Der Elefant im Raum lässt wenig Platz

Sogar die Wirtschaftsweisen plädieren für eine Reform der Schuldenbremse. Weil Lindner das nicht will, hat Habeck einen überraschenden Vorschlag gemacht.

Fotomontage: Adrian Kempf

Es gibt ja so manche Aussagen über den „sturen Bock.“ Etwa die, dass „der Bock zum Gärtner“ gemacht wurde. Soll ja heißen, dass alles abgegrast wird, was eigentlich schöner Pflege bedarf. Aus Sicht von Finanzminister Christian Lindner ist er also sicherlich nicht der Bock, der es zulässt, dass seine Kabinettskollegen sich im Geldausgeben weiden könnten. Aber stur ist der Lindner auf jeden Fall. Jetzt haben sogar die „Wirtschaftsweisen“, also der eher konservative Sachverständigenrat (SVR) der Bundesregierung sich für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen, die ja von Lindner mit Zähnen und Klauen verteidigt wird. Dabei merken die Wirtschaftsweisen, ein Professorengremium, sinngemäß an, dass es wirtschaftlich unsinnig ist, dringend nötige Investitionen nicht über Kredite finanzieren zu dürfen. Es nutzt den von Lindner viel beschworenen Kindern und Enkeln nämlich gar nichts, wenn man ihnen zwar eine im globalen Vergleich sehr niedrige Staatsverschuldung, zugleich aber ein heruntergewirtschaftetes Land hinterlässt.

Dabei geht es ja nicht nur um den soeben vom Bundestag veraschiedeten Haushalt 2024. Es geht um Fragen der Finanzierbarkeit, die weit darüber hinaus weisen. Dass bereits im Etat 2025 Lücken gestopft werden müssen, ist schon länger klar. Der „Finanzplan“ bildet die absehbare finanzpolitische Entwicklung in den drei Jahren nach dem jeweiligen Haushaltsjahr ab. Der zum Haushalt 2024 gehörende Finanzplan reicht also bis einschließlich 2027. Allein der klimagerechte Umbau des Landes bis 2045 wird einen Billionenbetrag kosten. Zugleich müssen Schulen saniert, die Forschung ausgebaut, Glasfaserkabel bis in die hintersten Winkel der Republik verlegt sowie das Mobilfunk- und das Schienennetz, Straßen und Brücken, Streitkräfte und Waffenarsenal technologisch auf Stand gebracht werden. Andernfalls riskiert Deutschland seinen Wohlstand und seine Sicherheit.
 

Was die Wirtschaftsweisen vorschlagen 

 Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) schlug kürzlich vor, die im Grundgesetz verankerte Regel maßvoll zu überarbeiten. „Die Schuldenbremse, wie sie jetzt ist, ist zu starr“, sagte die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, die Münchener Ökonomin Monika Schnitzer. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, sodass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“

Zur Begründung hieß es, ökonomische Krisen könnten auch in den Jahren nach der akuten Notlage noch große Auswirkungen auf die Volkswirtschaft haben. Eine sofortige Konsolidierung des Haushalts, um in diesen Jahren die Schuldenbremse wieder einzuhalten, könnte zu unnötig starken Negativimpulsen für die noch schwächelnde Wirtschaft führen, so das Expertengremium, das die Regierung berät. 

Der Finanzminister Christian Lindner und der Wirtschaftsminister Robert Habeck haben sehr unterschiedliche Auffassungen

Zumindest in einem Punkt sind sich Lindner und Habeck einig: dass sich etwas ändern muss – zumal der Druck aus der Wirtschaft wächst. Die großen Wirtschaftsverbände verlangen Entlastungen bei den Unternehmenssteuern, und die Konjunktur schwächelt: Zuletzt hat der Internationale Währungsfonds Deutschland auch für 2024 den letzten Platz der großen Industrienationen und Wirtschaftsräume zugewiesen, mit mageren 0,5 Prozent prognostiziertem Wachstum.

Lindner betreibt allerdings derzeit noch eine Politik, die auch unter Ökonomen umstritten ist. Wenn der Staat die Nettokreditaufnahme stark zurückfährt und dann mit immer niedrigeren Schuldenquoten prahlt, in einer Rezession, wird er die Wirtschaft nicht gerade zu Investitionen ermuntern. Jedes ökonomische Lehrbuch empfiehlt die gegenteilige Strategie. Und die eigentlich konservativen Wirtschaftsweisen mahnen nun ebenfalls an, dass es „wirtschaftlich unsinnig“ sei dringend nötige Investitionen nicht über Kredite finanzieren zu dürfen. 

 An dieser Stelle wagte Wirtschaftsminister Robert Habeck einen überraschenden Vorstoß. Der Wirtschaftsminister von den Grünen sagte im Bundestag, er wolle nun „zum Elefanten, der im Raum steht“, das fehlende Geld, einen Vorschlag machen. Und so führte Habeck aus: Auf eine Reform der Schuldenbremse werde man sich in der Koalition wohl nicht verständigen können. Schließlich gebe es da auch eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Aber wie wäre es eigentlich, ein ganz anderen, und zwar gemeinsamen Weg zu bestreiten?

„Was wäre, wenn wir ein Sondervermögen einführen würden, um die strukturellen Probleme zu lösen?“, sagte Habeck völlig überraschend bei der Haushaltsdebatte im Bundestag. Aus diesem Vermögen ließen sich dann Unternehmen entlasten, über Steuergutschriften, steuerliche Vergünstigungen oder Abschreibungsmöglichkeiten. „Das ist das, was ich aus der Wirtschaft, von der Opposition, von den Liberalen höre.“ Nötig sei ein gemeinsames Gespräch darüber, schloss Habeck. „Und zu dem lade ich ein.“

Tja, der Mann lässt jedenfalls nichts unversucht. Christian Lindner gab drei Tage später eine erste Antwort – per Interview mit der Welt am Sonntag. „Die Idee war in jeder Hinsicht überraschend“, sagte der FDP-Chef dort. Habeck sage damit letztlich, dass er mit der Wirtschaftspolitik der Koalition unzufrieden sei und „etwas komplett anderes für nötig hält“. Ein ungewöhnlicher Vorgang sei das, den er aber konstruktiv aufnehmen wolle – nur um ein paar Zeilen später Habecks Vorschlag zu attestieren, dieser würde „die soziale Marktwirtschaft deformieren“.

Tja, es ist kein Geheimnis, dass Robert Habeck vorschwebt, über milliardenschwere Investitionsprogramme die Wirtschaft anzuschieben, in Richtung Klimaschutz. Ökonomen hatten dafür einen „Investitionsfonds“ vorgeschlagen, schuldenfinanziert, aber außerhalb der Schuldenbremse. Seine Milliarden sollten die Wirtschaft so stark wachsen lassen, dass sich die nötigen Kredite später quasi mit links aus höheren Steuereinnahmen zurückzahlen ließen. Robert Habeck glaubt nämlich nicht, dass sich die deutschen Unternehmen von selbst klimafreundlich umbauen, und das auch noch rechtzeitig, also morgen. Habeck verweist stattdessen auf den amerikanischen Inflation Reduction Act, der Hunderte Milliarden Dollar in die Transformation der US-Industrie lenkt. Bei Caren Miosga in deren Talkshow führte Robert Habeck dazu aus: „Die Welt ist nicht fair im Moment und sie spielt auch nicht nach den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft.“ Das Problem sei halt, dass China und Amerika so heftig bestechen, um sich geopolitisch gut aufzustellen, dass man investieren muss, wenn man mithalten will. 

Nun ja, was will Lindner stattdessen? Er verlangt eine „Wirtschaftswende.“Lindner nennt diese seinen „konkreten Gegenvorschlag an Robert Habeck“. Private Investitionen will der FDP-Chef nicht über ein Sondervermögen anstoßen, sondern über ein „Dynamisierungspaket“. Mit weniger Bürokratie, einem weniger strikten Klimaschutzgesetz und einer anderen Energiepolitik. Dumm nur, dass diese Wende so ungefähr das Gegenteil dessen sein könnte, was dem für Klima und Energie zuständigen Minister Habeck vorschwebt. 

Tatsächlich ist Christian Lindner mitsamt seiner FDP zuletzt immer öfter damit auffällig geworden, dass sie Wirtschaft, Klimaschutz und Menschenrechte als Gegensätze sehen. Etwa bei der Blockade des Lieferkettengesetzes der EU. Oder auch, wenn Lindner den Bauern auf ihrer Demo in Berlin  völlig unsachgemäß verspricht, dass es weniger brachliegende Flächen geben soll. Da prallen Welten aufeinander.

Robert Habeck sagte bei Miosga noch, dass er einen „Raum finden“ wolle, und dass er wisse, dass Christian Lindner dies auch wolle. Aber der Elefant ist schon dort und lässt wenig Platz.