Was der CDU-Chef Friedrich Merz in der Bundestags-Debatte zur Reform des von der Ampel-Regierung beschlossenen Staatsangehörigkeitsrechts sagte, ist unterirdisch dumm. Will dieser Mann wirklich Kanzler werden? Und sich dabei an den Gepflogenheiten eines Donald Trump orientieren? Denn Merz ignorierte bei seiner Rede mal eben die Fakten, verdrehte die Wahrheit und dies alles nur, um mit Donnerhall ein Schreckgespenst zu malen. Doch dieses wüste Geschwalle gegen „Ausländer“ macht nur die Parolen der AfD weiter salonfähig. Das Schlimmste daran ist, dass Merz die Realität in Deutschland verkennt und genau jene Menschen abschreckt, auf die das Land schon jetzt angewiesen ist und künftig noch sehr viel mehr sein wird.
Der Kolumnist Axel Hacke des „SZ Magazins“ hat diesbezüglich einen einleuchtenden und interessanten Gedanken veröffentlicht. Was wäre eigentlich, wenn auf der Stelle alle deutschen Bürgerinnen und Bürger mit einem sogenannten Migrationshintergrund sowie sämtliche Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland die Arbeit für eine Woche niederlegen würden? „Was wird geschehen? Machen wir es kurz: nichts. Krankenhäuser und Arztpraxen müssten schließen. Supermärkte wären dicht. Handwerker kämen nicht. Baustellen lägen still, Forschungsprojekte auch. Pflegefälle blieben ungepflegt, Haare ungeschnitten, Wohnungen ungeputzt, Wäsche ungewaschen, Gemüse ungeerntet, Taxis ungefahren, Straßen ungefegt, Tonnen voller Unrat ungeleert“, so Axel Hacke. Er veranschaulicht damit jenseits politischer Parolen, die ja neuerdings alle von der AfD vor sich her getrieben werden, was schlicht und einfach zutrifft. Und was künftig noch viel mehr zutreffen wird, wenn die „Baby-Boomer“ mal alle in Rente sind. Die Wirtschaftskraft und der Wohlstand in Deutschland wird künftig maßgeblich davon abhängen, Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit dafür zu gewinnen, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Und vor diesem Hintergrund ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht sinnvoll. Einerseits können Ausländer schneller als bisher Deutsche werden, also richtig dazugehören. Andererseits fordert das neue Recht dafür Leistung: Fleiß, Rechts- und Verfassungstreue. Eine solche differenzierte Lösung ist notwendig und längst überfällig. Deutschland droht zu überaltern und befindet sich im globalen Wettbewerb um Fachkräfte. In diesem Wettbewerb ist Deutschland schon wegen der Sprache im Nachteil gegenüber etwa angelsächsischen Staaten. Es sollte produktive Migranten nicht auch noch dadurch abschrecken, dass es sie mit Bürokratie überfrachtet, sie als Sicherheitsrisiken behandelt oder als Schmarotzer. Wer kommt und arbeitet, sollte belohnt werden.
Was bei Friedrich Merz zu kurz kommt
Merz hätte ja in seiner Rede anerkennen können, dass Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte zum deutschen Wohlstand beitragen. Er hätte betonen können, dass legale Einwanderer willkommen sind, irreguläre Migranten nicht. Es würde klarstellen, dass Ausländer nicht als solche für Gefahr und Schmarotzertum stehen, selbst in seinen Augen nicht. Doch das tat er mit keinem Wort. Stattdessen bediente er den Slang der AfD, die sich ja bekanntlich für „das Volk“ hält: „Nie in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierung so klar gegen die Interessen der Bevölkerung regiert“, verkündete Merz auf der Plattform X über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Das ist entweder in völliger Unkenntnis der Realität oder schlicht eine provozierende Lüge, denn es ist absolut im Interesse „der Bevölkerung“, rechtzeitig für Strategien auch für künftigen Wohlstand des Landes zu sorgen.
Weil Merz aber aus naheliegenden Gründen – bloß immer die Regierung schlecht machen, die er ja möglichst bald selbst führen will – auf den populären Angstzug aufspringt, ist das eines möglichen künftigen Kanzlerkandidaten nicht würdig. Ja, es ist sogar verantwortungslos, die Ängste der Bürger anzufachen. Und womöglich bestätigt es nur viele Menschen im Land in ihren Ängsten und Vorurteilen und verleitet sie dazu, das Original der Ausländerfeindlichkeit zu wählen – die AfD. Damit wäre dann der Abstieg Deutschlands als Volkswirtschaft endgültig besiegelt.
Was steht denn nun in der Reform des „Staatsangehörigkeitsrechts“
Zunächst mal entgegen aller angstmachenden Parolen von AfD und Merz steht da klipp und klar: Für die Einbürgerung muss der Lebensunterhalt grundsätzlich ohne Sozialleistungen gesichert sein. Bislang konnte von dieser Voraussetzung abgewichen werden, wenn jemand glaubhaft belegen konnte, dass er oder sie die Inanspruchnahme solcher Leistungen nicht selbst zu vertreten hatte. Dazu gehören etwa Eltern behinderter Kinder, pflegende Angehörige, Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen und chronisch Kranke. Im bisherigen Staatsangehörigkeitsrecht hatten sie nach acht Jahren Anspruch auf den deutschen Pass, wenn sie den Bezug staatlicher Leistungen nicht selbst zu verantworten hatten. Das ändert sich nun. Das wird künftig nur noch in sehr wenigen, klar definierten Fällen möglich sein. Und das ist übrigens eine echte Härte gegenüber Menschen, die schon in Not sind.
Außerdem bleibt das Sprachniveau B1 als Anforderung durch die Reform unverändert und gilt für alle. Auch alle anderen Voraussetzungen haben weiterhin Bestand und stehen im Staatsangehörigkeitsgesetz. Bewerberinnen und Bewerber brauchen einen bestandenen Einbürgerungstest und dürfen nicht vorbestraft sein. Im Einbürgerungstest wurden nach den antisemitischen Protesten in Deutschland infolge des Hamas-Angriffs auf Israel etwa Fragen zum Existenzrecht des Staates Israel ergänzt. Zudem wird das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung präzisiert. Die Reform stellt klar, dass „antisemitisch, rassistisch, gegen das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung gerichtete oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen“ mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sind. Gefordert wird nun außerdem das Bekenntnis „zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens“.
Das Gesetz sieht vor, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nun schon nach fünf statt bisher acht Jahren besteht, vorausgesetzt, der Antragsteller erfüllt alle Bedingungen. Bei besonderen Integrationsleistungen sollen Ausländerinnen und Ausländer sogar bereits nach drei Jahren Deutsche werden können. Voraussetzungen für die schnellere Einbürgerung sind gute Leistungen in Schule oder Job, hervorragende Sprachkenntnisse oder ehrenamtliches Engagement. Aufgrund der Rückstände bei der Bearbeitung der Anträge sind die obigen neuen Vorgaben eher theoretischer Natur. Schon jetzt stapeln sich deutlich mehr als 200.000 unbearbeitete Einbürgerungsanträge in 42 Städten. Das werden sehr wahrscheinlich noch viel mehr werden. Da wird es wohl nix mit der Beschleunigung, im idealen Fall schon nach drei Jahren eingebürgert zu werden. Denn allein schon der bürokratische Stau macht zwei bis drei Jahre aus – bevor überhaupt ein Antrag bearbeitet wird. Na ja, also willkommen in Deutschland!
Was Lindner und seine FDP hervorheben
„Ich hoffe, dass wir einerseits den weltoffenen Charakter unseres Landes und die Integration stärken. Andererseits machen wir deutlich, dass wir höhere Anforderungen haben an die deutsche Staatsbürgerschaft als zuvor“, so FDP-Chef Christian Lindner. Das heißt im Grunde, dass auch er sich in einem Abwehrkampf gegen die AfD (und andere Populisten) sieht. Man hätte die Vorteile der Reform auch offensiver vertreten können, wenn man nicht Angst hätte. Lieber betont Lindner die neue Schärfe der Reform, also etwa: Keine Einbürgerung für Eltern behinderter Kinder, weil diese ja staatliche Leistungen beziehen. Getrieben von der AfD macht die FDP und die Ampel insgesamt den Fehler, die wichtige Reform klein zu machen. Das freut auch Merz.