verantworte, unverändert richtig ist. Diese Entscheidung war: Es muss eine andere Politik geben – oder die Wähler müssen neu wählen.“

Wo ist das Problem?

Natürlich kann man der FDP nicht vorwerfen, dass die Partei verschiedene Szenarien durchspielte. Und es geht trotz der Geschmacklosigkeit auch nicht darum, welche Begriffe da benutzt wurden. Die Täuschung der Öffentlichkeit liegt darin, dass die FDP ihre „Sprengung“ der Ampel-Regierung so inszenieren wollte, dass sie bei den folgenden Neuwahlen möglichst davon profitieren wollte. Sie hat den Plan nach drei desaströsen Landtagswahlen gefasst, als sie zuletzt in Brandenburg bei 0,8 Prozent landete. Es war ein Plan aus reinem Eigennutz und eben nicht staatstragend „zum Wohle des Landes.“ Das zu behaupten ist dreist. Weshalb man die FDP jetzt umbenennen möchte in „Freie Dreiste Partei“.