Die gebürtige Iranerin Jasmin Taylor flüchtete während des Ersten Golfkrieges im Alter von 17 Jahren nach Deutschland. Sie absolvierte in Bonn ihr Abitur und studierte in den USA Psychologie sowie Human Relations. Zurück in Deutschland arbeitete Jasmin Taylor als Unternehmerin in der Tourismusbranche und initiierte 2014 das Projekt SIS – Strong Independent Sisters, in dem sie geflüchtete Frauen unterstützt, Deutsch zu erlernen, Qualifikationen zu erwerben und eine Ausbildungsstelle oder Anstellung zu finden. Im Europa-Verlag hat sie nun ihr erstes Buch „Im Namen Gottes. Die Unterdrückung der Frauen im Iran“ veröffentlicht, in dem sie erschütternde Einzelschicksale von sieben Frauen Form eines Memoirs vorstellt, die stellvertretend für über 40 Millionen von Iranerinnen stehen. Jasmin Taylor nimmt dabei auch Bezug auf das islamisch-iranische Recht und erläutert sachlich, dass Frauenhass und Gräueltaten durch gezielte Gesetzgebung legitimiert sind. Im Gespräch nimmt sie auch aktuell Bezug auf den Krieg in Israel und Gaza sowie die Rolle Irans dabei.
In Ihrem Buch lassen Sie verschiedene Frauen aus dem Iran zu Wort kommen, in deren Lebensgeschichten sich die zerstörerische Gewalt der iranischen Gesetze gegen Frauen zeigt. Gibt es noch Hoffnung auf Reformen im Iran?
Jasmin Taylor: Es ist die Scharia, und das wird sich nicht mit einer Reform im Iran ändern, sondern es braucht einen Regimewechsel. Das wird sich nur mit einer säkularen Regierung ändern, der kompletten Trennung von Religion und Politik. Denn auch wenn jemand an die Macht käme, der weniger radikal wäre, so ändert sich dennoch nicht die Gesetzeslage, nach der Frauen kein Scheidungsrecht und keine Reisefreiheit haben. Fast alle Religionen tragen in ihren Ursprüngen die Benachteiligung von Frauen in sich, auch der Islam.
Waren Sie enttäuscht, dass die westlichen Länder dem Iran diplomatisch korrekt kondolierten, nach dem tödlichen Hubschrauberabsturz des iranischen Präsidenten Raisi?
Jasmin Taylor: Das ist eine Doppelmoral. Würden sich die westlichen Regierungen auch politisch korrekt verhalten und ihr Beileid ausdrücken, wenn der Außenminister von Putin sterben würde? Hatte jemand Hitler für den Tod seiner Offiziere das Beileid ausgesprochen?
Sie haben von der Protestbewegung im September 2022 im Iran, hervorgerufen durch den Tod der 22-jährigen Iranerin Jina Mahsa Amini, die wegen ihres locker sitzenden Kopftuchs von der iranischen Sittenpolizei verhaftet und misshandelt wurde und kurz darauf starb, als der größten feministischen Bewegung gesprochen, die es jemals gab.
Jasmin Taylor: Damals ist außer Schönreden kaum etwas gekommen von westlichen Politikerinnen und Politikern.
Was hätten die Regierungen Ihrer Ansicht nach machen sollen?
Jasmin Taylor: Zum Beispiel könnte Europa die Iranische Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen. Das haben die USA bereits 2019 gemacht. Die Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind, konnten nicht alleine diese Diktatur stürzen. Sie hätten dafür von außen Hilfe gebraucht. Aber stattdessen hat der Westen weiter Atomverhandlungen mit der iranischen Regierung geführt. Verhandlungen mit einer Regierung, die die eigenen Menschen auf der Straße tötet! Mit so einer Regierung kann man nicht verhandeln! Verhandlungen mit solch einer Regierung führen zu nichts, man wird sie nie zur Einhaltung von Verträgen verpflichten können.
Können Sie jetzt, nachdem Sie dieses Buch geschrieben haben, noch in den Iran reisen?
Jasmin Taylor: Natürlich nicht. Ich könnte schon dorthin reisen, aber was mir danach passieren würde, das weiß man, wenn man diese Lebensgeschichten in meinem Buch gelesen hat. Bis zur Corona-Pandemie war ich noch regelmäßig dort gewesen. Jetzt werden Leute schon für einen Instagram-Post verhaftet. Und viele, die im Gefängnis waren, kommen mit einer mysteriösen Krankheit wieder raus. Da werden Methoden wie in China und Russland angewendet. Das Regime versucht die Menschen mundtot zu machen.
Dennoch haben Sie sich nach 40 Jahren dazu entschlossen, ein solches Buch zu veröffentlichen, worin Sie auch Ihre eigene Geschichte schildern, als Sie als Jugendliche im Iran im Gefängnis waren. Warum haben Sie sich nach dieser langen Zeit entschlossen, jetzt darüber zu sprechen?
Jasmin Taylor: Ich kam an einen Punkt, an dem ich beschlossen habe, nicht mehr wegzuschauen. Der Auslöser war jener 16. September 2022, als Jina Mahsa Amini gestorben ist. Das hat mich zurück geworfen in ein ähnliches Erlebnis, das ich selbst als Teenagerin im Iran gehabt habe. Da habe ich erkannt, dass ich damit nicht allein bin. Ich habe nur viel Glück gehabt, dass ich das überlebt habe – meine Freundin damals aber nicht.
In Ihrem Buch listen Sie auf, welche Rechte ein Mann im Iran gegenüber seiner Frau hat: Sexuelle Verfügbarkeit, Scheidungsrecht, Passrecht, Sorgerecht für Kinder, Reisebeschränkungen, Kleiderordnung etc.. Hat eine Frau überhaupt Rechte im Iran?
Jasmin Taylor: Eine Frau kann nicht einmal ein Bankkonto für ihr Kind eröffnen, ohne die Unterschrift des Vaters. In allen behördlichen und offiziellen Dokumenten steht immer neben dem Namen der Frau auch der Name des Vaters. Bis hin zum Grabstein. Als hätte es nie eine Mutter gegeben.
Wenn im Iran eine Frau heiratet, darf sie nur mit Erlaubnis des Ehemannes weiter zur Schule gehen oder studieren. Kann sich das ein modernes Land allein wirtschaftlich gesehen auf Dauer leisten?
Jasmin Taylor: Nein, das geht eben nicht, das sieht man ja auch, was im Iran passiert. Wirtschaftlich, künstlerisch, kulturell – in vielen Bereichen des Lebens fehlt die Hälfte. Aber man sollte nicht vergessen, auch in Deutschland hatte der Mann ja bis in die 1970er Jahre das Recht auf sexuelle Verfügbarkeit seiner Ehefrau.
Im Iran ist es möglich, Mädchen unter 14 Jahren zu verheiraten. Allein zwischen März und Mai 2020 wurden dort über 7000 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren verheiratet. Und das, obwohl der Iran die Internationale Kinderrechtskonvention unterschrieben hat, allerdings mit einer Ausnahmeklausel.
Jasmin Taylor: Es ist ein Wahnsinn. Wissen Sie, dieser Präsident Raisi hat so viele Menschen umbringen lassen und er durfte vor die United Nations treten, um dort eine Rede zu halten. Könnte man sich vorstellen, dass Hitler dort stehen würde, um eine Rede zu halten? Haben wir nicht gelernt aus der Geschichte?
Nicht unterschrieben hat der Iran bei den UN-Menschenrechtskonventionen unter anderem auch die Anti-Folter-Konvention, die Frauenrechts-Konvention und die Konvention zur Abschaffung der Todesstrafe.
Jasmin Taylor: Und wie kann es sein, dass ein theokratisches, nicht-demokratisches Land Mitglied der UN ist? Nur weil dort Wahlen stattfinden, heißt es ja nicht, dass der Iran demokratisch ist. Das ist ja die große Manipulation überhaupt!
Sie fordern deshalb, dass der Iran aus der UN-Konvention ausgeschlossen werden sollte. Was würde das verändern?
Jasmin Taylor: Das wäre konsequent, ein Zeichen, wofür die UN steht.
Bei der letzten Wahl im Iran in diesem Frühjahr haben nur 41 Prozent überhaupt gewählt, Reformer wurden verhindert, Oppositionelle hatten zum Boykott der Wahlen aufgerufen.
Jasmin Taylor: Das religiöse Oberhaupt konnte entscheiden, wer überhaupt zugelassen wird zur Wahl. Das wäre das gleiche, wie wenn der Papst bestimmen könnte, ob sich Scholz und Merz zur Wahl stellen dürfen.
Manche Gesetze im Iran wirken geradezu grotesk, wie beispielsweise das Tanzverbot oder das Verbot, Musik zu hören. Und seit 2022 ist auch das „Gassi-Gehen“ mit dem Hund verboten. Wer erwischt wird, kommt für drei Monate ins Gefängnis. Was hat es denn mit diesem Gesetz auf sich?
Jasmin Taylor: Das Regime behauptet, Hunde seien „najis“, also unrein. Aber sie waren letztlich doch gut genug, um die Leiche von Präsident Raisi in den Bergen nach dem Absturz des Hubschraubers zu finden…
Werden diese Gesetze gegenüber der iranischen Öffentlichkeit überhaupt begründet?
Jasmin Taylor: Die strengen Gesetze gegenüber Frauen werden damit begründet, dass eine Frau einen Mann durch ihre Erscheinung verführen würde. Deshalb darf sie nicht ihre Haare zeigen. Die Gesetzgeber gehen davon aus, dass eine Frau, die singt oder tanzt, einen Mann erregt. Und um diesem Mechanismus vorzubeugen, einen Mann zu erregen, muss eine Frau eingeschränkt werden. Wobei das Tanzen auch für Männer verboten ist. Aber das Singen ist nur für weibliche Gesangssolisten verboten.
Der Gedanke, dass sich durch diese Sichtweise der Mann als „schwach“ positioniert, weil er so leicht manipulativ erregt werden kann, existiert nicht?
Jasmin Taylor: Nein, nein, denn der Mann wird ja nicht als schwach gesehen, sondern die Frau als teuflisch.
Sie haben als Kind und Jugendliche im Iran den politischen Umsturz des Schahs und die Entwicklung zum islamischen Regime mitbekommen. Ist es rückblickend für Sie fassbar, wie sehr sich ihre Welt damals radikal verändert hat?
Jasmin Taylor: Die Ansätze erkenne ich heute auch. Wenn ich sehe, wie Studierende an Universitäten in den USA und teilweise auch in Deutschland für den Islam und die Scharia protestieren, ohne zu verstehen, was das wirklich bedeutet. Wir sind ja damals genau wegen dieser Zustände geflüchtet. Und wenn ich jetzt sehe, wie Menschen in Hamburg „Kalifat“ rufen, dann denke ich, so hat es auch im Iran angefangen. Diese Umsturzbewegung hat im Iran zwölf Jahre lang gedauert, das war ja nicht von heute auf morgen. Was man damals unterschätzt hat: Wie gut man durch Moscheen organisiert ist.
Was treibt die Protestierenden Ihrer Ansicht nach an?
Jasmin Taylor: Die Romantisierung des Islam ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Frauen hatten im Iran seit 1963 das Recht zu wählen – acht Jahre vor der Schweiz! Und heute haben sie kaum noch Rechte im Iran. Die Menschen sollten heute aufmerksamer sein, es ist eben nicht so einfach zu sagen, man ist auf der Seite Israels oder auf der Seite Palästinas. Die Frage ist doch, wie das alles angefangen hat. Die Hamas geben die Geiseln nicht frei, aber das Problem ist zudem ein grundlegend anderes. Solange es die Islamische Republik Iran gibt, so lange wird es auch die Hamas und die Hisbollah geben. Selbst wenn Israel meint, sie müssten die Hamas bekämpfen, geht es hier nicht um Personen, sondern um Ideologien. Diese islamische Ideologie kann Israel nicht töten. Und diese Ideologie hat ihren Ursprung in der Islamischen Republik Iran. Die Hamas, die Hisbollah, die Huthi, sie alle brauchen Geld. Im Libanon, in Gaza und Jemen gibt es aber kein Geld. Die nötige Finanzierung, die ganze Ausrüstung, die Waffen, das Training, das kommt alles aus dem Iran. Dieser Krieg findet seit mehreren Jahrzehnten statt, nicht nur in Israel und im Gaza. Die Mullahs wollen ihre Macht ausbreiten. Selbst wenn alle Mitglieder der Hamas getötet würden, gäbe es keinen Frieden und keine Ruhe.
Es ist also der Iran, auf den wir noch viel mehr unseren Blick lenken müssten?
Jasmin Taylor: Vielfach ist die Sichtweise so oberflächlich. Immer wieder heißt es, wenn Israel sein Territorium schützen will, wo sollen dann die Palästinenser hingehen? Doch die eigentliche Frage, woher all die Ressourcen kommen, um diesen Krieg über so viele Jahre aufrechtzuerhalten, wird oft nicht gesehen. Allein um dieses riesige Tunnelsystem unter dem Gazastreifen anzulegen, hat es viel Geld gebraucht. Woher ist das gekommen? Viele iranische Firmen haben in Deutschland ihren Sitz, Scheinfirmen, um die internationalen Sanktionen zu umgehen, etliche davon in Düsseldorf. So vermehrt das Regime seine Einnahmen, auch um diese Terrorgruppen zu finanzieren.
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