Bei sogenannten empirischen Umfragen wie der „Shell Jugendstudie“ 2024 ist immer interessant, wer was wie interpretiert. Da können nämlich die Schlussfolgerungen aus der Befragung ganz unterschiedlich ausfallen. So wurden die jüngsten Ergebnisse von verschiedenen Medien auch ganz anders gewichtet. Die ARD-Tagesschau titelte als Quintessenz der Befragung: “Angst vor Krieg nimmt unter Jugendlichen zu“. Die Süddeutsche Zeitung machte als Überschrift: „Von wegen unpolitisch“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kommentierte: „Die Ängste der Jugendlichen sind berechtigt.“ Und dann legt die FAZ den Schwerpunkt auf: „Sie haben Angst vor Krieg, Armut und Umweltverschmutzung. Viele junge Menschen sehnen sich wohl deshalb nach einer starken politischen Hand.“ Bei T-online wird hingegen in die Überschrift gehoben: „Gendern wird zum Großteil abgelehnt!“ Da hat es die Wochenzeitung „ZEIT“ wohl richtig gemacht, die gleich ein Interview dem Politikwissenschaftler Mathias Albert als Hauptautor der 19. Shell Jugendstudie geführt hat und gleich mal fragte: „Herr Albert, wie würden Sie die heutige Jugend in drei Worten beschreiben?“ Und die Antwort lautete: „Die heutige Jugend ist pragmatisch, weltoffen und hat ein sehr positives Zukunftsbild“.
Ja okay, das klingt ja erstmal gut. Aber warum klingen die Überschriften der „Shell-Jugendstudio“ immer so ähnlich. 2010 hieß diese: „Eine pragmatische Generation behauptet sich“. 2015 dann: „Eine pragmatische Generation im Aufbruch“. Und 2019: „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Ohne ganz mies zu sein, könnte man sagen: Der Sprit von Shell ist halt auch echt super pragmatisch. Damit kann man Auto fahren.
Damit jetzt keine falschen Behauptungen auf die Überholspur der Autobahn gehen: Die „Shell“-Jugendstudie gilt allgemein als wissenschaftlich seriös. Sie wird bereits seit 1953 erhoben, was insofern ein Vorteil ist, als sich hier wie kaum irgendwo sonst Langzeitentwicklungen abbilden lassen. Worauf auch der Hauptautor Mathias Albert von der Universität Bielefeld hinweist: „Die Shell Jugendstudie ist eine langfristig angelegte Trendstudie, keine Momentaufnahme. Sie zieht ihre Stärken genau daraus, dass sie 2024 gucken kann, was der Unterschied zu 2019 ist. In unseren Daten sehen wir: Im Vergleich zu vor fünf Jahren geben deutlich mehr Jugendliche an, rechts oder eher rechts zu sein. Im Vergleich zu den Erhebungszeitpunkten davor, 2015, 2010 und 2006, haben wir allerdings fast gar keinen Anstieg“, führt der Sozialwissenschaftler aus.
Manche Ergebnisse der Shell-Studio“ 2024 sind sehr eindeutig: Eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat Angst vor einem Krieg in Europa. Für rund 81 Prozent der Befragten ist dies die größte Sorge – im Jahr 2019 waren es noch 46 Prozent. Auf Platz zwei liegt mit 67 Prozent die Angst vor Armut (2019: 52 Prozent). Platz drei teilen sich mit jeweils 64 Prozent die Sorge vor Umweltverschmutzung (zuvor 71 Prozent) sowie die Angst vor einer wachsenden Feindseligkeit zwischen den Menschen (zuvor 56 Prozent). Eine deutliche Mehrheit der Befragten verurteilt den russischen Angriffskrieg (60 Prozent). Der Meinung, dass Deutschland die Ukraine weiterhin auch militärisch unterstützen sollte, ist rund die Hälfte – ein Viertel spricht sich dagegen aus.
Trotz globaler Krisen und erheblicher Zukunftsängste bleiben die jungen Menschen in Deutschland mehrheitlich (55 Prozent) zuversichtlich. 75 Prozent sind mit der Demokratie eher oder sogar sehr zufrieden. Auch sind sie laut Umfrage politisch engagierter als noch vor fünf Jahren. 51 Prozent informieren sich demnach aktiv über politisches Geschehen (2019: 36 Prozent).
Dies alles zeige, dass sich ein Großteil der Jugendlichen differenziert mit Krisen und deren Konsequenzen auseinandersetze, sich aber nicht entmutigen lasse. Die Ressourcen, „die sie in sich selbst und in ihrem sozialen Nahbereich finden, geben vielen von ihnen Zuversicht, ihre Zukunft meistern zu können“, so die Studienautoren. Es fällt auf, wie betont optimistisch sich die Autoren der „Shell-Jugendstudie“ über die Ergebnisse der Umfrage äußern. Klingt fast wie: Alles in Butter! Die Politik kann ruhig so weiter machen wie bisher. Und das wäre dann wohl genau, was die Politik in den anstehenden Wahlkampfzeiten auch hören möchte. Denn derzeit ist jeder zweite Deutsche älter als 45 Jahre und jeder fünfte Deutsche älter als 66. Wer Wählerstimmen gewinnen will, hat also eher nicht die Jugend im Sinn. Hat diese auch schon gemerkt: Etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen in der Studie meint, dass die meisten Maßnahmen, die der Staat trifft, ihnen persönlich keine Vorteile brächten.