Wagenknecht will die CDU lustvoll meißeln

Unfassbar, aber wahr: Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen braucht es das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, um die AfD zu verhindern. Und sie will Zugeständnisse.

Fotomontage: Adrian Kempf

Nehmen wir mal an, wir hätten eine kleine Zeitreise gemacht, nur mal kurz zum Mond und zurück, dann würden wir uns jetzt die Augen reiben. Denn der Mann hinterm Mond, den wir dort kennen gelernt haben, scheint uns jetzt das Antlitz von CDU-Chef Friedrich Merz zu tragen. Es ist noch keine drei Monate her, dass Merz auf die Frage, ob er bereit sei, über eine Zusammenarbeit mit Wagenknechts Bündnis nachzudenken, um AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern, gesagt hat: „Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen.“ Für Frau Wagenknecht gelte beides: „Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem.“ Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen braucht die CDU ausgerechnet dieses BSW, um Regierungen bilden zu können. Und das könnte gravierende Folgen haben. Sahra Wagenknecht wird die nun anstehenden Verhandlungen dazu nutzen, die CDU bei den Themen Ukrainehilfe und Stationierung von Mittelstreckenraketen zu spalten. Und damit, selbst wenn dies so nicht beabsichtigt von Wagenknecht ist, hilft sie vor allem der AfD weiter, die ja besonders von einer geschwächten CDU profitieren würde.

 
Denn die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben ja tatsächlich gezeigt, dass die CDU von den Parteien der demokratischen „Mitte“ diejenige ist, die sich noch Volkspartei nennen könnte. „Wir sind das Bollwerk,“sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und verwies darauf, dass die Union jetzt alleine deutlich stärker als die drei Ampelparteien zusammen sei. Dies gilt derzeit nach Umfragen ja  auch bundesweit. Man kann sehr skeptisch sein, auf welchen Wegen die Union unter Merz das erreicht (siehe auch Seite 6), aber Tatsache ist, dass eine Schwächung der CDU eine weiteres Geschenk für die AfD wäre, auch im Bund. Und dafür muss die AfD gar nichts tun, sondern kann die Hände in Schoß legen und ab und zu mal den Zeigefinger ausstrecken, um auch die Versäumnisse einer CDU zu weisen, die sich womöglich durch Kompromisse mit dem Bündnis Wagenknecht selbst schwächt.

Wagenknecht will die Situation ausnutzen

Entsprechend nüchtern fiel denn auch die Wertung der Ergebnisse nach den Landtagswahlen im Osten durch CDU-Chef Friedrich Merz aus: „Wir hätten uns mehr vorstellen können – gerade in Thüringen“, sagte Merz also. Und spricht von einem „ordentlichen Wahlergebnis“ unter „außergewöhnlich schwierigen Umständen.“ Schuld am großen Erfolg von AfD und BSW sei vor allem die Ampelkoalition im Bund. Die habe am Wahltag ein „totales Fiasko“ erlebt. 

Was das BSW angeht, haben sich Merz und die CDU-Spitze auf die Formel verständigt, man habe vollstes Vertrauen in Michael Kretschmer und Mario Voigt. Die beiden Spitzenkandidaten und ihre Landesverbände hätten freie Hand für Verhandlungen mit dem BSW. Diese freie Hand hatte sich Kretschmer allerdings zuvor schon selbst gewährt. „Wir haben, seitdem es die sächsische Union gibt, die Dinge immer allein entschieden“, hatte der sächsische Ministerpräsident bereits am Morgen nach der Wahl erklärt. Daran werde „sich auch nichts ändern“.

Doch die grundlegende Problematik für CDU-Chef Merz geht tiefer. Die CDU hat zwar die Ampelparteien deklassiert. In Thüringen und Sachsen ist die Union alleine mehr als doppelt so stark geworden wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Angesichts der Umstände ist das ein großer Erfolg. Aber die CDU muss jetzt mit Sahra Wagenknechts Bündnis koalieren. In Thüringen wäre eine CDU-geführte Regierung sogar auf Hilfe der Linken angewiesen. Und in beiden Bundesländern hat die AfD mehr als 30 Prozent geholt. Eine sehr hohe Hürde für den Kanzlerkandidat Merz, der das alles moderieren muss.

Sahra Wagenknecht nämlich wird jetzt versuchen, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen und die außenpolitisch durchaus unterschiedlichen Ansichten zwischen West-CDU und Ost-CDU politisch wirksam werden zu lassen. Denn die Loyalität der CDU gegenüber den USA, ihre proisraelische Haltung, ihre kritische Position gegenüber Russland und auch die Unterstützung der Ukraine – die waren und sind nicht immer Konsens in der Union. Im Osten schon gar nicht, weshalb die Bundes-CDU mit Rücksicht auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Thüringen und Sachsen salopp gesagt die Zügel mal schleifen lassen könnte: Man müsse halt jetzt mal im Osten pragmatisch mit dem BSW eine Regierung bilden, und wenn Wagenknecht denn nun unbedingt irgendwas gegen die Waffenlieferungen im Koalitionsvertrag stehen haben wolle … na gut.

Aufgrund dieser Konstellation könnte die Identität der CDU auf dem Weg zur Macht beschädigt, ja womöglich sogar ihr Wesenskern ausgehöhlt werden. Das wäre dann nicht bloß tragisch für diese Partei, sondern für das ganze Land. Tatsächlich zielen die beiden stärksten unter den extremen Parteien – AfD und BSW – auf die Bundes-CDU und damit auf eine tragende Säule der Republik. Längst schon ist klar, dass die AfD als rechtsextreme Partei die CDU als eine Volkspartei der rechten Mitte schwächen und spalten will.  Alle Späne einer solchen Hobelei fiele den Rechten zu. Und nun ist der AfD mit dem BSW ein strategischer Partner erwachsen, der ihr Zerstörungsgeschäft vorantreiben wird, ohne dass sie selbst offen mit den Leuten von Sahra Wagenknecht zusammenarbeiten müssten. Wie wunderbar!

Konkretes Beispiel: Von der völkischen AfD sei ihre Partei meilenweit entfernt, betont Wagenknecht zwar bei jeder Gelegenheit. Gemeinsame Sache mit der Höcke-Partei mache ihr Bündnis nicht. Allerdings, so schränkte sie kürzlich ein, stehe es der AfD „frei, unseren Anträgen zuzustimmen“. Umgekehrt werde sich auch das Bündnis Sahra Wagenknecht AfD-Anträge „inhaltlich anschauen“ und nur dann dagegen stimmen, wenn es dafür gute Gründe gebe. „Und wenn die AfD mal etwas Vernünftiges beantragt, dann lässt sich den Wählern nicht vermitteln, dass alle dagegen stimmen.“ 

Ähnliche Gedanken einer „kommunalen Zusammenarbeit“ hatte ja auch Friedrich Merz früher schon geäußert, bevor er dann schnell zurück ruderte, weil er viel Gegenwind auch aus der eigenen Partei bekam. 

Im Hintergrund lauerte lange Markus Söder

Es ist für Merz also eine durchaus sehr anstrengende Aufgabe, diesen größten denkbaren Spagat mit dem BSW zu managen. Zumal im Hintergrund ein gewisser Markus Söder lauerte. Er ist Vorsitzender einer Partei, die traditionell näher an Russland ist. Insofern fällt es Söder sicher leichter als Merz, sich auf das russische Roulette von Sahra Wagenknecht einzulassen. Dabei dachte er natürlich nicht so sehr an Russland oder an Wagenknecht. Es sah lange so aus, als wolle Söder noch Kanzlerkandidat der Union werden, an Merz vorbei. Nicht zuletzt deshalb hatte Söder mit seiner kategorischen Ablehnung einer schwarz-grünen Koalition im Bund einen weiteren Keil tief in die CDU getrieben. Denn selbstverständlich können Hendrik Wüst und Daniel Günther, die in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erfolgreich mit den Grünen koalieren, das unmöglich akzeptieren.

Und Sahra Wagenknecht hat (ebenso wie ihr Ehemann Oskar Lafontaine) in der Vergangenheit große Lust daran gehabt, mit Hammer und Meißel zu Werke zu gehen. Ja, man könnte meinen, dass ihr kein Fels zu groß ist, um ihn klein zu kriegen. Und umgekehrt scheint sie jeden Angriff auf ihre politischen „Ideen“ ohne mit der Wimper zu zucken zu verkraften. 

Da lachte sich der Söder in den Bart. Bis er dann aber feststellen musste, dass in dieser Gemengelage keine Chance mehr besteht, noch Kanzlerkandidat zu werden. Denn erst erklärte Hendrik Wüst, dass er hinter Merz stehe, womöglich gerade wegen Söders Grünen-Bashing,  womit Söders Chancen praktisch auf Null sanken. Dann gaben Merz und Söder gemeinsam in bemühter Harmonie bekannt, dass Friedrich Merz der Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2025 sein wird. „Ich bin damit fein und unterstütze dies ausdrücklich“, sagte Söder. Will er vielleicht Innenminister werden?