Schamlose Scheinheiligkeit

Es ist eine peinliche Polit-Posse, die sich Markus Söder erlaubt hat, als er ein Bundesgesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht umsetzen sondern aussetzen wollte.

Unter dem forschen Markus Söder ziehen große Teile der Union in den Kampf gegen die Ampel, nur aus politischem Kalkül, ohne Rücksicht auf die Sache und dazu noch, indem sie ein Gesetz brechen. Das ist ein beispielloser Blockade-Vorgang, der nur endgültig belegt, dass so mancher Politiker fernab jeder Verantwortung in seiner Egopolitblase lebt, gerne beleidigt und in schwarz. Wenn Bayerns Ministerpräsident die bundesweit vorgeschriebene „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ für Kliniken, Praxen und Heime nicht umsetzt, trifft das in der Sache die Menschen, für deren Schutz das Gesetz ja gemacht wurde: Jene Menschen in Alten- und Pflegeheimen oder auch in Krankenhäusern, die nicht mehr der Gefahr der Ansteckung durch ungeimpftes Personal ausgesetzt sein sollten.  

Die Begründung für diese Verweigerung, ein Bundesgesetz umzusetzen, trieft nur so vor schamloser Scheinheiligkeit. Besonders kurios ist das Argument, dass zu viele Mitarbeiter der betroffenen Einrichtungen den Job kündigen könnten, wenn man das Gesetz anwendet. Denn das bedeutet doch, dass eben große Teile der Belegschaft nicht geimpft sind, weshalb sie eine Gefahr für die ihnen Anvertrauten darstellen. Eben deshalb war die Impfpflicht ja beschlossen worden, um hier die Impflücken maximal zu schließen. Dies wiederum als Argument gegen die Umsetzung des Gesetzes anzuführen ist grotesk. Man will per Gesetz gefährliche Impflücken schließen und dann sollen ebendiese Impflücken der Grund dafür sein, das Gesetz leider nicht anwenden zu können.

Markus Söder hat mit seiner Ankündigung, das Bundesgesetz nicht umsetzen sondern lieber aussetzen zu wollen (was rechtlich eigentlich gar nicht möglich ist), mal wieder einen für ihn typischen und äußerst unrühmlichen Haken geschlagen. Denn Söder war einer der ersten Politiker gewesen, der vergangenes Jahr genau auf diese Impfpflicht gepocht hatte. Die Union selbst hat das Gesetz mit beschlossen und der Bundesrat (auch Söder für Bayern) hat dem Gesetz zugestimmt.    

Gäbe es in der Politik den Sachverhalt der „Untreue gegenüber der eigenen Forderung“, dann wäre Söder längst fällig. Aber offenbar schert ihn das wenig, wenn er nur den Ton in der Union als Opposition vorgeben darf. Fast brav sind ihm in der mehr als skandalösen Boykott-Aktion denn auch CDU-Chef Merz sowie diverse CDU-Ministerpräsidenten gefolgt. Es war schon extrem peinlich, wie er saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sich in den ARD-“Tagesthemen“ dreist in die Pose warf, dass gefälligst die „Ampel“ liefern müsse, bevor man geneigt sei, ein bereits bestehendes Bundesgesetz umzusetzen. Das ist reine Parteipolitik, aber an der völlig falschen Stelle. Ursprünglich hatte die Union ja mal „konstruktive“ Oppositionspolitik versprochen. Aber das Gegenteil findet statt, und dann auch noch im Brustton der Überzeugung, dass dies zum Wohle aller sei.

Das ist billig und wirkt hässig. Die Union wird wohl noch an ihrer Rolle als Opposition werkeln müssen. Denn Boykott und Blockade kommen gar nicht gut an. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) für dessen Alleingang scharf kritisiert. „Aus der Perspektive des Rechtsstaates ist es ein Desaster, wenn Länderchefs den Gedanken in den Raum stellen, ein vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz zu ignorieren“, so Buschmann. Er sei sich „sehr sicher, dass die Juristen in der Staatskanzlei Herrn Söder mittlerweile aufgeklärt haben“. Staatliche Gewalt sei überall in Deutschland an Recht und Gesetz gebunden, und Bundesrecht breche nun einmal Landesrecht. Sollte sich die bayerische Landesregierung dem verweigern, gebe „es auch Möglichkeiten, das durchzusetzen“, sagte der Bundesjustizminister.

Derweil wurde der Eilantrag gegen die Teil-Impfpflicht vom Verfassungsgericht zurückgewiesen. Die Nachteile, die den überwiegend im Gesundheitswesen tätigen Antragstellern durch die Pflicht drohten, seien weniger schwer als jene, die bei einem Aussetzen der Regelung für vulnerable Menschen zu befürchten seien, begründete das Bundesverfassungsgericht am Freitag in Karlsruhe seinen Beschluss. Gesundheitsminister Lauterbach sieht das Urteil als wichtigen Schritt. Und Bayern ruderte  dann auch zurück. Es war ein peinliches Theater.