Da sind dem Mann mal alle Pferdestärken durchgegangen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat einem Brief an die Spitzen der Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP geschrieben und mit einem Fahrverbot an Samstagen und Sonntagen gedroht. Nein, jetzt nicht nur für die Chauffeure der Politiker, sondern für alle Autofahrer in Deutschland. Dies ist eine Drohung seinen Ampel-Kollegen gegenüber, wie sie lächerlicher nicht sein könnte. Ausgerechnet der Minister, der sich ein Tempolimit auf den deutschen Autobahnen nicht vorstellen kann – weil freie Fahrt für deutsche Bürger, die ja umzingelt sind von europäischen Nachbarn, die alle ein Tempolimit vorschreiben – also ausgerechnet er würde Fahrverbote an Wochenenden erlassen? Viel schlimmer als diese lächerliche Drohgebärde ist aber, was Wissing damit bezweckt. Er will damit einen Freifahrtschein für sein Verkehrsressort erpressen. Klimaschutz sollen mal die Kollegen anderer Ressorts machen. Auf deutschen Straßen soll weiter verheizt werden, was die Auspuffe so hergeben.
Der Verkehrssektor reißt schon seit Jahren die gesetzlich festgeschriebenen Klimaziele. Um sie 2024 einzuhalten, müsste der Verkehrssektor Berechnungen des Umweltbundesamts zufolge etwa 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen. Wissing muss nach aktueller Rechtslage darlegen, wie er die Emissionen im laufenden Jahr senken und die Klimaziele bis 2030 erreichen will – allerdings muss er nicht alle Maßnahmen sofort umsetzen. Die gängige Idee eines Tempolimits lehnt Wissing strikt ab. „Der Verkehrsminister versucht so schamlos wie durchschaubar, mögliche Konsequenzen des eigenen Versagens in politischen Druck umzumünzen“, kommentierte deshalb Greenpeace-Mobilitätsexpertin Clara Thompson Wissings Fahrverbotsdrohung.
Volker Wissing will damit ja erreichen, dass er und sein Verkehrssektor sich 2024 gar nicht mehr an Sektorzielen messen lassen müssen. Denn die FDP hat eine Reform des Klimaschutzgesetzes durchgesetzt, auf die sich das Bundeskabinett bereits im Juni 2023 einigte. Während jeder Sektor – Gebäude, Landwirtschaft, Energie, Verkehr – bisher einzeln seine Klimaschutzziele erreichen muss, soll die Berechnung künftig „sektorübergreifend“ erfolgen. Wichtig ist dann nur noch, dass Deutschlands CO2-Emissionen insgesamt sinken, unabhängig davon, in welchem Bereich sie entstehen. Experten warnen davor, dass diese Aufweichung des derzeit bestehenden Klimaschutzgesetzes im Endeffekt dazu führt, dass die Klimaziele insgesamt nicht erreicht werden.
Warum meint Wissing nun mit seiner Drohung von Fahrverboten Druck ausüben zu müssen? Eben weil sich inzwischen heraus gestellt hat, dass Deutschland aller Voraussicht nach seinen Beitrag zur europäischen Lastenteilung, dem sogenannten Effort Sharing, um 126 Millionen Tonnen CO2 verfehlen wird – auch aufgrund der hohen Emissionen des Gebäude- und Verkehrssektors. Sprich: Man hat gemerkt, dass es wohl nicht klappt mit den Klimazielen, wenn man die bisher klare Verantwortung der Sektoren aufgibt. Damit haben vor allem die Grünen ein Problem. Es ist also wie immer in der Ampel: FDP und Grüne sind sich nicht grün noch gelb.
Was den Streit noch befeuert hat: Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hat erneut eine deutliche Verfehlung der Klimavorgaben im Verkehrsbereich festgestellt. Statt den erlaubten 133 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten stieß dieser Sektor demnach im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen Treibhausgase aus. Das schreiben die Fachleute in ihrem in Berlin veröffentlichten Prüfbericht zu im März vorgestellten Daten des Umweltbundesamts (UBA). Damit verfehlt der Verkehrssektor sein Klimaziel das dritte Jahr in Folge.
Doch das muss Verkehrsminister Wissing keine Kopfzerbrechen mehr machen. Denn am selben Tag haben die Spitzen von SPD, Grünen und FDP sich nach monatelangem Streit auf die Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Demnach soll das bisherige Gesetz abgeschwächt werden. Anders als bisher sollen Ministerien nicht mehr zu Sofortprogrammen verpflichtet werden, wenn die Klimaziele in ihrem Bereich gerissen werden.
Außerdem soll künftig nicht mehr der Blick zurück – also die Bilanz des jeweiligen Vorjahres – im Zentrum stehen, sondern eine Vorausschau: Sie soll prüfen, inwieweit die geltenden Maßnahmen ausreichen, um die Klimaziele einzuhalten. Das ist Hokuspokus der gefährlichsten Art. Denn Pläne für die Zukunft machen alle Politiker immer gerne. Bestimmt auch Wissing. Verantwortlich ist dann keiner.