Mit seinem Buch „Ich erkenne eure Autorität nicht länger an“ hat der Psychologe und Schriftsteller Glenn Bech in seinem Heimatland Dänemark die Bestsellerliste gestürmt. Die Übersetzerin und Schriftstellerin Andrea Paluch, die fließend Dänisch spricht, war von dem Werk sofort begeistert und schlug ihrem Verlag eine Übersetzung ins Deutsche vor. Bisher hatte Andrea Paluch alle ihre Bücher und Übersetzungen stets zusammen mit ihrem Mann Robert Habeck geschrieben. Dieses Mal musste sie jedoch alleine ran – der Vizekanzler, Wirtschafts- und Klimaschutzminister hat momentan keine Zeit für belletristische Arbeiten. Ein Gespräch mit Andrea Paluch über das Übersetzen, Soziale Medien und Klassenkampf.
Woher kommt Ihre Liebe zu Dänemark und zur dänischen Sprache?
Andrea Paluch: Tatsächlich ist das eine alte Geschichte. In meiner Studienzeit gab es das Erasmusprogramm zwischen Freiburg und Roskilde. Daran habe ich teilgenommen und dafür angefangen Dänisch zu lernen. Und irgendwann hat es angefangen zu funken, das hat sich dann durch unser Leben durchgezogen.
Das ging so weit, dass Ihre Söhne dänische Schulen besuchten und fließend dänisch sprechen.
Andrea Paluch: Wir wohnen ja in Flensburg und hier ist alles zweisprachig. Es gibt alle Institutionen auch in dänischer Sprache. Es war somit ein bisschen zufällig, dass unsere Kinder auf dänische Schulen gegangen sind. Als wir hierher gezogen sind, wussten wir nicht, dass hier alles zweisprachig ist. Aber als wir das gemerkt haben, fanden wir das natürlich ganz gut.
Das Buch von Glenn Bech, das Sie übersetzt haben, hat der Autor dem Klassenkampf gewidmet, wie er vorneweg schreibt. Wie viel Klassenkämpferin steckt in Ihnen, der Übersetzerin?
Andrea Paluch: Das ist für den Job des Übersetzens völlig irrelevant. Aber natürlich habe ich das Buch nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil ich das Thema gut finde. Es wirkt auf den ersten Blick etwas altmodisch, „Klassenkampf“ ist ein Wort, das man gar nicht mehr so richtig benutzt. Aber wenn man Glenn Bech liest, versteht man, dass es immer noch total relevant ist. Und dass man wahrscheinlich aus Faulheit und Wohlsituiertheit aufgehört hat, darüber nachzudenken.
Weil die Wohlsituierten nichts mehr mit dem Klassenkampf verbinden?
Andrea Paluch: Ich meinte nicht den Sachverhalt, sondern nur den Begriff. Für mich ist Klassenkampf etwas, bei dem ich an die 30er Jahre denke. Und ich finde es schön, wenn so ein Begriff wieder hervorgehoben wird.
Glenn Beck zeigt schonungslos auf, wo Klassenkampf und Homophobie in der Provinz beheimatet sind. Ging das für Sie manchmal an die Schmerzgrenze?
Andrea Paluch: Besonders die Wut hatte eine große Wirkung auf mich. Das hat mich total angefixt. Klar, das Buch trägt nicht unbedingt zur guten Stimmung bei, da hat man nicht dauernd gute Laune. Wobei ich sagen muss, ich war selten in so einem Flow wie beim Übersetzen dieses Buches. Das hat unsagbar viel Spaß gemacht. Das thematisch Negative daran hat mich nicht so belastet, weil ich mit Wörtern gekämpft habe.
Wie sehr mussten Sie sich an die Themen Homosexualität und unterprivilegiertes Provinzleben herantasten?
Andrea Paluch: Ich glaube, es ist erhellend, wie er das Thema thematisiert. Das ist das Gute daran, dass die Lesenden dabei ihre blinden Flecken erkennen können. Wobei Glenn Bech immer sagt, dass das Buch gar nicht in erster Linie für die Privilegierten ist, bei denen ich mich auch selbst einordnen würde. Dabei wird das Buch, das in Dänemark so einen großen Erfolg hat, ja gerade von den darin Kritisierten gelesen. Glenn Bech sagt aber, der Erfolg beruhe auf den beschriebenen unterprivilegierten Randfiguren. Ich bin mir aber noch unsicher, ob er da recht hat. Also, ob das Buch Erfolg hat, weil alle Unterprivilegierten sich erkennen und deshalb das Buch lesen oder ob, so meine These, die Privilegierten das Buch lesen und sich wundern, was sie alles nicht wissen.
Früher haben Sie bei Ihren Übersetzungen und Ihren belletristischen Werken ganz eng mit Ihrem Mann Robert Habeck zusammen gearbeitet. Dieses Buch ist nun das erste, das Sie komplett alleine übersetzt haben. Haben Sie den Austausch vermisst?
Andrea Paluch: Bei Übersetzungen ist es, mehr noch als sonst, sehr gut, wenn man mit jemandem darüber spricht. Ich habe dann viel mit meiner Lektorin darüber geredet, das war super. Trotzdem, nach meiner Erfahrung ist es besser, wenn man zu zweit an einer Übersetzung sitzt, statt alleine. Aber der Übersetzungsprozess war sowieso so anders als vor 20 Jahren. Damals saßen wir noch mit dicken, mehrbändigen Wörterbüchern und haben jedes Wort einzeln nachgeschlagen. Allein die Zeit, die das gedauert hat! Und jetzt konnte ich im Zug mit meinem Laptop arbeiten, hatte im Hintergrund meine Wörterbücher offen und konnte einfach hin und her switchen, das ging so schnell. Ich weiß gar nicht, wie man noch reden soll, wenn man am Computer sitzt, weil es so schnell geht. Beim Nachschlagen der Wörter hatte man noch die Zeit des Blätterns, wo man denkt und redet.
Sie haben früher also mit Robert Habeck zusammen in einem Raum gesessen und mit ihm über die richtige Wortwahl beim Übersetzen englischer Gedichte diskutiert?
Andrea Paluch: Es gab mehrere Schritte. Im ersten Schritt hat jeder alleine eine Rohübersetzung gemacht. Diese haben wir dann im nächsten Schritt zusammen ausformuliert, so dass es zum Gedicht wurde. Das fand immer im Gespräch statt.
Wenn ein Außenseiter und Underdog, wie Glenn Bech es gewesen ist, ein solch erfolgreiches Buch schreibt und damit zum Shooting-Star der Literaturszene wird, verändert das einen Menschen?
Andrea Paluch: Ich kenne ihn dafür nicht gut genug. Sein Leben hat sich, glaube ich, schon ganz schön verändert. Er ist zu einer öffentlichen Figur geworden, obwohl er eigentlich etwas scheu ist. Das sind jetzt Spekulationen, aber mein Eindruck ist, dass er ein krasses Jahr hinter sich hat, in dem er auf einmal in allen möglichen Talkshows sitzt und Zeitungen über ihn schreiben. Er ist zu einem Meinungsmacher geworden. Ich glaube, das ist ziemlich anstrengend für ihn.
Menschen mit Macht können etwas verändern, sie verändern sich dabei aber auch. Sie erleben das mit Ihrem Mann vermutlich ähnlich?
Andrea Paluch: Glenn Bech hat erzählt, dass er anfangs in den Sozialen Medien diese Shitstorms erlebt hat, und er immer diese Idee hatte, er könne das kontrollieren und eingreifen, in dem er auch was dazu schreibt. Das hat ihn ziemlich aufgefressen. Bis er dann verstanden hat, dass er das nicht kann. Man kann keine Lenkungswirkung in den Unsozialen Medien entfalten. Seitdem er das verstanden hat und sich da ein bisschen mehr raus hält und nicht mehr alles liest, geht es ihm besser. Ich glaube das ist das Problem, dass man diesen öffentlichen Stimmungsschwankungen so sehr ausgesetzt ist, das ist anstrengend.
Für viele ist es nicht einfach, sich den Sozialen Medien zu entziehen. Sie leben als Schriftstellerin und Übersetzerin ein zurückgezogenes Leben, aber der andere Teil Ihres Lebens ist ein sehr öffentlicher. Wie handhaben Sie das?
Andrea Paluch: Wenn ich nur Ich wäre und meinen Beruf hätte, dann würde ich die Sozialen Medien wahrscheinlich auch ein wenig benützen, aus beruflicher Sicht, beispielsweise um Werbung für mich zu machen. Aber so wie es jetzt aussieht, macht es für mich… (sie schnaubt kurz) überhaupt keinen Sinn, weil die Aufmerksamkeit, die ich bekomme, relativ wenig mit meiner Arbeit zu tun hat. Und deshalb verzichte ich halt darauf. Ich bin gerade nirgends in den Sozialen Medien aktiv. Ich bin im Grunde unauffindbar. Über die Verlage kann mich aber natürlich jeder kontaktieren.
Schade eigentlich, weil diese Entscheidung Sie ja auch limitiert in der Selbstwirkung.
Andrea Paluch: Ja, aber ich habe den Eindruck, der Schutz ist größer als die Limitation, ehrlich gesagt.
Glenn Bech schreibt, es ist unmöglich, seine Rechte einzufordern, ohne dass andere sich für ihre angemacht fühlen. Glauben Sie das auch?
Andrea Paluch: Das ist total meine Beobachtung. Man kann im Grunde nicht über Privilegien reden, ohne dass die Leute sich sofort anfangen zu verteidigen. Er hat das sehr gut beobachtet, sehr treffend. Wenn man erst einmal diese Erkenntnis hat, dann ist das schon mal ein großer Schritt.
Diese Wut in Glenn Bechs Texten, die man beim Lesen so stark empfindet – was macht man mit all dieser Wut, die einem da entgegen schleudert?
Andrea Paluch: Also, wenn man dadurch einen anderen Blickwinkel bekommt, ist das ja schon mal gut. Und man kann alle Möglichkeiten, die man hat, um Dinge zu verändern, nutzen. Sowohl im privaten Verhalten, als auch im Wahlverhalten und indem man Zivilcourage zeigt. Man kann etwas verändern im eigenen Leben. Und ich glaube, je nachhaltiger dieses Leseerlebnis ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich danach ein bisschen anders verhält.
Kann Lyrik, dass geschriebene Worte an der Ungleichheit in der Welt etwas verändern?
Andrea Paluch: In Dänemark hat es auf jeden Fall dazu geführt, dass diese Leute ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Das ist ja schon mal was wert, dass man nicht glaubt, man ist alleine auf weiter Flur, sondern es gibt andere, denen es auch so geht. Man kann sich zusammentun und dann versuchen, gemeinsam etwas zu verändern, sich Gehör zu verschaffen. Ich glaube also schon, dass es etwas auslöst. In Dänemark hat das Buch jedenfalls einen großen gesellschaftlichen Effekt gehabt.
Könnte durch das Buch etwas Vergleichbares auch in Deutschland passieren?
Andrea Paluch: Ein Unterschied ist bereits die Größe des Büchermarktes. Auf dem deutschen Büchermarkt ist es fast unmöglich Aufmerksamkeit zu erregen. Deshalb glaube ich, wird der Einfluss des Buches hier überschaubar bleiben. Wenn es ein Bestseller würde, dann könnte es vielleicht einen Einfluss haben. Wobei die Gesellschaft in Deutschland eh viel aufgespaltener ist. Es gibt hier viel mehr unterschiedliche Gruppen als in Dänemark. Dort fühlen sich rund 90 Prozent der Leute von dem Buch angegriffen (lacht), in Deutschland wären das gar nicht so viele.
Was ist so anders am dänischen Büchermarkt?
Andrea Paluch: In Dänemark wird ein Autor nicht so sehr über den Verkauf seiner Bücher bezahlt, sondern über die Auslage in den Bibliotheken. Und das ist ja genau die niederschwellige Zielgruppe dieses Buches. In Dänemark sind Bücher so teuer, dass man sie sich eigentlich nicht kauft. Wenn man ein Buch lesen will, dann geht man in die Bücherei, und dort gibt es ein Buch dann auch gleich zehnmal und nicht nur einmal. Und pro Ausleihe bekommt man ordentlich Geld als Autor.
Ist es spezifisch für Deutschland, dass es hier schwieriger ist, mit einem Buch aufzurütteln?
Andrea Paluch: Nein, das hat ganz einfach etwas mit der Größe zu tun. In Deutschland erscheinen jährlich rund 70.000 Bücher, da muss man erst einmal durchdringen. (In Dänermark, mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern, erscheinen jährlich rund 6000 Bücher; Anm.d.Red.)
Hat Ihr Mann, Robert Habeck, das Buch schon lesen können? Konnten Sie schon mit ihm darüber reden?
Andrea Paluch: Ich glaube er hat das nicht gelesen, nein. Er bekommt davon nur mit, was ich ihm erzähle. Der hat gerade andere Sachen zu tun (lacht).
Das komplette Gespräch können Sie unter
www.barbarabreitsprecher.com lesen.