Die Wahrnehmung von Scholz und Macron als Tandem der EU, als Schrittmacher in Europa ist: Selters und Sekt. Genauer betrachtet kommt Olaf Scholz dabei so wenig sprudelnd daher, dass er nicht mal das Prickeln von Selters spüren lässt, sondern eher an stilles Wasser erinnert. Bei Macron ist es so, dass er natürlich gerne in seinen Reden wie Champagner perlen will, dann aber doch nur den verbalen Sekt serviert. Dennoch wagt er sich aus der Deckung, wie zuletzt in seiner Europa-Rede an der Universität Sorbonne, während der deutsche Kanzler sich immer mehr so verhält, wie es seine Vorgängerin Angela Merkel tat. Motto: Alles so interessant hier, quasi: Farbfernsehen. Nur dass halt nix daraus folgt. Weil für die EU nicht der Spruch „Sekt ODER Selters“ gilt. Frankreich und Deutschland müssten schon gemeinsam agieren, um eine Veränderung zu erreichen.
Es gab ja schon eine Sorbonne-Rede zu Merkels Zeiten. “Sorbonne I“ fand am 26. September 2017 statt. Emmanuel Macrons damalige Rede über Europa an der Pariser Universität wirkte wie (und sollte dies auch sein) ein Aufbruch in ein neues politisches Klima. Frankreichs Präsident war neu, sehr jung und optimistisch. Merkel hielt sich im Hintergrund, aber sprach dann gönnerhaft von einem „guten Impuls“, den Macron da gegeben habe, zwischen Deutschland und Frankreich herrsche ein „Höchstmaß an Übereinstimmung“. Aber klar, über die Details werde man dann noch reden müssen. Dabei kam aber nichts heraus. Merkel saß die Initiative Macrons einfach aus. Dabei hatte diese von heute aus betrachtet durchaus visionäre Züge: Macron mahnte 2017 Reformen an, auf fast allen Gebieten. Unter anderem schlug er eine gemeinsame Verteidigungspolitik mit eigenem Budget, einer europäischen Eingreiftruppe und einer gemeinsamen Strategiekultur vor, als „Komplement zur Nato“, wie er das nannte. Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine klingt dieses Plädoyer für ein „Europa der Verteidigung“ fast schon hellseherisch.
Und jetzt, sieben Jahre nach seiner ersten Europa-Rede in der Sorbonne hat der französische Präsident Emmanuel Macron am selben Ort seinen Appell für mehr Eigenständigkeit und Wehrhaftigkeit in dramatischer Weise erneuert. „Es besteht die Gefahr, dass unser Europa sterben könnte“, warnte Macron. Mehrfach sprach er von einem notwendigen Paradigmenwechsel und machte deutlich, dass ein „Europa der Stärke, des Wohlstands und des Humanismus“ sehr viel robuster für die eigenen Interessen eintreten müsse – insbesondere auch gegenüber den USA und China. Europa müsse sich aus seiner „strategischen Unmündigkeit“ befreien, forderte Macron. Traditionell habe es sich auf Energie aus Russland, Rohstoffe aus China und Sicherheit aus den USA verlassen.
Die Rede war zwar als Weckruf an die gesamte Europäische Union konzipiert, aber ganz besonders angesprochen fühlen darf sich Bundeskanzler Olaf Scholz. Macron lobte mehrfach die deutsch-französische Zusammenarbeit, überdeutlich wurde allerdings die Kluft zwischen ihm und dem deutschen Kanzler in wesentlichen Politikfeldern. Und wie reagierte Scholz auf diese Rede von Macron? „Frankreich und Deutschland wollen gemeinsam, dass Europa stark bleibt“, schrieb Scholz im Kurznachrichtendienst X. Macrons Rede enthalte „gute Impulse, wie uns das gelingen kann“. Also quasi wortgleich mit der Reaktion Merkels im Jahr 2017. So sieht wohl Fortschritt im deutsch-französischen Tandem aus. Man darf vermuten, dass wieder nix passiert. Zumal Scholz immer wieder betont, dass er glaube, dass die USA auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Sicherheit garantiere.
Ja wer ist denn nun der wahre Hellseher? Macron, der übrigens erneut seine Bereitschaft anklingen ließ, mit dem französischen Atomarsenal (immerhin 300 atomare Sprengsätze) ein Netz für Europa zu spannen. Oder Scholz, der lieber auf die bewährte Nähe zu den USA setzt? Tiefgreifende Differenzen zeigen sich nämlich besonders deutlich im Umgang mit den USA. Scholz setzt ungeachtet der drohenden Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus auf den Fortbestand des transatlantischen Bündnisses und die Verlässlichkeit der USA. „Ich glaube, wir müssen darauf vertrauen, dass das eine langfristige Partnerschaft ist.“ Er sei „ganz zuversichtlich, dass sich daran über die nächsten Jahrzehnte nichts ändern wird.“ Dies könnte naiv sein, wie es Merkels Glaube war, Russland durch Handel zum Wandel bringen zu können.
Macron warnt jedenfalls eindringlich davor. Die Franzosen halten Macron für einen Dampfplauderer. Die Deutschen halten Scholz für einen verklemmten Schweiger. Sicher ist jedenfalls, dass Macron das Gegenteil von Scholz ist.