Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem „Wumms“ und einem „Bumms“? Ganz einfach: Der „Wumms“ ist ein Lieblingsbegriff von Olaf Scholz (gerne auch als Doppelwumms verwendet), das er aber scholzomatisch vorträgt. Soll heißen: Der „Wumms“ wird nicht mit vollem Gefühls-Wumms vorgetragen und keiner weiß dann hinterher, worin er eigentlich bestehen soll. Der „Bumms“ hingegen ist das, was Scholz klar, direkt und wütend so formulierte: „Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten“, sagte er. Der Finanzminister habe „keinerlei Bereitschaft“ gezeigt, sein Angebot zur Wirtschafts- und Haushaltspolitik anzunehmen, ein solches Verhalten wolle er dem Land nicht länger zumuten. Und: „Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.“ Und, auch das noch: „Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Ja Mensch, da zeigt einer mal seine Gefühle! Ist ja schon fast wie in den USA.
Und Olaf Scholz wird damit nicht der einzige bleiben, der seinen Gefühlen am Abend des Ampel-Aus freien Lauf lässt. Auch der als Finanzminister geschasste Christian Lindner sprach davon, der er „angefasst“ sei und dass er sich wohl „in Anderen getäuscht“ habe. Und da war dann schließlich auch Robert Habeck in den „Tagesthemen“ des gleichen Abends mit einem geradezu anrührenden Statement am Start. „Dieser Tag ist ein besonderer Tag, der mit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten begann“, setzt Habeck mit brüchiger Stimme an. „Und jetzt endet er mit dem Bruch der Ampelregierung hier im Kanzleramt.“ Es fühle sich „falsch und geradezu tragisch an“, sagt Habeck, „an einem Tag wie diesem, an dem Deutschland doch Geschlossenheit bräuchte“. Man konnte meinen, dass Robert Habeck sich nur schwer eine Träne verdrücken konnte, vor laufenden Kameras.
Wie liefen die letzten Stunden der Ampel ab?
Der überlieferte Satz lautete: „Olaf, würdest du mich dann rauswerfen?“ So soll Lindner gefragt haben. Man erzählt sich, wie skurril die letzten Minuten dieser Regierung gewesen seien. Scholz habe zu Beginn des Koalitionsgipfels auf höhere Schulden gedrungen, die Grünen hätten das ebenfalls befürwortet. Dann sei Lindner an der Reihe gewesen. Er habe Scholz den Vorschlag unterbreitet, dass die Regierung zurücktreten und Neuwahlen einleiten könne, was Scholz abgelehnt habe. Was das denn jetzt heiße, wollte Lindner dann von ihm wissen. Ob er vorhabe, ihn zu entlassen, wenn er den zusätzlichen Schulden nicht zustimme?
Es ging also um eine Machtprobe. Vordergründig sollte zwar der Haushalt 2025 endlich auf die Reihe gebracht werden, was nach Einschätzung von Experten durchaus möglich gewesen wäre. Aber es ging wohl vonseiten des Kanzler auch um mehr: Olaf Scholz, so hört man, habe seinen Plan bereits früher geschmiedet. Auch weil insbesondere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich von ihm Führung einfordert. Was in der SPD bedeutet: Lindner auf Linie bringen. Am Mittwochnachmittag (dem Tag des Ampel-Aus) verlangt dann Scholz von Lindner in der letzten Dreierrunde ultimativ, einem Notlagenbeschluss und damit dem Aussetzen der Schuldenbremse zuzustimmen. Auch Lindner wird das später so schildern. 15 Milliarden Euro zusätzlichen Spielraum wollte Scholz so im Haushalt gewinnen, um die Netzentgelte zu senken, Unternehmen mit einer Investitionsprämie zu helfen und die Ukraine stärker zu unterstützen. Doch Lindner und die Liberalen hielten den Vorschlag von Scholz zur Schuldenbremse für „offenkundig verfassungswidrig“. Und so kam es zum wütenden Bumms des Olaf Scholz.
Woher kamen so viel Emotionen?
Obwohl Scholz und Lindner in vielen Dingen quasi das Gegenteil voneinander sind, schien es lange so, dass der Kanzler oft mehr auf der Seite des FDP-Finanzministers war als etwa auf der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (was eigentlich naheliegender gewesen wäre). Man kann sogar sagen, dass sie nie schlecht voneinander gesprochen haben. Aber dann hat Christian Lindner seinen Koalitionspartnern ja eine Scheidungspapier von 18 Seiten vorgelegt, in dem er frech und frei alle jene Forderungen für eine „Wirtschaftswende“ stellte, die von SPD und Grünen nicht erfüllt werden können. Und die nach über drei Jahren in der Mitverantwortung auch gegen den mal geschlossenen Koalitionsvertrag verstoßen. Also jetzt mal die Perspektive vom Tag nach der Ampel: Da ist Christian Lindner nicht mehr Minister und seine FDP womöglich nach Neuwahlen gar nicht mehr im Bundestag vertreten. Wenn Christian Lindner also erst dann, am Tag danach, irgendein Papier verfasst hätte, das wusste er genau, würde er es damit dann nicht mehr in die „Tagesschau“ oder den „Bericht aus Berlin“ schaffen. Also hat er sich gedacht: Solange ich noch Finanzminister bin, mache ich noch mal richtig Tamtam, weil später geht ja nix mehr. Und es kann sogar sein, dass er dabei geglaubt hat, eben durch das Gedöns den drohenden Untergang seiner FDP noch verhindern zu können. Lindners Papier wurde ja auch prompt von CDU-Chef Friedrich Merz gelobt (dem potenziellen künftigen Kanzler, der ja dann auch Koalitionspartner braucht). Es war allerdings aus Sicht von Lindner ein arg vergiftetes Lob.
Das Papier enthalte Vorschläge, die zum Teil wörtlich aus Anträgen übernommen seien, die die Unionsfraktion in den vergangenen zwei Jahren in den Bundestag eingebracht hätte, schrieb der CDU-Chef in seinem Newsletter „MerzMail.“ Wenn es Lindner also darauf abgesehen haben sollte, sich noch rechtzeitig in der Öffentlichkeit als FDP-Schlaumeier zu inszenieren (bevor er womöglich in der medialen Beachtung stark zurückfällt), dann sagte ihm Friedrich Merz, dass er all diese wirtschaftspolitischen Geistesblitze ja doch nur abgeschrieben habe. Auf die Koalition dieser beiden Ego-Shooter Merz und Lindner (falls es die FDP bei der nächsten Bundestagswahl noch über die Fünfprozent-Hürde schafft) darf man also jetzt schon gespannt sein.
Hat Lindner seinen Rauswurf provoziert?
Nun ja, inzwischen wurde bekannt, dass die gesamte FDP-Führung bereits Ende September beschlossen hat, die Ampel zu „sprengen.“ FDP-Chef Christian Lindner hat also aufgeschrieben, was er von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) fordert: neue Wirtschaftsreformen. Für SPD und Grüne war das eine Provokation. Einige Vorschläge wie die Abschaffung des „Soli“ für Spitzenverdiener, oder höhere Einbußen für Bürger, die früher in Rente gehen, sind grundsätzlich mit der SPD nicht zu machen. Das bei der Rente gesparte Geld wollte Lindner Unternehmen und Topverdienern über Steuersenkungen geben – ging gar nicht mit SPD und Grünen. Auch Kürzungen beim Bürgergeld waren mit der Kanzler-Partei kaum zu machen – vor allem an die Wohnkosten wollte Lindner durch eine Umstellung auf Pauschale ran. Das war überzogen und in der Realität auch unsozial. Zudem wollte er – mit Grüßen Richtung Grüne – in der Klimapolitik deutliche Veränderungen und auch hier weniger staatliche Vorgaben. Kurz und gut: Lindners Papier war quasi ein Gegenentwurf zum Koalitionsvertrag, den er allerdings ja selbst mit unterschrieben hatte.
Wenn Lindner nun nach seinem Rauswurf von einer „Entlassungsinszenierung“ spricht, dann ist das nicht glaubwürdig. Es ist viel wahrscheinlicher, dass er die wütende Reaktion von Olaf Scholz genau so geplant hatte. Es ist wohl so, dass an der FDP-Parteispitze spätestens Mitte Oktober keinerlei Debatte mehr über das Ob eines Ausstiegs erwünscht war. Es wurden akribische Pläne über das Wie gemacht. Heißt natürlich auch, dass Christian Lindner nicht nur seine Ampel-Partner, sondern auch die Öffentlichkeit an der Nase herum geführt hat.