Wie Christian Streich derzeit seinen Abschied vom SC Freiburg gestaltet, ist allererste Sahne. Es ist souverän, es ist cool und es ist vor allem unter Einbezug des gesamten Vereins und seiner Protagonisten. Der Verfasser dieses Textes begegnete Christian Streich im Jahre 2006 mal zufällig abends in einer Freiburger Kneipe in der Innenstadt. Es war die Zeit, als Freiburg tief gespalten war, weil um die angekündigte Entlassung von Volker Finke gestritten wurde. Christian Streich war damals erfolgreicher Trainer der A-Junioren des SC. Das damalige Gespräch mit ihm war intensiv. Es flossen Tränen, es gab Herzblut, es gab auch Verzweiflung. Irgendwann sagte Christian Streich, dass er sich eigentlich für den legitimen Nachfolger von Volker Finke halte – es war zu diesem Zeitpunkt Robin Dutt als neuer SC-Trainer bereits verpflichtet. Und jetzt, 18 Jahre später, hat er bewiesen, was damals noch in den Sternen stand. Christian Streich hat in den Jahren als Chefcoach von 2011 an in fast allen Kennzahlen mit Volker Finke gleich gezogen oder diesen sogar übertroffen. Und die Art und Weise des Abschieds, den Christian Streich selbst moderiert, steht in krassem Gegensatz zu der damaligen Trennung des SC von Finke. Des zeigt, dass auch der Verein sich seither im besten Sinn weiter entwickelt hat.
Wenn Streich also bezüglich seines Abschieds sagte, dass es zwar im Fußball wie im Leben nie die völlige Perfektion gebe, aber die Umstände seines Aufhörens als SC-Trainer insgesamt doch „fast perfekt“ seien, „so wie es jetzt ist“, dann verweist er auf das große Ganze – und damit weg von seiner Person oder eventuellen Befindlichkeiten. „Ich war lang genug da, jetzt reicht’s. Jetzt ist es fast perfekt, so wie es ist. Dafür bin ich dankbar und zufrieden.“ Dass Julian Schuster sein Nachfolger werde, sei „extrem erfreulich“. Dies habe sich so entwickelt, nach Freiburger Art halt: „Er wurde immer mehr eingebunden, war immer bei uns im Trainerbüro. Wir haben da gar keine großen Gespräche drüber geführt. Das hat sich so ergeben.“
Es ist äußerst geschickt, wie Christian Streich sich also im Moment seines Rückzuges als Teil eines Größeren, quasi als ein Rädchen im Getriebe eines „großen Vereins“ (so Streich wörtlich) darstellt. Und er hat dies auch früher schon getan, als es gar nicht um die Frage seines Abschieds ging, sondern er sowie der SC immer mehr Wertschätzung in der Fußball-Szene erfuhren. „Wir müssen uns jetzt nicht noch sexyer machen, als wir sind, aber ganz unsexy sind wir nicht. Also ich bin jetzt relativ unsexy, das gebe ich zu. Aber der Verein und die Struktur, die sind auch ein bisschen sexy.“ Dies betraf sowohl die Entwicklung der Mannschaft (inklusive der Neuverpflichtungen, die auch von anderen Teams umworben waren), wie auch den sportlichen Erfolg, die Europa-League zu spielen. Dabei war natürlich immer auch ein Augenzwinkern von Streich im Spiel. Etwa als er vor dem Auftritt des SC bei Juventus Turin sagte: „Wir fahren nach Turin. Wahnsinn. Ich freue mich, dass ich auch mitfahren darf.“
Oder auch auf die zum Ende der vergangenen Saison nicht ganz unberechtigte Frage, ob er nicht auch mal von der Champions-League träume. Antwort unnachahmlich: „Ich träume manchmal davon, dass ich zu spät ins Training komme oder dass der SC spielt und ich sitze nicht auf der Bank – und dann bin ich gottfroh, wenn ich aufwache.“
Welche Entwicklung der SC Freiburg in den Jahren mit dem Trainer Christian Streich genommen hat, zeigt sich am besten darin, dass Streich nun von einem „großen Verein“ spricht, wo er doch früher jahrelang „mir kleine Freiburger“ sagte.
Die legendären Streich-Sätze werden fehlen
Die „New York Times“ – von weit weg über dem großen Teich – hat Christian Streich als „Philosophen vom Schwarzwald“ und „soziales Gewissen des deutschen Fußballs“ bezeichnet.
Dies huldigte nicht so sehr seinen wunderbaren Ausführungen über Taktik („Und dann macht‘s batsch, batsch, batsch, und dann gibt‘s drei Doppelpässe und dann schieße sie ihn halt rein oder an den Pfosten oder knapp vorbei.“) oder über die Medien im Fußballbetrieb („Alle Leute reden ständig von Sechs-Punkte-Spielen. Jetzt nach dem Sieg haben wir drei. Dann haben diejenigen ja gar nicht recht gehabt, die das gesagt haben, sondern ich, weil es gibt gar nicht mehr als drei Punkte.“), sondern vielmehr seinen Ausführungen im gesellschaftlichen Bereich.
„Ich bin ein Trainer, der ab und zu etwas sagt zu Dingen, die ihn bewegen,“ sagte Streich dazu. Zum Beispiel zu den Ablösesummen im internationalen Fußball: „Ich weiß nicht, wie es Leuten geht, die nichts haben, wenn sie das lesen, ob da eine Frustration eintritt. Es ist mir wirklich egal, ob 220 oder 440 Millionen Euro gezahlt werden. Wir sind in einem irrealen Bereich angekommen. Der Gott des Geldes wird immer größer, irgendwann verschlingt er alles.“
Oder wie zuletzt in politischen Angelegenheiten: „Es ist fünf Minuten vor zwölf. Wer es jetzt nicht verstanden hat, der versteht es nicht. Der hat nichts verstanden in der Schule im Geschichtsunterricht. Jeder in diesem Land ist dazu aufgerufen, im Familienkreis und auf der Arbeit oder sonst wo, sich ganz klar zu positionieren. (…) Geht wählen! Damit wir gegen diese unsägliche, fremdenfeindliche und gästefeindliche Politik von einigen Parteien Stimmen sammeln können. (…) Es kann mir keiner kommen und sich als Protestwähler bezeichnen. Es soll mir keiner rumjammern, wenn er hinterher von einer rechtsnationalen Partei autokratisch regiert wird.“
Solche Streich-Sätze werden natürlich fehlen. Aber nicht nur wegen ihres politischen Gewichtes, sondern auch wegen ihres Charmes in Alemannisch. Wobei Streich es auch immer verstanden hat, den aufbrandenden Kult um seine Person mit einer gewissen Ironie wieder einzufangen: „Ich empfinde nicht, dass ich ein Kulttrainer bin. Kult ist jemand, der ewig lang schon irgendwas macht. De Who und Jimi Hendrix vielleicht.“ Oder auch: „Bodyguards? Ich brauche keine Bodyguards. Bodyguards haben die Stars.“ Und gerne mal philosophisch: „Ich weiß nicht, was morgen ist. Wenn ich das wüsste, das wäre ja furchtbar.“
Der SC Freiburg von Finke bis Streich ein Affront
16 Jahre war Volker Finke Cheftrainer beim SC Freiburg, 12 Jahre war es nun Christian Streich. Dies ist in gewisser Weise auch ein Affront für die anderen Bundesligisten (außer Heidenheim, wo Frank Schmidt jetzt im 17. Jahr trainiert, allerdings im ersten Jahr in der Bundesliga, sehr erfolgreich, wie man weiß, und gleich mal der Bayern-Besieger!). In ganz unterschiedlicher Weise haben Finke und sein „legitimer Nachfolger“ Streich nicht nur die Bundesliga sportlich zum Staunen gebracht, sondern halt auch bei etlichen Vereinen die Frage aufkommen lassen, warum dort dauernd Trainer gefeuert werden mussten. Man möchte gar nicht aufzählen, wie viele Trainer in anderen Vereinen verschlissen wurden, während Finke 16 Jahre und Streich 12 Jahre den SC Freiburg trainierten. Man käme wohl auf eine stattliche Zahl. Der SC Freiburg darf wohl für sich behaupten, dass er also über Jahrzehnte für eine Kontinuität steht, die es tatsächlich nirgends anderswo in der höchsten deutschen Spielklasse gibt. Und na ja, Julian Schuster als Nachfolger von Christian Streich ist ja noch sehr jung und könnte also die Rekorde seiner Vorgänger sogar noch übertreffen, rein rechnerisch gesehen.
Das Argument aller Bundesliga-Manager, warum sie es nicht wie in Freiburg hinkriegen, ist ja gerne, dass es hier medial so ruhig zugehe. Na ja, da haben sie wohl die Schlacht um die Finke-Entlassung nicht mitgekriegt. Streich hatte bezüglich der Medien ja ebenfalls einen legendären Satz hinterlegt: „Am beschte: Machsch‘ de Fernseher aus, schausch‘ de Tabelle nit an, bringt eh alles nix. Spielsch‘! Übsch‘!“
Ach so, bevor wir es vergessen: Christian Streich hat zwar seinen Abschied als SC-Trainer bekannt gegeben, aber nicht definitiv das Ende seiner Karriere erklärt. Wie sagte er an anderer Stelle: „Man verändert sich immer, weil man hat ja Stoffwechsel. Man ist ja nicht tot.“