Die „Wende“ ist das Wort der Stunde. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine rief Bundeskanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ aus. Die Grünen fordern eine „Klimawende“, auch eine „Energiewende“ und sogar eine „Verkehrswende“, wobei gegen letzere der FDP-Verkehrsminister Volker Wissing wacker ankämpft. Und die FDP hat sich einen Zwölf-Punkte-Plan für eine „Wirtschaftswende“ gegeben. Später folgte ein Fünf-Punkte-Plan für eine Haushaltswende. In dem Wort „Wende“ könnte man also den kleinsten gemeinsamen Nenner der Ampel-Koalition sehen. Und auch wenn die Opposition das gerne hätte: Es ergibt keinen Sinn für die FDP sich den Vorwurf des „Wendehalses“ zuzuziehen, indem sie die Ampel verlässt. Und so lag der FDP-Parteitag ganz auf der Linie von FDP-Chef Lindner, der zwar provokativ Forderungen aufstellte, die aber doch so formuliert waren, dass seine Ampelkollegen Scholz und Habeck damit umgehen können.
Gleich nach Bekanntwerden des FDP-Papiers zur Wirtschaftswende hat die Union frohlockt. Von der „Scheidungsurkunde für die Ampel“ sprach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und zitierte das berühmte „Lambsdorff-Papier“ von 1982 (siehe weiter unten). Und andere Unions-Politiker sprachen davon, dass die FDP halt „in der falschen Koalition“ sei. Doch gemach, man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Annahme nämlich, ein Ampel- Austritt werde den Liberalen wieder mehr Zustimmung bringen als die vier bis sechs Prozent in den Umfragen derzeit, ist höchst gewagt. Das würde voraussetzen, dass die Wähler es einer Regierungspartei honorieren, wenn diese sich in einer äußerst problematischen Lage aus der Verantwortung stiehlt. Daher warnen führende Liberale, Selbstmord aus Angst vor dem Tod sei keine erfolgversprechende Strategie.
Was wollen die Liberalen mit ihrem Papier zur „Wirtschaftswende“?
Wie eingangs schon erwähnt, ist allein der an die „Zeitenwende“ angelehnte Begriff der „Wirtschaftswende“ eben keine „Scheidungsurkunde“ für die Ampel, sondern der Versuch, sich innerhalb des Regierungsbündnisses zu profilieren.
Dennoch lassen sich die einzelnen Punkte so lesen, dass viele davon quer treiben zu den Koalitionspartnern. Fast jeder der zwölf Punkte im FDP-Plan steht der gemeinsamen Politik der Ampelkoalition entgegen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat dies inhaltlich damit begründet, dass die Welt heute eine ganz andere sei als zu der Zeit, als man mit Sozialdemokraten und Grünen den Koalitionsvertrag ausgehandelt habe. Man habe das Papier jetzt geschrieben, weil „die wirtschaftlichen Herausforderungen enorm sind in unserem Land“.
Nun ja, das sehen die Grünen in Person von Wirtschaftsminister Habeck und die SPD in Person von Kanzler Scholz grundsätzlich genauso. Die Frage ist also eher, welche Maßnahmen wirksam sind. Und hier existieren tatsächlich sehr unterschiedliche Vorstellungen zwischen der FDP und ihren Koalitionspartnern.
In dem Zwölf-Punkte-Plan der FDP stechen folgende Forderungen heraus: Nach dem Willen der FDP sollen Bürgergeldbeziehende härter angepackt werden. Arbeitsangebote, auch sogenannte Ein-Euro-Jobs, müssten angenommen, Sanktionen gegen Verweigerer verschärft werden. Die FDP erhofft sich dadurch deutliche Einsparungen, mit denen sie an anderer Stelle Entlastungen finanzieren will. Die Höhe der Einsparungen aber ist umstritten. Die SPD wirft Christian Lindner hier „Luftbuchungen“ vor, die unseriös seien.
Die FDP will zweitens die „Rente mit 63“ abschaffen. Bisher gilt: Wer 45 Beitragsjahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, der kann ohne Abschläge in Rente gehen. Bei der Einführung dieser Regelung 2014 war dies mit 63 Jahren möglich, inzwischen muss man 64 Jahre alt sein, weil die Altersgrenze parallel zum allgemeinen Renteneintrittsalter schrittweise steigt. Diese Regelung entziehe dem Arbeitsmarkt „wertvolle Fachkräfte“, kritisiert die FDP. Angesichts des Fachkräftemangels könne sich Deutschland dies nicht leisten. Nun ja, aber eine Rolle rückwärts wird es hier mit der SPD nicht geben. Es klingt ja auch wie eine Zwangsverpflichtung von Fachkräften, die bereits völlig rechtens beschlossen haben, der Wirtschaft den Rücken zu kehren.
Sowohl die Bürgergelddebatte wie auch jene über die „Rente mit 63“ stößt die FDP an, um Geld zu sparen, das sie andernorts ausgeben will.
Hier gibt es folgende Ausgabenwünsche: Um mehr Geld für Investitionen verfügbar zu machen, würden die Freidemokraten gerne den Körperschaftssteuersatz für AGs und GmbHs von 15 auf zehn Prozent reduzieren. Allein das würde die jährlichen Einnahmen von Bund und Ländern um fast 24 Milliarden Euro schmälern. Die von Lindner geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den seit 2021 nur noch Unternehmen und gut verdienende Arbeitnehmer zahlen müssen, würde weitere 13 Milliarden Euro kosten. Damit wieder mehr gearbeitet wird, will der Finanzminister zudem Überstunden von der Steuer befreien und Ausländern, die einen Job in Deutschland annehmen, einen Steuerrabatt gewähren. Nimmt man alles zusammen – und rechnet auch noch die geplante Abschreibung für investitionswillige Unternehmen dazu -, ist man rasch bei jährlichen Gesamtkosten des Entlastungspakets von mehr als 50 Milliarden Euro. Aus FDP-Sicht kein Problem. Die Partner in der Koalition werfen Lindner hier Heuchelei vor. Auf der einen Seite fordere der Bundesfinanzminister in den laufenden Etatberatungen eiserne Sparsamkeit von den Koalitionspartnern, gleichzeitig präsentiere er extrem teure FDP-Reformideen, hieß es aus der SPD.
Wie haben die Koalitionspartner darauf reagiert?
„Das wird ja nicht Wirklichkeit werden in der Regierungskoalition“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für die SPD mit Blick auf die sozialpolitischen Forderungen der FDP. „Die Fixierung auf die Sanktionsdebatte“ im Bürgergeld sei „völlig irregeleitet“, sagte Heil. Auch die sogenannte Rente mit 63 werde bleiben. „Ich sehe das ganz gelassen, ich halte das auch eher für Parteitagsfolklore bei der FDP“, sagte Heil. Auch die Grünen zeigten sich gelassen. „Dass wir unterschiedliche Ansichten haben, dass auf Parteitagen verschiedener Parteien verschiedene Beschlüsse gefasst werden, ist alles nicht besonders neu“, sagte dazu Parteichef Omid Nouripour. SPD und Grüne betonen die Gemeinsamkeit mit der FDP, die Wirtschaft zu unterstützen.
Wie hat FDP-Chef Christian Lindner auf dem Parteitag agiert?
Lindner richtet auf dem FDP-Parteitag keine Kampfansage an SPD und Grüne. Zwar setzt er gegen die Koalitionäre indirekte Spitzen. Etwa, wenn er sagt: Manche würden der Wirtschaft vorwerfen, Klagelieder anzustimmen,und damit offenkundig Kanzler Olaf Scholz meint. Aber insgesamt zeichnet er auch ein Bild von den Anstrengungen der Koalition, die schon auf den Aufschwung einzahlen, etwa durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Mit frontaler Kritik agiert Lindner gegen die Union, besonders CSU-Chef Markus Söder. Wenn Söder sage, die Zukunftsperspektive für Deutschland sei die große Koalition, dann „erinnere ich an die Ergebnisse der letzten“, ruft Linder. Klingt gar nicht wie ein Wunsch nach einem Koalitionswechsel, wie dies 1982 geschah. Im Unterschied zu damals wäre diese Machtoption auch gar nicht vorhanden, da Union und FDP nicht genug Stimmen dafür bekommen könnten. Lindner will also in der Ampel weiter machen. Bleibt noch die Frage, was das Adler-Küken auf dem FDP-Parteitag ausdrücken sollte. Will die FDP niedlich sein?