Als du noch ein Kind warst, gab es untrügliche Anzeichen von Gefahr. Beispielsweise wenn ein Erwachsener mitten auf dem Gehsteig laut vor sich hin geredet hat und sonst kein Mensch in der Nähe war, der als Ansprechpartner gemeint gewesen sein könnte. Es war ganz klar ein Zeichen von mehr oder minder schwerem Irrsinn. Und du hast natürlich sofort die Straßenseite gewechselt, um möglichst der Gefahr zu entkommen. Nun ja, wenn dasselbe heute passiert, dann haben die Leute halt einen Knopf im Ohr, oder halten ihr Handy vor sich hin. Die da laut quatschen sind also nicht verwirrt im Kopf, sondern nur vernetzt, womöglich über WhattsApp bis ans andere Ende der Welt, sagen wir mal: bis nach Mauritius. Doch nun könnte es bald noch schlimmer kommen. Denn nun geht die Apple Vision Pro an den Start. Das ist eine Brille, die man locker auf Skipisten tragen könnte. Wenn allerdings die Nutzer – wie in den USA bereits beobachtet – das Ding beim Autofahren tragen und dabei mit ihren Händen durch die Luft fuchteln, dann würde man schon gerne wissen, wieso sich die Leute jetzt den Computer um den Kopf schnallen sollen. Das sieht ja aus, wie der Spruch von früher, dass einer ein Brett vor dem Kopf habe.
Apples Datenbrille Vision Pro ist wohl ziemlich gut, rein technisch gesehen Die allermeisten Tester und Kritiker sind sich einig, dass es sich bei dem Produkt mal wieder um ein Meisterwerk der Ingenieurskunst handelt. Die Nutzer können in der Luft schwebende, die Umgebung überlagernde Softwarefenster vor sich auslegen, wenn sie arbeiten, sie können sich aber auch in ein virtuelles Umfeld versetzen und ihre reale Umgebung vollständig ausblenden. Das Gleiche gilt für das Ansehen von sichtfeldfüllenden Filmen oder dem Betrachten von dreidimensionalen Fotos. Auch wenn man noch nie ein Vision-Pro-Headset auf dem Kopf hatte, versteht man intuitiv, wie man es bedient: Irgendwo hingucken, Daumen und Zeigefinger zusammendrücken, Klick. Als ob man einen Mauszeiger mit den Augen bewegt.
Tja, aber warum eigentlich? Bringt es tatsächlich etwas, wenn man nicht wie bisher vor dem Rechner oder auch vor dem Handy eben dasselbe tat, dabei aber jederzeit trennen konnte zwischen dem Computer und der Welt da draußen. Du konntest arbeiten am Rechner, diverse „Fenster“ in der virtuellen Welt öffnen, aber links war in deinem Arbeitsraum das echte Fenster aus Glas, aus dem du schauen konntest, wenn dort ein Regenbogen zu sehen war. Also einer echt in Natur. Und ja, auch der soziale Kontakt von außen, sprich: ein Mensch, der dich ansprach, war nicht in deinem Computer, sondern konnte dich veranlassen, das Ding mal pausieren zu lassen. Was soll also der Vorteil sein, sich wie ein Idiot hinter einer Skibrille zu verstecken, im Alltag, in der Küche (so eine Werbevideo von Apple), im Auto, womöglich dann gleich auch im Schlafzimmer?
In die Brille verbaut sind jede Menge Kameras, Sensoren und drei hochauflösende Bildschirme, einer für jedes Auge, außerdem einer an der nach außen gerichteten Front, die live die Augenbewegungen des Trägers anzeigt, per Pupillen-Tracking. Soll heißen: In Wahrheit sieht man auch beim „Augenkontakt“ wieder nur Bildschirme, die das Innere der Brille wiedergeben. Selbst der Augenkontakt gerät zur Simulation. Und umgekehrt: Man sieht eben beim Tragen der Brille nicht mehr seine Umgebung, sondern Live-Kameraaufnahmen seiner Umgebung.
Warum also dieser Schnickschnack? Wer hat eigentlich etwas davon? Das Entscheidende an Computern im Gesicht ist schlicht und ergreifend, dass man nicht wegschauen kann. Der Bildschirm ist so konzipiert, dass er die Nutzer umhüllt. Immersion heißt das in der Fachwelt und oft genug führt das zu Übelkeit beim Anwender. Wenn auf diese Art die äußere Realität und die virtuellen Angebote „verschmolzen“ werden sollen, hat es die Tendenz zur völligen Kontrolle der Nutzer. Dann macht Apple den Regenbogen da draußen, obwohl es den real als Naturereignis gerade gar nicht gibt. Denn der so dressierte Mensch bringt Kohle.